Abschrift: Xxxxx


geb.xxxx, am 1.3.1924, Tochter von Józef und Marianna,
in Wola Pszczółecka, Gemeinde Wigezłów, Kreis Łask

In Polen begann der schreckliche Krieg .Die Leute flüchteten aus ihren Häusern, nahmen mit, was sie konnten und gingen fort, da sie nicht wussten, was sie tun sollten. Die Hölle auf Erden begann. Zu uns kam der deutsche Satan.

Auf dem Lande, wo ich wohnte, lebte es sich gut. Das Dorf war schön und ruhig. Die Menschen konnten sich auch über wenig freuen. Ich hatte gute und arbeitsame Eltern. Zu Hause gab es uns sieben Geschwister und alle achteten sich gegenseitig. Ich absolvierte die Grundschule und sollte einen Beruf lernen, als der Krieg ausbrach und alle Pläne durchkreuzte. Der größte Schock für mich war die Pazifizierung dreier Dörfer. Häuser wurden niedergebrannt, Leute mit Schlägen und Tritten ins Unbekannte vertrieben. Manche liefen davon, aber die wurden geschnappt. Ihr Schicksal war schwer: Folter und Unterdrückung ohne Ende. Unserem Dorf wurde dieses Schicksal erspart. Aber jeder Deutsche konnte (und tat das) uns ohne Grund bespucken, treten, schlagen. Und nicht nur die Gestapo, auch einfache Soldaten von der Wehrmacht taten das. Jetzt wird alles der Gestapo in die Schuhe geschoben, und die Wehrmacht bleibt sauber.

Man machte Razzien, in denen Menschen wie Tiere gejagt wurden. So wurde auch ich geschnappt, als ich für meine Eltern etwas erledigen ging. Ich konnte mich weder wehren noch fliehen. Ich wusste, ich war in die Hände der Henker geraten, aber ich wusste nicht, was nun kommt. In unserer Gegend nahmen sie viele junge Mädchen im Alter von etwa 16 Jahren fest. Wir wurden in das nahe Städtchen Zelowo gebracht, wo man uns in eine Garage einsperrte. Dort saßen wir ohne Essen und Trinken zwei Tage lang. Nach diesen zwei Tagen ließ man uns auf Lastwagen steigen und brachte uns nach Łódź, wo wir in einer Fabrik eingesperrt wurden. Dort gab es bereits viele Festgenommene. Manche waren nahezu kraftlos. Zu Essen bekam ich am dritten Tag: schwarzen Ersatzkaffee (Abwaschwasser) und ein Stückchen Brot, das zerbröckelte. In dieser Fabrik saßen wir etwa drei Wochen. Hunger, Gestank. Ich weiß nicht, wie die schwächeren das aushielten. Leute von draußen warfen uns über die Mauer Brot, Brötchen, Obst, sogar das Wasser in Flaschen. Sie wollten uns helfen, da sie vermuteten oder gar wussten, was sich hier abspielt. Und wir konnten uns nicht einmal diesen Gaben nähern, gleich gab es Schläge und Flüche. Die Deutschen, Frauen und Männer, gingen mit großen Körben herum und sammelten alles auf. Uns blieb nur das Zähneknirschen vor Hunger und Durst.

Von dieser Fabrik brachte man uns zum Zug, in den man uns schlimmer als Tiere zusammenpferchte. Die Deutschen protzten damit, dass sie es schafften, 7.000 einzuladen. Man fuhr uns ins Lager Stutthof. Ich dachte, nach dieser Fabrik kann mir nichts Schlimmeres passieren, aber das, was ich im Lager sah, war furchtbar. Zunächst entzog man mir meinen Namen. Ich bekam eine Nummer auf einer Tafel, die man mir an einer Kette auf die Brust hängte: 247. Frühstück: ein Stückchen Brot und ein Becher ekelhaften Kaffees. Mittagessen: Steckrüben, Kartoffelschalen oder Spinat mit Sand und Lehm, oder zwei Pellkartoffeln. Sehr oft Appell, stundenlanges Stehen bei Frost. Schreckliche Strafen für irgendein Vergehen. Das Begiessen mit Kaltwasser. Das Stehen mit hochgestreckten Händen, Gymnastik. Schläge. All das war auf der Tagesordnung. Man wollte aus dem Menschen ein dummes Vieh (mit Verzeihung an die Tiere) machen. Alle hatten nur die Kleider, in denen sie mitgenommen wurden. Viele nur Sommerkleider. Ich hatte ein Kleid und eine Schuljacke an. Gott sei Dank, dass es zu dieser Zeit keinen großen Frost gab, ansonsten wäre ich zu Tode gefroren. Ich saß in einem Raum, in dem etwa 500 Mädchen waren. In Stutthof blieb ich etwa anderthalb Monate.

Eines Tages um vier Uhr früh kamen in unseren Saal vier bewaffnete Deutsche und drei Ärzte. Von etwa 500 Mädchen wählten sie 49, die noch gesund waren. Sie untersuchten uns sehr gründlich, nahmen unsere Fingerabdrücke ab, luden uns auf Lastwagen und fuhren uns nach Berlin in die Schöneweidestraße. Dort bekam jede einen Strohsack aus Sackleinen. Dann führte man uns auf einen Platz, wo ein Haufen von Holzspänen lag. Wir stopften unsere Strohsäcke und Kissen mit den Spänen. Zwei Decken dienten als Laken und Bettdecke. Zwei Tage waren arbeitsfrei. Wir hatten sehr wenig Essen. Aber nach den Erlebnissen im Lager schienen uns diese Bedingungen einfach gut. Nach zwei Tagen führten uns vier bewaffnete Deutsche zur Arbeit in die Fabrik von Knis und Kromarek. So begleiteten sie uns einen Monat lang. Dann ließ man uns alleine dahin gehen. Nach einiger Zeit tauchten in den Kissen und Strohsäcken Wanzen auf. Das war schwer auszuhalten, dermaßen stachen sie uns, am Tag und in der Nacht.

Nach einem Jahr brachte man uns nach Spindlersfeld an der Spree. Dort gab es einen Sportplatz. Das Gebäude war aus Ziegelsteinen, unser Raum war groß, mit Etagenbetten. Zur Arbeit gingen wir auch alleine. Wir mussten viel und gut arbeiten. Ich arbeitete zusammen mit einer Kollegin in einer großen Halle mit Maschinen; das waren die Stanzmaschinen. Die Arbeit war sehr schwer, aber wir beklagten uns nicht, denn bei wem und wozu. Wenn es keine Arbeit an den Stanzmaschinen gab, gingen wir woanders hin. Wir arbeiteten doch gerne, da wir einen guten Meister hatten. Xxxxx Er hatte uns zwei Polinnen, und in der anderen Halle holländische Militärs. Dem Meister verdanke ich sehr viel. Er war sehr kultiviert und edelmütig. Immer redete er mit uns. Morgens ließ er mich Kaffee für ihn kochen, da er selber oft keine Zeit hatte; denn die aufgezwungene Norm galt auch für ihn. Wenn er konnte, ließ er uns ausruhen. Er teilte sein Frühstück mit mir, und ich teilte mit meiner Kollegin. Ein paar Male nahm er mich zu sich nach Hause bei Berlin zum Sonntagsessen mit. Nie wieder schmeckten mir Kartoffelpuffer mit Quark so gut, wie die, die seine Frau für uns briet. Er hatte ein schönes Häuschen, zwei Ziegen und ein Stückchen Garten. Er fand Gefallen an mir, da ich ihn an seine Töchter erinnerte. Und er hatte zwei Töchter, die in der Schule in Bayern waren. Sie sahen sich selten, da man sie nicht nach Hause ließ.

Gegen Ende des Krieges begannen die schrecklichen Luftangriffe auf Berlin. Während eines Luftangriffs wurde die Fabrik, in der ich arbeitete, zerbombt. Berlin war eine schöne Stadt, aber nach den Bombardierungen sah es schrecklich aus. Die Deutschen wollten die ganze Welt vernichten und nur ihre Rasse einführen, und sie brachten es dazu, dass ihre eigenen Leute umgebracht und ihre Städte zertrümmert wurden. Die damals leidenden Menschen können bis heute jenes Blutbad nicht vergessen. Aber nicht alle waren so abstoßend. Es gab auch solche, die das Herz am richtigen Fleck hatten, obgleich es nicht viele waren...

Als die Fabrik zerstört wurde, mussten wir eine Zeitlang das Gelände enttrümmern, Ziegelsteine aufsammeln, reinigen und stapeln. Als die russischen Truppen in polnischen Gebieten einmarschierten, brachten uns die Deutschen in die Wälder in der Nähe von Berlin, wo wir Gräben ausheben sollten. Dort wurde es wieder schrecklich. Ohne Essen, ohne Schuhe mussten wir in der Erde graben. Aber am Ende unserer Unterdrückung hatten diese herrischen und überheblichen Deutschen selber nichts zu essen, und aus ihnen guckten die ekelhaftesten Ungeheuer hervor. Einer schlug den anderen, spuckte auf ihn, zerrte ihn wegen ein bisschen Essen. Sogar die Lagerführer kämpften miteinander. Wir schlichen uns auf die Felder und holten uns Kartoffeln, die wir später am Lagerfeuer heimlich backten. Das war aber sehr wenig. Wir litten unter schrecklichem Hunger. Eines Nachts packten unsere Henker ihre Sachen zusammen und liefen vor den Russen gen Westen weg. Und wir blieben plötzlich alleine, und niemand wusste, wohin wir sollen. Wir nahmen ein paar gebackene Kartoffeln mit und brachen Richtung Berlin auf, in der Hoffnung, dass wir dort Hilfe finden.

Berlin stand in Flammen. Die Deutschen flüchteten, wohin sie nur konnten. Die Stadt wurde allmählich menschenleer. Wir gelangten zu einem Platz, wo es ein paar Bunker gab. Und in diesen Bunkern saßen wir ein paar Tage lang, litten unter Hunger und Kälte. Wir warteten ab, bis die russische Flut vorbeirollte. Dann beschlossen wir, nach Polen zu gehen. Wir gingen zu sechst, nur Mädchen. Wir wählten die Nebenstraßen. Und wir gingen durch die nächste Hölle. Aber der barmherzige Gott führte uns. Zu Fuß erreichten wir Reppen (Rzepin-Anm. d. Ü.), dann fuhren wir mit dem Zug nach Breslau. Am 20. Mai 1945 war ich wieder in Polen. Alles war zerstört, es herrschte Armut, aber niemand gab auf. Wir waren daheim.

Als ich verschleppt wurde, war ich 16, als ich zurückkehrte, 20. Viereinhalb Jahre Unterdrückung, Hunger, Erniedrigung. Heute bin ich 74 Jahre alt, es geht mir gut und ich fürchte mich nicht, diese Worte aufzuschreiben. Bei mancher Erinnerung fließen doch die Tränen. Ich schilderte keine drastischen Momente. Ich wollte diese Bilder nicht heraufbeschwören. Ich ertrage so starke Gefühlsregungen nicht mehr. Über mein schweres Geschick und mein Herumirren könnte man ein Buch schreiben, aber wer will heute solche Bücher lesen? Xxxxx
Ich zwang mich, diese Worte niederzuschreiben, damit die Erinnerung an Herrn xxxxx nicht verlorengeht. Es gab noch eine Person, eine Deutsche, die mir am Ende meines Aufenthaltes in Berlin sehr geholfen hat, aber ich weiß nicht, ob ich sie ohne ihr Einverständnis erwähnen darf. Sie war in die Konspirationsarbeit mit Holländern und Franzosen verwickelt. Und es gibt noch viele Personen, die einen Vorwand gut gebrauchen könnten, um ihre Familie zu schikanieren. Gott sei Dank, dass ich auf meinem Leidenswege solchen Menschen begegnet bin. Möge niemandem das widerfahren, was ich erlebte.

Łódź, den 10 Januar 1998
Xxxxx

Betrieb: Fabrik von Knis und Kromarek; Herstellung von Metallschrauben und Munition.
Arbeitszeit: 8 Stunden täglich, sonntags frei. Am Ende des Krieges arbeiteten wir auch sonntags.

Für die Arbeit bekam ich ein paar Mark für die Fahrscheine.
Wir wohnten in Baracken, jeweils etwa 50 Mädchen zusammen.
Die Ernährung: zum Frühstück ein Stückchen Brot, das zerbröckelte, und ein bisschen Margarine; zum Mittagessen Grieß mit Wasser, manchmal ein paar Kartoffeln und ein Stückchen Fleisch auf einen großen Suppenkessel. Ein Abendbrot bekamen wir nicht; man sollte sich etwas von dem ganzen Tag aufheben.

Von der medizinischen Betreuung machte ich keinen Gebrauch, also kann ich darüber nichts berichten.

Gebetet haben wir in der Baracke. Wir hatten Angst, alleine auszugehen.
In der Freizeit gab es keine Unterhaltungsmöglichkeiten.
Während meines Aufenthaltes in Berlin setzte mir der fehlende Kontakt zu meiner Familie sehr zu. Die vier Jahre lang bekam ich zwei Briefe von meinen Eltern. Sie schrieben mehr an mich, aber die Briefe erreichten mich nicht.

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    Fotografie der ehemaligen polnischen Zwangsarbeiterin Janina S.: Fotografie einer Frauengruppe; (Berlin, 03.04.1943)

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DZSW 1514
Kurzbeschreibung

Janina S. wurde bei einer Straßenrazzia aufgegriffen. Nach einem dreiwöchigen Aufenthalt in einem Durchgangslager gelangte Janina S. zunächst nach Stutthof, wo sie über eineinhalb Monate lang noch mehr Schrecken erlebte, bis sie schließlich in Berlin zur Zwangsarbeit eingesetzt wurde.

 

Herkunftsland: Polen

Geburtsjahr: 1924

Angaben zur Zwangsarbeit
Weitere Objekte

© Dokumentationszentrum NS-Zwangsarbeit / Slg. Berliner Geschichtswerkstatt

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Fotografie der ehemaligen polnischen Zwangsarbeiterin Janina S.: Fotografie einer Frauengruppe; (Berlin, 03.04.1943)© Dokumentationszentrum NS-Zwangsarbeit / Slg. Berliner Geschichtswerkstatt