Abschrift: xxxx
Das Schicksal der Zwangsarbeiter in AEG Hennigsdorf

Es ist ein halbes Jahrhundert vergangen seit den Erlebnissen, an die ich mich mein ganzes Leben lang erinnere. Ich sehe alles vor meinen Augen, ich habe alles in Erinnerung behalten.
Das Jahr 1939. Als der Krieg begann, war ich erst 14. Ich schloss die Grundschule ab, bestand die Aufnahmeprüfung zum Gymnasium. Der Krieg vereitelte meine Pläne, machte meine Freude zunichte.
Es begannen die wirren Kriegsjahre. Ein Jahr lang blieb ich zusammen mit meinen Eltern und meinen jüngeren Geschwistern, meiner xxxx Mein älterer Bruder xxxx wurde während einer Straßenrazzia geschnappt und nach Hannover zur Zwangsarbeit verschleppt. Er war damals 18, schrieb uns verzweifelte Briefe, wir waren um ihn sehr besorgt.
Im Frühjahr 1940 wurden wir aus unserem Haus zwangsweise ausgesiedelt: innerhalb von einer Stunde mussten wir das Haus verlassen. Zum Glück hatten wir eine Tante, die Hebamme war und gute Beziehungen zu den Deutschen hatte. Sie erbat für uns eine Wohnung in der deutschen Siedlung Łódż-Widzew. Die Stadt war 7 km entfernt. Der Winter 1941 war sehr hart. Mein Vater mußte, als er zur Arbeit ging, 3 km zu Fuß zur Straßenbahn zurücklegen. Auf den Straßen gab es ständig Razzien, die besonders der Jugend zusetzten. Meine Stadt hieß Litzmannstadt. Es war eine Arbeiterstadt.
Wie ich bereits erwähnte, lag unsere neue Wohnung in einer deutschen Kolonie. Nur ein einziger Pole, xxxx lebte dort und wir. Er hatte auch zwei Töchter. Mehrmals erschienen dort die Gendarmen, um uns abzuholen. Wir mussten uns verstecken. Schließlich aber mussten wir uns beim Arbeitsamt für Jugendliche registrieren lassen. Ich war nicht einmal 17.
Froh kam ich nach Hause, denn ich bekam Arbeit in dem Kosmetischen Labor Emil und Rudolf Matz. Diese Arbeit war angenehm, aber dauerte nicht lange: 1 Jahr und 6 Monate. Gebrüder Matz hatten ihre Verpflichtungen gegenüber dem 3. Reich und mußten von Zeit zu Zeit ihre Arbeiterinnen dem Arbeitsamt zur Verfügung stellen, damit sie nach Deutschland geschickt wurden. Das war die Voraussetzung für das weitere Bestehen des Labors. In der letzten Gruppe war ich mit zehn Kommilitoninnen, mit denen ich das weitere Schicksal teilte.
Ich wusste, dass wir uns bei der AEG am Wodny Rynek 2 melden mussten. Dort stellten sie die Transporte nach Deutschland zusammen. Dort waren Mädchen in meinem Alter, auch jüngere, nur drei Personen im Alter von etwa 25 Jahren, von xxxx xxxx xxxx sowie andere, die direkt nach Deutschland geschickt werden sollten. Am Abend des 23. März 1943 verabschiedete ich mich vor dem Eingangstor zur AEG von meinen Eltern, meiner Schwester und meinen Freundinnen, die mich bis dahin begleiteten. Auf der einen Seite weinten diejenigen, die in Łódż blieben, auf der anderen diejenigen, die auf ihr Schicksal warteten. Es war eine wahre „Klagemauer“. Zum Schluss riet mir meine Mutter: ziehe dich stets warm an, sei tapfer und gehorsam, schreib viel, treibe dich nicht mit den Jungs herum, denn du beginnst dein selbständiges Leben. All das versprach ich meiner Mutter. Niemand tröstete mich, denn niemand wusste, was für ein Schicksal mir bevor steht.
Dieses andere Leben begann damit, dass man uns in einen Saal brachte, wo wir an den Tischen mit unserem kleinen Gepäck oder mit Koffern saßen. Wir waren schweigsam und voller beängstigender Gedanken darüber, was uns der nächste Tag bringen wird. Die Nacht verging still und traurig. Am Morgen um 5 Uhr früh fuhren wir mit der Straßenbahn zum Bahnhof Łódż-Kaliska. In diesem Transport waren 50 Personen. Es war der 24. März 1943. Man ließ uns in die Personenwaggons einsteigen. Wir fuhren nach Poznań. Dort stiegen wir in Richtung Berlin um. Wir fuhren in ein uns unbekanntes Land. Es begann eine unruhige Nacht.
Station Zbąszyń (Bentschen - Anm. d. Ü.). Dort gab es Bad, Desinfektion, Selektion, obwohl alle Mädchen für diese Reise gut vorbereitet waren, gut angezogen, sauber, duftend. Und hier erlebten wir etwas Schreckliches. Wir mussten vor einer Ärztekommission, die nur aus Männern, deutschen Offizieren bestand, nackt vorbeimarschieren. Für mich persönlich war das der erste Schock, ich litt sehr darunter. Die Herren Deutschen teilten uns in zwei Gruppen. Die nackten Mädchen wussten nicht, worum es ging (ich dachte mir, daß es hier in der Nähe ein Krematorium gibt). Zum Glück aber führte man uns hinaus und wir bekamen unsere Sachen zurück, die desinfiziert und gedämpft wurden. Die Kleider waren zerknittert, feucht und stinkend. Erneute Verzweiflung.
Nach dem Bad fuhr man uns mit den feuchten Kleidern in einem Lastwagen ohne Plane von dort weg. Es war ein kühler Märzabend. Wir gelangten nach Pappenberg an der Havel. Im Gutshof „Heim Ross“ standen in einem Restaurantsaal 40 Betten, sog. Pritschen.
Unser gemeinsames Leben war dort nicht schlecht. Wir befreundeten uns. Wir bekamen die Lebensmittelkarten und kochten einige Zeit selber. Ich schreibe alles in aller Kürze, um ein allgemeines Bild zu vermitteln.
An meinen Kleidern trug ich den Buchstaben „P“, was mir weder Depression noch Demütigungsgefühle bereitete. Im Gegenteil: ich war stolz darauf. Jedoch gab es niemanden, abgesehen von dem jüdischen Stern und dem „Ost“ der Russen, der so gekennzeichnet war, und in Henningsdorf waren viele Nationalitäten.
Nach einiger Zeit brachte man uns in ein Lager. Dort gab es Holzbaracken und kleine, kalte Stuben (6 x 6), Strohsäcke und Kopfkissen, gefüllt mit Papier. Die Decke war dreckig, klebrig und stinkend. Schrecklich! Das Gelände war mit dem Stacheldraht umzäunt, es gab eine Wache und das Verbot, nach 20 Uhr auszugehen.
Ich arbeitete in den „deutschen Saal I“, zusammen mit xxxx Das waren Franzosen, der Vater, der Schwiegersohn und drei Söhne: xxxx. Die Arbeit war verantwortungsvoll und nicht einfach. Ich arbeitete als Elektriker, unter Vorlage eines Schemas. Der Meister war xxxx er wohnte in Vellten. Er war ein sehr guter Mensch, mit einem vertrauenerweckenden Blick und guten Herzen. Mehrmals lud er sich zu mir ein. Er hatte eine Tochter, xxxx, in meinem Alter, und die Mutter war Polin, die seit dem 1. Weltkrieg in Vellten lebte. Er half mir. Ab und zu brachte er mir belegtes Brot oder ein wenig Stachel- oder Johannisbeeren mit. Das legte er an meinen Arbeitsplatz hin, und machte das diskret, damit niemand das sah. Er sagte: „xxxx, Ruhe!“, Und legte seinen Finger auf die Lippen.
Später versetzte man mich in einen anderen Saal, doch in derselben Abteilung, auch bei den Abhörgeräten, bloß den größeren. Bei einer solchen Maschine arbeiteten sechs Mädchen und darüber hinaus ausschließlich die Militärs. Das war eine Militärabteilung. Uns bewachte der Soldat Albert N.. Er war kein guter Mensch, stets setzte er mir zu und schikanierte mich. Die Arbeit verlief in zwei Schichten und dauerte 12 Stunden. Ich verdiente 12 Mark und 50 Pfennige. Für das Essen in der Kantine zog man uns 10,50 Mark ab, so blieben 2 Mark für den ganzen Monat übrig, so dass ich mir nicht einmal ein Glas Limonade kaufen konnte. Es vergingen qualvolle Tage und schlaflose Nächte. Die Luftangriffe auf Berlin kamen immer öfter vor. Und es war klar: sie begannen und endeten in Hennigsdorf. Die Lebensmittelrationen waren zum Verhungern. 150 Gramm schwarzes Brot und 20 Gramm Margarine oder Marmelade aus gelben Rüben. Nur das Mittagessen, das wir sechs zusammenarbeitenden Polinnen einmal in zwei Wochen in der Kantine, zusammen mit den Soldaten, bekamen, war gut und nahrhaft.
Die medizinische Versorgung: Es gab einen Arzt, den Serben, der Internist, Zahnarzt, Gynäkologe und viel mehr zugleich war, und die Mädchen für seine Bedürfnisse heranlockte. Ich verzichtete auf seine Betreuung. Daher verschleppte ich den Husten, der mich ständig, im Sommer wie im Winter, plagte; nach dem Krieg musste meine Bronchitis sehr lange behandelt werden, was mir sehr zusetzte.
Freizeit: Gewöhnlich gingen wir spazieren oder saßen gelegentlich in der Kantine und schauten uns z. B. die Auftritte der Tschechen an. Uns Polen war es verboten, irgendetwas zu veranstalten. Irgendwo, auf dem Wege nach Spandau, fühlten wir uns locker und sangen polnische Lieder.
Das religiöse Leben: In Hennigsdorf gab es eine kleine Kirche, in der an jedem ersten Sonntag des Monats die Heilige Messe auf Polnisch und die allgemeine Beichte gehalten wurde.
Wir hatten keine engen Kontakte mit unseren Familien. Für die Polen gab es keinen Urlaub, so blieb uns nur der Briefwechsel übrig. Ich wartete immer sehnsüchtig auf die Briefe.
Das Schicksal meiner Familie: Meine Eltern wurden 1943 zum Ausheben der Schützengräben verschleppt. Mein jüngerer Bruder arbeitete als Zwangsarbeiter bei einem deutschen Bauer. Zu Hause blieb meine achtjährige xxxx alleine. Meine Tante sorgte für sie.
Was Berlin betrifft, war es für mich persönlich das Fenster zur Welt. Es fiel die Ordnung auf, die Straßen waren sauber, es gab Grünanlagen, Parks, Rasen und Blumen, welche die Spuren der Kriegszerstörungen verdeckten. Mein Bruder xxxx der - wie ich bereits erwähnte - in Hannover arbeitete, kam nach Berlin. Er wohnte in der Turmstraße, unweit von Unter den Linden. Ohne das Abzeichen „P“ besichtigte ich die großen Kaufhäuser, Museen oder auch den Treptower Park. Das hatte ich in meiner Stadt nicht.
Abgesehen davon waren die vergehenden Tage und Nächte schrecklich. Der 18. März 1945 war für uns in Hennigsdorf ein besonderer Tag. Es war ein trüber Sonntag, aber gegen Mittag wurde der Himmel klar. Die Sirenen begannen zu heulen und kündigten den Luftalarm an. Die deutsche Flak schoß in Richtung Himmel. Es flog die ganze Staffel von Bombern in Kampfordnung. Vor den Baracken standen Hunderte von Zwangsarbeitern und schauten sich diese Luftparade der Alliierten an, denen die Deutschen nicht mehr imstande waren, die Stirn zu bieten. Der Luftangriff dauerte ca. 2 Stunden. Wir dachten schon, die Parade sei vorbei. Aber als die letzten zwei Staffeln vorüberflogen, wurde von einem der Bomber eine Rakete abgeschossen, die mit einem weißen Wölkchen nach oben ging und dann herunterzufallen begann. Sie zog einen weißen Schweif hinter sich. Die Richtung war festgelegt: AEG Hennigsdorf. Nach einer Weile hörten wir das Pfeifen der fallenden Bomben, wir spürten die Druckwelle, die Erde zitterte, man vernahm das Rauschen, ähnlich dem Rauschen des Meeres während eines Sturms. Dann ein Donner und die Detonation. Es war eine Art Erdbeben. In der Luft flogen Fässer und andere Gegenstände. Die Fabrik wurde zum größten Teil ausgebombt und zerstört.
Am 22. April 1945 um 5 Uhr früh hörte man unaufhörlich Kämpfe, den Kanonendonner der Artillerie. Ich verließ unsere Stube nicht. Es kam die Befreiung. Heute kann ich nicht die Gefühle beschreiben, die sich damals meiner bemächtigten. Nach 5 Jahren Unfreiheit sah ich dort, in der Fremde, den polnischen und den sowjetischen Soldaten. Sie gingen verdreckt, ausgehungert und entkräftet mit dem „Hurra, Hurra!“ nach Berlin. Die Deutschen waren nicht zu sehen. Und so kam am 22. April die Freiheit, die mir die Rückkehr nach Hause, in die Heimat ermöglichte. Gemeinsam mit einer Gruppe von Kommilitoninnen und Kommilitonen machten wir uns auf den Weg. Nach vielen verschiedenen Erlebnissen kehrte ich am 3. Mai 1945 zu meinen Eltern zurück, zu meinen Bruder und meiner Schwester, die unterdessen zu einem schönen Mädchen heranwuchs. Der Freude gab es kein Ende. Ich danke dem Herrgott für seine Obhut.

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2. Kapitel

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DZSW 1376
Kurzbeschreibung

Sehr ausführlich beschreibt Krystyna K. ihre Erlebnisse, den Arbeitseinsatz und den Alltag in Berlin, als sie Zwangsarbeit für die AEG-Werke leisten musste. Dank ihres hilfsbereiten Meisters fiel ihr die beschwerliche Arbeit an der Herstellung und Prüfung von Abhörgeräten für das Militär leichter.

 

Herkunftsland: Polen

Geburtsjahr: 1925

Angaben zur Zwangsarbeit

© Dokumentationszentrum NS-Zwangsarbeit / Slg. Berliner Geschichtswerkstatt

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