Abschrift: Xxxxx

Meine Erlebnisse in der Zeit der Zwangsarbeit in Berlin

Während der deutschen Besatzung arbeitete ich als Näherin in einer deutschen privaten Firma „Redlich“ in Łódź, in der Piotrkowska-Straße. Eines Tages kamen Gestapo-Beamte und holten mich und eine jüngere Näherin ab. Wir sollten zur Arbeit nach Deutschland fahren. Man stellte einen großen Transport von Frauen und Männern aus Łódź und der Umgebung zusammen. Zwei Tage lang wurden wir in der Fabrik in der Kopernik-Straße festgehalten, von wo die Frauen nach Frankfurt an der Oder verschleppt wurden. In Frankfurt blieben wir ungefähr drei Wochen, bis die deutschen Betriebsvertreter kamen.

Während der Fahrt nach Berlin mussten wir ein paar Male ein Bad nehmen, und das unter keinen guten Bedingungen. Offensichtlich war ich gegen die häufigen Luftzüge empfindlich, jedenfalls bekam ich Schwellungen am Gesicht und mit einem Auge konnte ich überhaupt nichts sehen. Nach dem Ankommen in Berlin landete ich in einer Krankenstube, wo eine deutsche Krankenschwester mir ein elektrisches Kissen gab. Warme Umschläge halfen mir, die Schwellung klang ab, und bald konnte ich zur Arbeit gehen.

Einen Teil der Polinnen nahm man zur Arbeit bei der Firma Bosch in Berlin mit, die damals Flugzeugteile herstellte. Die meisten wurden dann in Baracken in der Nähe von der Fabrik untergebracht, die sich im Walde, in der Ortschaft Unter den Linden befand. Ich dagegen landete in einem Pavillon im Stadtbezirk Berlin-Spandau. Wir bekamen ein großes Zimmer im ersten Stock, in dem hölzerne Etagenpritschen in zwei Reihen, und neben ihnen Schränkchen, je für zwei Personen, standen. In diesem Zimmer wohnten etwa 40 Polinnen. Nebenan gab es das Bad und die Toilette. Der Pavillon war von einer Grünanlage umgeben, wo sich auch der Luftschutzraum befand. Die Lebensbedingungen waren dort, wenn man die Kriegszeit bedenkt, verhältnismäßig gut, und auch die Ernährung war nicht die schlimmste. Klar, es war meistens bescheidene Ernährung, die unsere Bedürfnisse nicht deckte, da es weder Fett noch Fleisch gab, und in unserem Alter brauchten wir kalorienreicheres Essen.

Zur Fabrik gingen wir zu Fuß. Ich arbeitete in einer Halle, in der ein riesengroßer Gasofen stand, in dem die Flugzeugteile oxidiert wurden. Die Stoßstellen einzelner Metallteile wurden mit Kupferspänen bedeckt, die im Gasofen schmolzen und diese Stellen schützten. Einmal bei der Arbeit wurde es mir schlecht. Ich ging zur Toilette und wurde ohnmächtig. Ich weiß nicht, wie lange das dauerte, weil ich bewußtlos war. Später sagte man mir, ich hatte Schaum vor dem Mund, und alle dachten, ich sterbe. Man brachte mich in eine kleine Stube und legte die bewußtlose auf das Sofa hin. Als ich zu mir kam, hörte ich leise Musik und erblickte eine deutsche Krankenschwester, die bei mir wachte. Ich blieb noch eine Weile liegen, dann ging ich wieder zur Arbeit. Ein paar Tage später wurde ich aber in die allgemeine Produktionshalle versetzt, wo man Flugzeugteile in Benzin spülte. Meine Arbeit bestand darin, daß ich mit der Feile Flugzeugteile abschliff. Die Arbeit an beiden Stellen war leicht, dafür aber sehr schädlich für dieGesundheit. In der ersten Halle war es das Gas, das vom Ofen strömte (deshalb wurde ich ohnmächtig), in der anderen war es der Benzindunst, der im ganzen Raum hing.

Während meines Aufenthalts in Berlin gab es große Luftangriffe auf die Stadt. Der erste Luftangriff nach meinem Ankommen in Berlin war einer mit Brandbomben. Wir alle waren verpflichtet, in den Luftschutzraum herunterzugehen, der sich neben dem Pavillon befand. Als ich aus dem Gebäude während des Luftangriffs hinausging, sah ich Brandkugeln (in Größe eines Fußballs) vom Himmel fallen. Das machte auf mich einen schrecklichen Eindruck, ich war wie gelähmt und konnte keinen Schritt gehen. Erst zwei Männer vom Luftschutz zerrten mich mit Gewalt zum Bunker. Die Luftangriffe erfolgten jede Nacht und machten uns schlimm zu schaffen. Sie kamen immer gegen Mitternacht, wenn wir im tiefen Schlaf versunken waren. Uns weckte der Alarm und wir mussten uns schnell in den Luftschutzraum begeben. Auf Berlin wurden die Brand- Phosphor- und Sprengbomben abgeworfen.

Eines Tages schickte unsere Lagerführerin mich und vier andere Polinnen ins Zentrum Berlins, von wo wir die Fensterüberhänge für die Verdunkelung holen sollten. Als wir schon in der Stadt waren, erfolgte der Alarm. Wir gingen also den anderen Menschen nach, zu einem Bunker aus Stahlbeton, über dem zum Glück kein Haus stand. Im Inneren dieses Bunkers gab es kleine Räume, in denen deutsche Frauen mit Kindern sich aufhielten. Am Eingang gab es einen großen Saal für diejenigen, die zufällig in der Gegend waren. Es folgte eine sehr starke Bombardierung. Sogar der Bunker schwankte. Das dauerte ziemlich lange, vielleicht zwei bis drei Stunden. Stillschweigend bewunderte ich die Disziplin der Kinder, die man überhaupt nicht hörte. Ab und zu war nur ein Seufzer der deutschen Frauen zu hören, wenn eine besonders starke Detonation folgte: „O mein Gott!“

Als wir nach der Entwarnung hinausgingen, erblickten wir Schreckliches: dort, wo Häuser standen, gab es nur riesengroße Trichter. In der Markthalle waren alle Fenster eingeschlagen. Ein Eckhaus, in dem eine Apotheke war, verschwand von der Erdoberfläche. Die Straßen bestanden nur aus Trümmern. Angeblich wurde damals ein Berliner Kanal beschädigt, und das Wasser überflutete die unterirdischen Korridore der U-Bahn. Nach Wannsee mussten wir zu Fuß zurückkehren.

Ich muss noch hinzufügen, dass in der Nähe von unserer Fabrik hinter Stacheldraht Italiener wohnten, die sich auflehnten und den Kriegsdienst verweigerten. Sie wurden wie Verbrecher behandelt, litten unter solchem fürchterlichen Hunger, so dass sie sogar Reste aus dem Müll sammelten und aufaßen. Neben Italienern arbeiteten in der Fabrik auch Franzosen, Spanier, Belgier und Tschechen, die wie die übrigen Zwangsarbeiter behandelt wurden.

Eines Tages erschienen bei uns Gestapo-Beamte und nahmen eine von den Polinnen fest. Sie wurde ins Konzentrationslager in Oranienburg deportiert, dafür, dass sie einem Italiener ein Stückchen Brot reichte. Das war traurig, aber leider war, dass sie für ihre Herzensgüte solche bittere Bezahlung bekam.

Ungefähr nach einem Jahr Arbeit bei Bosch wurde ein Teil von uns versetzt. Wir wohnten in Baracken neben der Asbest- und Glasfabrik in Berlin-Zehlendorf, wo wir bis zum Kriegsende arbeiteten. Ich arbeitete mit einer Spinnmaschine, die den Zwirn aus Glas und Asbest auf Spulen wickelte. Das war eine gesundheitsschädliche Arbeit, da der Glas- und Asbeststaub in der Luft schwebte und in die Lungen und unter die Haut eindrang (man hatte den Eindruck, als befände man sich nackt in einem Raum voller Häcksel).

Empfindlichere Personen mit blassem Teint bekamen sogar Wunden im Gesicht. Angesichts dessen zogen wir uns nach der Arbeit nackt aus und wuschen den ganzen Körper im kalten Wasser, da es kein Warmwasser gab, und zogen uns um. Das Bad war sehr primitiv ausgestattet: es befand sich dort ein längliches, einem Trog ähnliches Waschbecken, über dem die Wasserhähne mit Kaltwasser angebracht waren. Zu Anfang der Arbeit in diesem Betrieb dachte ich oft darüber, davon zu laufen, aber ich tröstete mich mit dem Gedanken, der Krieg wird bald vorbei, also es lohnt sich nicht, sich zusätzlich zu gefährden. Ich sagte mir, ich muss unter diesen schweren Bedingungen irgendwie überstehen. Infolge dieser Arbeit leide ich bis heute an chronische Bronchitis, die in meinem Fall unheilbar ist.

Was die Ernährung betrifft, litten wir unter ständigem Hunger. Brot gab es in sehr kleinen Mengen, wir bekamen überhaupt kein Fett und kein Fleisch. Zum Mittagessen gab es drei Pellkartoffeln und noch etwas dazu, aber ich weiß nicht mehr was. Jeden Samstag bekamen wir Suppe aus Steckrüben, wobei man keine Steckrüben drin sah. Für das Mittagessen hatten wir Essmarken, aber da die Suppe wenig attraktiv war, beachteten die Personen, die das Mittagessen ausgaben, nicht, ob man die Esskarten in die Dose steckt oder nicht. Wir nutzten das aus und ließen uns diese Suppe zweimal ausgeben, obgleich sie wenig wert war. Zu dieser Zeit waren unsere Ernährungsbedingungen so, dass wir uns Brot innig wünschten, von den Nudeln träumten und zweifelten, ob wir uns jemals im Leben satt essen werden können. Meine jüngere Kollegin, die zusammen mit mir aus Łódź kam, weinte vor Hunger. Sie tat mir so leid. Ich selber war widerstandsfähiger gegen den Hunger.

Aber die Zeit verging unaufhaltsam, und das Kriegsende, von allen so erwartet, war immer näher. Im Stadtbezirk Zehlendorf marschierte die Sowjetische Armee ein. Zunächst aber rückte die Front näher. Da es hier keinen Luftschutzraum gab, gingen alle in die Fabrik, in der wir arbeiteten. Ich dagegen ging zusammen mit vier anderen Polinnen und drei Russinnen in die Schützengräben, die für die deutschen Soldaten bestimmt waren. Die Russinnen liefen zu ihrer Baracke und brachten eine Tür mit, dank der wir eine provisorische Überdachung über unseren Köpfen hatten, die uns, wie wir naiv dachten, vor Schrapnells schützen sollte. Ruhig warteten wir also den Verlauf der Ereignisse ab. Die Geschosse von der „Stalin-Orgel“ flogen hoch über unseren Köpfen, und wir sahen das mit Furcht und Entsetzen an. Unterdessen vertrieben uns deutsche Soldaten mit Maschinenpistolen auf den Rücken von einer Stelle zu einer anderen, und wir mußten dahin kriechen, wo sie uns hinschickten. Das war der wahrlich schreckliche Krieg, und wenn ich jetzt daran zurückdenke, glaube ich fest, der Herrgott hat uns damals gerettet. Von diesem Frontkampf sind wir glimpflich davongekommen. Nur eine ältere Russin wurde an der Seite schwer verwundet, und russische Soldaten brachten sie, nachdem sie in Zehlendorf einmarschiert waren, ins Krankenhaus.

Nach drei oder vier Tagen der Frontkämpfe hörten wir plötzlich die Stimme eines sowjetischen Soldaten und gingen aus dem Schützengraben hinaus. Da aber Berlin noch nicht erobert wurde und die Kämpfe andauerten, mussten wir noch eine Weile da bleiben. Nach drei, vier Tagen brachen wir zu Fuß nach Hause auf. Dann gelangte ich mit dem Zug, auf dem Puffer, nach Łódź. Es war eine schwere Reise, die über zwei Wochen dauerte. Aber das wichtigste war für mich, dass ich kein Krüppel geworden bin, worum ich andauernd den Herrgott bat. Obwohl ich damals sehr jung war, hatte ich keine Angst vor dem Tod, da ich im christlichen Glauben erzogen wurde. Ich liebte Gott, und ich glaube, er hatte mich gerettet.

So endeten meine Kriegserlebnisse in Berlin. Ich muss feststellen, der Krieg ist furchtbar. Und ich bin der Meinung, dass er das meiste Unglück über diejenigen brachte, die für ihr ganzes Leben verkrüppelt worden sind. Ich wünsche mir vom Herzen, möge es den Krieg nie wieder geben, und mögen alle Menschen ruhig und glücklich leben und einander helfen, da wir in diesem kurzen Leben lediglich die Benutzer dieser Erde sind und alle sterben müssen.

Hochachtungsvoll
PS. Ich füge 6 Fotokopien und zwei Fotos bei: Berlin, Siegessäule; Berlin, Luftfahrtministerium.


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DZSW 1508
Kurzbeschreibung

Jozefa Wanda R. war als Zwangsarbeiterin in mehreren Betrieben tätig. Die Asbest- und Glasfabrik in Berlin machte ihr am meisten zu schaffen, da die verwendeten Chemikalien stark gesundheitsgefährdend waren.

 

Herkunftsland: Polen

 

 

 

Angaben zur Zwangsarbeit
Weitere Objekte

© Dokumentationszentrum NS-Zwangsarbeit / Slg. Berliner Geschichtswerkstatt

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