Abschrift: Xxxx


Es vergehen gerade 55 Jahre seit der finsteren Nacht, die ich damals als 15 jähriger Junge aus Warschau erlebt habe. Jene 26 Monate kann ich nicht anders bezeichnen, als eine planmäßige Vernichtung der polnischen Nation durch die mörderischen Hitlerdeutschen. Es läßt sich nicht beschreiben, was ich durchmachte. Viele Ortsnamen und Ereignisse sind im Laufe der Jahre in meinem Gedächtnis undeutlich geworden. Alle Briefe, Postkarten und Fotos, die ich meiner Familie geschickt hatte, wurden während des Aufstandes in Warschau, wo meine Eltern lebten, verbrannt.

Im März 1943 wurde ich nach Deutschland zur Zwangsarbeit verschleppt. Die erste Etappe war der Aufenthalt in einer Ortschaft bei Berlin, 10-15 km von der Stadt entfernt, wo ich in einer Fabrik beim Schneiden der gusseisernen Platten arbeitete. An den Ortsnamen kann ich mich nicht mehr erinnern. Ich weiß noch, dass der Weg zur Arbeit anstieg und die Lagerbaracken etwas tiefer lagen. Die Arbeit dauerte 12 Stunden täglich, außer sonntags. Für diese Arbeit bekam man 200 Gramm Brot, 0,5 l Kaffee und nach der Arbeit Suppe, die wir „Gemüsesuppe“ nannten, da außer Steckrüben, Kohlblätter oder den Blättern der roten Rüben und ein paar Kartoffeln nichts drin war. Das war das tägliche Menü.

Ich war so erschöpft und entkräftet, dass ich gleich nach der Arbeit schlafen ging. Die Sonntage und die Freizeit verbrachten wir in Gesprächen mit den Leidensgenossen; wir sprachen über verschiedene Themen, am meisten über die Familien, über unser Elend, über die Verachtung seitens der Deutschen. Von der Zivilbevölkerung waren wir isoliert, zu tun hatten wir ausschließlich mit den Wachmännern und dem Bewachungsdienst. Und diese verehrten Herren sprachen uns nur mit „polnische Schweine“ an sowie mit „schnell“, “arbeiten!“ und später mit dem polnischen Fluch „cholera jasna!“. Manchmal schlugen sie uns wahllos mit ihren Peitschen. Die Freizeit widmete ich dem Schreiben der Briefe an die Familie, der Wäsche und dem Reparieren der Kleider. Wir kochten uns Pellkartoffeln, um den Magen zu sättigen. Hunger und Verzweiflung herrschten im ganzen Lager.

Meine nächste Arbeitsstelle war in Berlin-Kladow. Ich wohnte in einer Baracke, etwa 50 m von einem großen See entfernt. Tagtäglich fuhr man uns nach Berlin zur Arbeit beim Bunkerbau und bei der Enttrümmerung. Das Leben war hier wie in anderen Lagern. In der Nähe von unserer Baracke gab es eine Gaststätte, von der wir Gebrauch machen konnten. Für Polen gab es dunkle Nudeln mit Schnecken. Diejenigen, die kein Geld hatten, waren auf die Lagerzuteilungen angewiesen, d.h. Brot, Kaffee, irgendwelche Suppe, die dem Abwaschwasser ähnelte und ohne Geschmack war.

Ich erinnere mich, dass ich einmal während der Arbeit in die Toilette ging und dort einschlief. Nach einer Weile stürzte ein Soldat, der uns bewachte, herein und begann zu brüllen. Dann schlug er mich ein paar Mal mit dem Stock. Von diesem „Paradies“ hatte ich genug. Wir sprachen mit Kommilitonen und sind zur Überzeugung gekommen, wir sollten diese Firma verlassen. Es ergab sich eine Gelegenheit dazu: Ein paar Arbeiter von dieser Firma schickte man zur Arbeit ins Zentrum Berlins. Unsere neue Wohnstätte war in der Breiten Straße in der Nähe vom Reichstag. Laut Gerüchten wohnten wir in den einstigen Pferdeställen von Wilhelm. Hinter der Mauer gab es dort den Kanal, dessen Name ich nicht mehr weiß. Ich erinnere mich, dass ich, nachdem ich Pakete aus Krakau und Widawa bekam, zusammen mit einem Deutschen zum Alexanderplatz Bier trinken ging und dass ich dort Zigaretten verkaufte oder sie gegen Brot oder andere Lebensmittel tauschte.

Die amerikanisch-englischen Luftangriffe wurden immer regelmäßiger und länger und mit der Zeit verwandelten sie sich in teppichartige Bombardierungen. Berlin wurde systematisch zerstört und verbrannt. Uns schickte man in verschiedene Stadtteile zur Enttrümmerung der Straßen und Bürgersteige. Viele Stunden am Tag und in der Nacht verbrachten wir in Bunkern oder Kellern. Die Stimmung wurde immer besser. Die Deutschen begannen zu sagen: Hitler kaputt!

Zu dieser Zeit ließ ich mich von meinen Kommilitonen überreden und verließ Berlin; zusammen mit einer neuen Firma „Domb“ fuhren wir nach Darmstadt. Untergebracht hat man uns in Eberstadt, in einer Sporthalle, etwa 3-5 km von Darmstadt entfernt. Die ersten Wochen arbeiteten wir bei der Instandsetzung eines Gaswerkes, wo wir verschiedene Geräte und Einrichtungen von den Trümmern reinigten. Dann, nach der Zerstörung der ganzen Stadt durch die Luftangriffe, wurden wir bei der Enttrümmerung eingesetzt.

Ende September 1944 kam nach dem Morgenappell die Gestapo, die uns ins Gefängnis in Darmstadt brachte. Während des sechsmonatigen Aufenthalts in diesem Gefängnis arbeitete ich im sog. Polizeikommando. Ich dachte, es sei bereits das Ende. Hunger, Kälte, Winter ohne Kleider, Läuse, Krätze. In einer Zelle von 12 m2 waren wir 16-18 Personen. Wir schliefen auf dem Fußboden, hingelegt wie Heringe. Jeder roch an den Füssen des anderen. Als Kopfkissen - Holzschuhe und Wickellappen, als Decke - Mantel oder Jacke. Und nach dem Morgenwaschen (3 l Wasser für 16 Personen) holte man uns zur Arbeit ab. Wurde der Name aufgerufen, so musste man durch die Tür gehen, an der zwei Gestapobeamte mit Peitschen standen und mit aller Kraft die Gefangenen auf den Kopf, Rücken, egal wohin schlugen. Und eines Tages hörten sie auf, uns zu schlagen. Die Gestapobeamten erschienen in Zivil. Vor Ostern wurden wir ohne jegliche Dokumente aus dem Gefängnis entlassen. In Viererreihen marschierten wir Richtung Zentraldeutschland. Die Kolonne behielt ihre Ordnung bis zum ersten Luftangriff der amerikanischen Jäger. Am Ostermontag tauchten Panzer und die amerikanische Armee auf. Wir waren frei.

Und jetzt denke ich, ob das, was ich durchmachte, ein Horror, die Entrechtung, das Berauben der Menschenwürde oder die Hilflosigkeit war. Ich werde den Deutschen nicht vergessen, was sie mit meiner Jugend gemacht haben sowie das, was ich von ihnen erfuhr. Ich verzeihe nicht! Für die Sklavenarbeit bekamen wir keine Entlohnung. Im Gefängnis herrschte Skorbut, die Folge von fehlenden Vitaminen, besonders von der Zwiebel. Jetzt bin ich 70, xxxx. Die Zeit der Versklavung und Repressionen beeinflussen meinen gegenwärtigen Gesundheitszustand.

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DZSW 1410
Kurzbeschreibung

Jerzy S. war als Zwangsarbeiter in der Metallverarbeitung eingesetzt. Die Zeit war vom Hunger, Entkräftung, Verzweiflung und Angst stark geprägt. Ende September 1944 kam er nach Darmstadt ins Gefängnis, wo er im so genannten Polizeikomamando eingesetzt war.

 

Herkunftsland: Polen

 

 

Angaben zur Zwangsarbeit

© Dokumentationszentrum NS-Zwangsarbeit / Slg. Berliner Geschichtswerkstatt

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