Abschrift: xxxxx

Łódź, den 16.3.1998

Xxxxx geb. am 1.1.1927 in Orzechówek bei Łódź, wohnhaft seit 1933 in Łódź, Kusociński-Straße 86 m. 87. Ausbildung: Abitur.

Während der deutschen Besatzung wurde ich als 13jähriges Mädchen durch das deutsche Arbeitsamt zur Arbeit in der Firma „Ostdeutsche Uniformen-, Effekten- und Band-Fabrik“ in der Świętokrzyska-Straße 13 vermittelt. Ich stickte mit der Hand die Militärabzeichen. Das deutsche Personal behandelte uns gut, aber verlangte eine zuverlässige Arbeit. Wir verdienten wenig, aber es war für uns wichtig, dass wir zu Hause bleiben können.
Unterdessen wurde diese Fabrik im Mai 1944 liquidiert. Ein Teil von den Mädchen wurde zum Ausheben der Schützengräben geschickt, ein anderer Teil, und ich gehörte zu ihnen, wurde in der bekannten Firma Telefunken beschäftigt. Die Arbeit beim Schweißen von Anoden war nicht schwer, aber sehr verantwortungsvoll, wegen der doppelten Kontrolle.
Viele junge Mädchen führten diese Arbeit aus. Die Beziehungen zu den Arbeitgebern waren gut. Mitte August 1944 wurde sehr eilig die Evakuierung der Fabrik zu der anderen Filiale in Reichenbach (heute Dzierżoniów) angeordnet. Alle Lodzer Mädchen mussten sich mit den neuen Bedingungen abfinden. Mich und eine der älteren deutschen Arbeiterinnen beschäftigte man bei dem Fertigmachen von Lampen für Flugzeuge.
Wir wohnten in schwach beheizten Lagern, aber die Baracken waren sauber. Die Ernährung war bei der ermüdenden Arbeit von 12 Stunden in zwei Schichten unzureichend. Diese ältere deutsche Frau, mit der ich arbeitete, teilte mit mir ihr Brot. Im Dezember gab es großen Frost, aber wir konnten gemeinsam unter der Dusche in einer 10 Kilometer entfernten Badeanstalt baden. Riskant war nur der Rückweg mit den nassen Haaren. Leider, krank zu sein, stand uns nicht zu. Es gab keine medizinische Versorgung, keine Arzneien.
Als wir vom Bad zurückkehrten, hörte ich die Kirchenglocken läuten. Die verschneite Landschaft rief Erinnerungen hervor, die völlig anders als die traurige Wirklichkeit waren. Ich hielt eine Weile auf einem Hügel still, und wie verzaubert hörte ich mir diese wunderbaren Klänge an, und es schien, als kämen sie direkt vom Himmel. Ich spürte die Kälte nicht.
Anfang Januar 1945 wurde die Fabrik in Reichenbach liquidiert. Die meisten Arbeiterinnen wurden zum Ausheben der Schützengräben geschickt. Meine drei Kolleginnen von der Nachbarabteilung ... und ich wurden mit dem Zug nach Berlin, in die noch intakte Fabrik von Telefunken gebracht. In einem Abteil fuhren zusammen mit uns der Direktor der Firma, der Leiter, ein Meister und ein junger Assistent. Wir sahen sie später in der Fabrik. ... Berlin begrüßte uns mit dem Luftalarm und einer starken Bombardierung.
In der Stadt, die von den Raketen des Gegners beleuchtet war, war es hell wie am Tage, obgleich es Nacht war. Die Luft zitterte von den Explosionen der Bomben. Nach dem Alarm, der etwa eine Stunde dauerte und den wir am Bahnhof abwarteten, fuhren uns unsere Betreuer mit der S-Bahn ins nächste Lager in der Beusselstraße, unweit vom Hafen. Am Eingang hielten wir an, und der Direktor sagte zu mir: „Komm mit... mein Haus. Potsdam.“ Ich war völlig überrascht und befürchtete die Trennung von meinen Kolleginnen. Aber man ließ uns doch zusammen, und wir bekamen einzelne Passierscheine.
Im Lager, in dem hauptsächlich die Ukrainer wohnten, (es war ein großes Gelände, mit Baracken bebaut und umzäunt wie Auschwitz), das verlaust und verwanzt war, wohnten die Polinnen in zwei Stuben. Wir schlossen uns ihnen an.
Trotz der Erschöpfung ließen uns die Insekten, die sich in den Decken und Pritschen befanden, nicht einschlafen. Die dünnen Decken schützten nicht vor der Kälte, also schliefen wir in Kleidern. Das war nötig, auch wegen der mehrmaligen nächtlichen Luftangriffe, während der wir, zitternd vor Kälte und vor Entsetzen, zu den Betongräben liefen, wo wir in der Enge fast erstickten.
Uns quälte auch schrecklicher Hunger. Eine halbe Schüssel dünner grüner Suppe täglich und 50 Gramm Margarine, genauso viel Wurst und ein Pfund Brot wöchentlich, das war unsere ganze Ernährung.
Zur Fabrik hatten wir es etwa 3 Kilometer weit. In der zweiten Aprilhälfte arbeiteten wir in drei Schichten. Während der Alarme liefen wir in die Luftschutzkeller. Erst in der zweiten Aprilhälfte wurde die Fabrik geschlossen, und man hörte auf, uns die festen Mahlzeiten zu liefern. Es gab nur das Leitungswasser. In Erwartung des Schlimmsten blieben wir im Lager, bis die Bomben unsere Baracken trafen, die dann niederbrannten. Alles, was wir besaßen, war verbrannt, der Brand überraschte uns. Fast wahnsinnig vor Entsetzen und fast bewusstlos liefen wir unter dem Hagel von Splittern davon, ohne die Kugeln und Bomben um uns herum zu beachten. Meiner Kollegin Marta schlitzte ein Splitter den Bauch auf. Verwundet, verbrannte sie in der Baracke. Der Draht am Zaun war bereits durchgeschnitten. Wir verlieren unsere Kolleginnen aus den Augen, nur Wiesia und ich hielten zusammen.
So gelangten wir zu der Weinfabrik, die noch unversehrt stand. In dem Fabrikkeller gab es drei Polen, die Wiesia kannte, und zwei ältere deutsche Frauen. Man empfing uns und teilte mit uns die Kartoffelflocken und den warmen Malzkaffee. Nach ein paar Tagen zerstörte eine Bombe auch diese Fabrik. Durch eine Öffnung an der Wand gingen wir nach draußen. Es wurde enttrümmert. Wir gerieten ins Zentrum der Front.
Ein russischer Soldat, der Wache hielt und Polnisch sprach, befahl uns, in den Park am Kanal zu gehen, wo eine Pontonbrücke aufgebaut wurde und von wo Militärwagen abfuhren. Die sollten uns an einen sicheren Platz hinter der Front befördern.
Wir drängten uns durch die Trümmer und Hunderte von Leichen durch. Es war eine ziemlich lange Strecke, manchmal konnte man nur mit Schwierigkeiten durch. Es gab außer Wiesia und mir niemanden auf den Straßen. Die ganze Zeit im Zentrum der Front, gelangten wir endlich zu dieser Brücke. Man fuhr uns gleich auf die andere Seite, denn es gab einen verstärkten Angriff auf den Hafen. Die im Hafen antworteten mit Beschuss. Wir mussten gleich in die Schützengräben gehen. Wir warteten ein paar Stunden ab. Als wir draußen waren, standen die Lastwagen, die Munition bringen sollten (der Krieg dauerte doch noch an), bereit zur Abfahrt. Wir, eine kleine Gruppe, stiegen gleich ein. und noch vor der Nacht gelangten wir in ein Lager französischer Kriegsgefangener, das von den Russen befreit wurde. Man empfing uns herzlich, wir konnten uns am Brunnen waschen, man teilte das Abendbrot mit uns und erlaubte uns, dort zu übernachten.
Am nächsten Tag brachen wir gleich nach dem Frühstück zu Fuß zur nächsten Stelle (unweit von der Bahn) auf. Zum Glück nahmen uns wieder die Munitionslastwagen ein Stückchen weiter mit. Dank der Freundlichkeit eines russischen Offiziers fanden wir dort Verständnis und Obhut. Wir schliefen dort eine Nacht, dann verzehrten wir zwei Pellkartoffeln und gingen zur nahen Bahnstation. Von dort fuhren wir auf der Plattform, die mit solchen Überlebenden wie wir überfüllt war, in Richtung Poznań ab. Unterwegs hielten wir uns an den Sicherungsketten fest. Das war unsere letzte Etappe in der Rückreise nach Polen.
In Poznań empfing uns das Polnische Rote Kreuz mit einem Schmalzbrot und Malzkaffee. Mit dem Güterzug fuhr ich dann weiter nach Łódź, wo ich am 5. Mai 1945 ankam.
Während der Freizeit machten wir die Wäsche, putzten, wuschen uns mit dem kalten Wasser, stopften unsere Kleider (vor allem die Strümpfe).
Bemerkungen: Sonntags und zu Ostern gab es keine Luftangriffe. Ich nahm den Buchstaben „P“ ab und fuhr mit der S-Bahn in die Stadt, um Berlin zu besichtigen. Es gab viele Trümmer, aber viele schöne Häuser standen immer noch. Schön waren auch die S-Bahn-Stationen. In Berlin bekam ich einmal Lebensmittelkarten, nicht viel, aber man konnte ohnehin nichts für sie kaufen. Ich hatte keinen Kontakt zu meiner Familie. Es gab keine Möglichkeit zur Korrespondenz.
Nach meiner Rückkehr nach Hause waren mein Vater und meine Schwester noch nicht da. Sie waren noch nicht aus Deutschland zurückgekehrt, wohin auch sie im Herbst 1940 verschleppt worden waren.

Ich könnte auch andere detaillierte Fragen nach meinen Möglichkeiten antworten.
NIE WIEDER KRIEG!!!
xxxxx

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    Fotografie in Kopie: Portrait der ehemaligen polnischen Zwangsarbeiterin Jadwiga S.

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DZSW 1481
Kurzbeschreibung

Jadwiga S. erhielt bereits mit 13 Jahren die Arbeitsverpflichtung vom Arbeitsamt. Die ersten 4 Jahre war sie in Łódź tätig, dann wurde sie nach Niederschlesien versetzt. Hier erlebte sie einen schweren Luftangriff auf ihr Barackenlager, bei dem Kolleginnen starben.

 

Herkunftsland: Polen

Geburtsjahr: 1927

Angaben zur Zwangsarbeit

© Dokumentationszentrum NS-Zwangsarbeit / Slg. Berliner Geschichtswerkstatt

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© Dokumentationszentrum NS-Zwangsarbeit / Slg. Berliner Geschichtswerkstatt

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Fotografie in Kopie: Portrait der ehemaligen polnischen Zwangsarbeiterin Jadwiga S. © Dokumentationszentrum NS-Zwangsarbeit / Slg. Berliner Geschichtswerkstatt