Abschrift: Xxxxx

Auf die Bitte der Stiftung „Polnisch-Deutsche Versöhnung“ hin, schicke ich Dokumente und Nachweise meines Aufenthaltes bei der Zwangsarbeit in Berlin vom 2.8.1942 bis zum September 1944.

Ich xxxxx wurde am 21.1.1923 in Łódź geboren. Als ich 7 Jahre alt war, starb mein Vater. 1937 beendete ich die Grundschule. Bis zum Ausbruch des Krieges im September 1939 arbeitete ich als Hilfsbauarbeiter, da meine Mutter nicht imstande war, den Unterhalt von drei Kindern im Alter von 6,14 und 17 Jahren zu sichern.

Nach Berlin wurde ich im Alter von 19 Jahren verschleppt. Ich ging mit dem Transport von Beschäftigten bei AEG in Łódź, dem mich die Gestapo angeschlossen hatte. Wir wurden in die Firma AEG in der Brunnenstraße eingewiesen. Der Betrieb brachte mich und sieben andere Polen in einem Gebäude gegenüber der Fabrik unter, in der Ackerstraße 18 oder 28 (genau weiß ich nicht mehr). Dort bezogen wir ein Zimmer im Parterre. Mir wurde eine Arbeit mit Kränen von hoher Leistungsstärke zugeteilt. Zunächst gab es eine kurze Schulung auf einem kleinen Kran von einer Leistungsstärke bis 7.000 kg, der von einem 55-60 jährigen deutschen Bürger, an dessen Namen ich mich nicht mehr erinnere, bedient wurde. Er war nett und gut zu mir. Er wusste, ich habe Gefängnis hinter mir, daher gab er mir oft etwas zu essen. Wir unterhielten uns zu verschiedenen Themen, obwohl es manchmal Verständigungsschwierigkeiten gab. Ich weiß aber, dass er gegen diesen Krieg war und voraussagte, dass das deutsche Volk schwer dafür zahlen müsse.

Nach einem knappen Jahr auf dem kleinen Kran wurde ich zu einem größeren versetzt, von Leistungsstärke bis 90.000 kg. Es folgte wieder eine kurze Schulung, und man vertraute mir selbständige Arbeiten an. Hier traf ich aber einen anderen Meister, der völlig anderer Ansichten war. Er war sicher, die Deutschen werden den Krieg gewinnen (obwohl es schon nach der Niederlage von Stalingrad war). Er glaubte daran, über Berlin taucht kein Flugzeug auf, weil man es rechtzeitig abschießt. Seine Einstellung zu den Polen, also auch zu mir, war unfreundlich. Offensichtlich hegte er den festen Glauben an den Sieg des Nazismus. Aber bei der Arbeit hatte ich Ruhe, da ich auf dem Kran in der Höhe von 15 m meistens alleine war. Mein Meister arbeitete oft nicht, weil er krank war.

Anfang 1943 wurden wir sieben Beschäftigten von der Ackerstraße nach Borsigwalde in die Trifstrasse (Triftstraße - Anm. d. Ü.) versetzt, wo die Baracken der Firma AEG standen. Ich arbeitete nach wie vor in zwei Schichten, für einen Lohn von 20-26 Mark wöchentlich. Für die Verpflegung mussten wir selber sorgen, sowie wir selber die Fahrten mit der S-Bahn zur Arbeit bezahlen mussten. Es gab keine medizinische Versorgung. Die Behandlung und das Besorgen von Medikamenten waren uns überlassen. Es kam einmal vor, dass ich schreckliche Zahnschmerzen hatte. Also ging ich zum Zahnarzt und verlor drei Zähne, einer war krank, zwei andere völlig gesund. Vielleicht war es ein Missverständnis? Oder Rache?

Sonntags, wenn ich nicht arbeitete, kochte ich mir Mittagessen. Unter dem freien Himmel, da es in den Baracken keine Kochmöglichkeiten gab. Vom Angebot der Gaststätten machte man selten Gebrauch, da es dafür kein Geld gab. Meistens aß ich also „trockene“ Produkte. In der Markthalle an der Invalidenstraße tauschte ich mit einem Deutschen Lebensmittelkarten (Butter gegen Brot) ein. Die Firma AEG gab uns Lebensmittelkarten.

Um Berlin zu besichtigen, gab es nicht viel Zeit. Wenn sich eine Gelegenheit ergab, besichtigten wir z.B. das Olympiastadion, den Alexanderplatz, das Brandenburger Tor, das KaDeWe. Ich machte keine Ausflüge außerhalb von Berlin, da ich Unannehmlichkeiten mit der Polizei befürchtete.

Ich führte kein religiöses Leben, abgesehen von Besichtigungen der Kirchen. Kontakte mit der Familie gab es nur brieflich, dabei gab es keine Hindernisse, Briefe von Zuhause zu bekommen und sie dahin abzuschicken.

Die negativen Erlebnisse aus Berlin stellen für mich die Luftangriffe dar. Ich hatte eine gute Arbeit, obwohl verantwortungsvoll. Aber mir gelang es, keinen Unfall zu verursachen. Daher genoss ich Vertrauen in meiner Abteilung. Ich war der einzige Pole, der in dieser Halle arbeitete. Schlimm war es mit dem Essen, da man im Alter von 19-22 Jahren große Bedürfnisse hat, was das Essen betrifft. Und ich hatte nach dem Gefängnis noch größere Bedürfnisse. Es gab keine Repressionen. Die Firma AEG sicherte uns ein ruhiges Leben und die Arbeit.

Schwer zu ertragen waren immer die Luftangriffe, die es fast jede Nacht, pünktlich um 0 Uhr gab. Es brach die Hölle in der Stadt los. Und nach der schlaflosen Nacht musste man zur Arbeit gehen. Allein über die Erlebnisse während der Luftangriffe könnte man ein Buch schreiben. Für mich war der schwerste Luftangriff der im Frühjahr 1944. Viele Bezirke standen in Flammen und im Rauch, man konnte nicht atmen. Höchstwahrscheinlich brannten die Gaswerke.

Es gab viele solche Nächte, in denen man knapp dem Tod entrann. Und wenn man es überlebt hatte, so nur mit Hilfe Gottes. So meine ich heute.

Es macht mich traurig, daß meine jungen Jahre durch die Zwangsarbeit und das Gefängnis für mich vertane Jahre sind. Für über zwei Jahre Arbeit bekam ich 1993 von der Stiftung eine Entschädigung in xxxxx . Heute sind es drei Tage Arbeit eines Deutschen. Sie sollten selber, verehrte Frau, urteilen, was für eine Gerechtigkeit das ist.

Andere Einzelheiten aus meinem Schicksal werden Sie aus dem beigefügten Schreiben entnehmen können, das ich an den Vorsitzenden des Verbandes der vom 3. Reich Geschädigten Polen in Łódź (...) schickte. Ich füge ein paar Fotos mit den polnischen Arbeitern der Firma AEG bei, die in den Baracken in Borsigwalde wohnten(...).
Anlagen: 4 Fotos aus Berlin;

Lagerausweis aus Borsigwalde;

Xxxxx

Dokumente des deutschen Gerichts;
Schreiben an den Vorsitzenden des Verbandes.
Diese Dokumente füge ich als Wahrheitsbeweise bei.
Bitte verzeihen Sie mir meine hässliche Handschrift. Es ist ein Andenken an die Verhöre bei der Gestapo im November und Dezember 1940, während deren man mir die Finger gebrochen hat.

Hochachtungsvoll
xxxxx
Łódź, den 5. Januar 1998

(Ausschnitte aus dem Schreiben an den Vorsitzenden des Verbandes)
... ich teile Ihnen das mir von den Deutschen zugefügte Unrecht mit:
1. Nach dem Angriff der Hitlers Schergen auf Polen 1939 nahm ich als Freiwilliger teil an der Verteidigung Warschaus, vom 5. September bis zum 28. September, d.h. zur Kapitulation der Hauptstadt.

2. Anfang 1940 wurde ich zusammen mit meiner Familie aus unserer Wohnung in der Franciszkańska-Straße 60 in die Rzgowska-Straße 4 ausgesiedelt; in der Wohnung blieb vieles von unserem Eigentum zurück.
3. Im Mai 1940 wurde ich festgenommen, in der Kopernik-Straße eingesperrt und mit einem Bahntransport zur Zwangsarbeit nach Ostpreußen verschleppt; ich floh aus dem Transport.

4. Im Alter von 17 Jahren wurde ich am 25. November 1940 von der Gestapo verhaftet und kraft eines gerichtlichen Urteils für die politische Tätigkeit zu 1 Jahr und 6 Monaten Gefängnis verurteilt. Während sechs Wochen Untersuchung wurde ich (...) von der Gestapo geschlagen, die von mir Aussagen herauspressen wollte, woher ich die Radionachrichten kenne. Dank meinem starken Willen hielt ich alles aus und verriet niemanden. Der Staatsanwalt verlangte 2 Jahre Gefängnis. Nach der Freiheitsstrafe im Gefängnis in der Kopernik-Straße und dann in Sieradz wurde ich am 28. Mai 1942 freigelassen.

5. Nach einigen Tagen in der Freiheit wurde ich erneut von der Gestapo verhaftet und in dem sogenannten Rassenlager eingesperrt, wobei man mich zur Zwangsarbeit in Wien bestimmte; erneut floh ich aus dem Transport.

6. Die gelungene Flucht brachte mir nicht viel Freiheit. Ich wurde erneut von der Gestapo festgenommen und mit einem Transport von Arbeitern der AEG in Łódź nach Berlin gebracht, wo ich in der Brunnenstraße als Kranführer vom August 1942 bis September 1944 arbeitete.

7. Nach den teppichartigen Bombardierungen wurden die Fabrikbaracken, in denen die Arbeiter von AEG wohnten, niedergebrannt. Danach flüchtete ich im September 1944, nicht ohne Schwierigkeiten, nach Łódź.

Bis zum Ende des Krieges wurde ich von der Gestapo gesucht, und nur dank meiner Erfahrung und der Hilfe anderer Polen fiel ich nicht in die Hände der Nazis, bis zur Befreiung von Łódź am 19. Januar 1945. (...)

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    1. Dokument in Kopie: Lagerausweis des ehemaligen polnischen Zwangsarbeiters Teofil S.

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DZSW 1426
Kurzbeschreibung

Teofil S. nahm Teil an der Verteidigung Warschaus am Kriegsanfang. Zur Strafe musste er zunächst ins Gefängnis. Nach der Verschleppung zur Zwangsarbeit nach Berlin war er als Kranführer tätig, was für einen Polen eine große Ausnahme war.

 

Herkunftsland: Polen

Geburtsjahr: 1923

Angaben zur Zwangsarbeit

© Dokumentationszentrum NS-Zwangsarbeit / Slg. Berliner Geschichtswerkstatt

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1. Dokument in Kopie: Lagerausweis des ehemaligen polnischen Zwangsarbeiters Teofil S.
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