Abschrift: Xxxxx

Der Verlauf meines Sklavenlebens

Ich heiße xxxxx. Ich war damals 22 Jahre alt. Es war Herbst 1942. Ich wohnte damals bei meinen Eltern auf dem Hof im Dorf Krzewie, Gemeine Kłóbka, Kreis Włocławek. Ich bekam die Vorladung zum Arbeitsamt in Chodcz, 10 Kilometer von meinem Dorf entfernt. Ich ging dahin mit dem Gedanken, daß ich eine Arbeitszuweisung bekomme. Aber sie hielten mich fest. Sie sammelten Menschen, fingen sie auf der Straße. Sie hielten uns bis zum Abend. Am Abend brachten sie uns zur Bahnstation und dann fuhren wir nach Włocławek. Dort haben sie uns in einem großen Saal eingesperrt, wo wir die ganze Nacht ohne Essen verbrachten.

Wir waren sehr viele: junge und ältere, Frauen und Männer. Morgens trieben uns die Gendarmen zur Bahnstation. Dort war es schrecklich. Man hörte das Weinen von Kindern und Müttern. Wir wurden in Viehwaggons eingeladen, die Türe wurden dicht abgesperrt, und man brachte uns nach Łódź. Dort versammelte man uns in einer Fabrikhalle. Wir mußten uns ausziehen, um unsere Sachen desinfizieren zu lassen, während wir alle unter die Dusche gingen. Die Nacht verging. In Łódź blieben wir zwei Tage. Als ein großer Menschentransport zusammengestellt worden war, wurden wir wieder in die Viehwaggons getrieben und eingesperrt. So gelangten wir in die Wälder bei Berlin. Dort gab es ein Übergangslager, in dem wir zwei Wochen verbrachten. Wir schliefen auf den Pritschen, ohne irgendwelche Zudeckung. Das Essen war sehr bescheiden: zum Leben zu wenig, zum Sterben zu viel. Wem es gelungen war, irgendwelches Geschirr mitzunehmen, dem ging es nicht so schlimm, aber viele Leute hatten nichts, woraus sie essen konnten, und sie hungerten. Dort, wo wir schliefen, gab es viele Läuse und Flöhe. Jeden Morgen stellte man uns in Reihen auf, Frauen und Männer getrennt. Die Herren Deutschen schauten sich uns an, und manche nahmen sie mit.

Eines Tages sollten alle Frauen aus Włocławek in eine Reihe antreten. Wir waren etwa 170. Sie nahmen uns mit und brachten uns in ein Lager, das sich in der Nähe von der Fabrik „Zechlent Telefunken“ (so im Original-Anm.. d. Ü.)) befand. In den Baracken wurden uns Strohsäcke ausgegeben, die wir mit Sägespänen ausstopfen sollten. Wir schliefen auf Etagenbetten. Wir wohnten zu acht in einer Stube. Unser Lager war groß und mit dem Stacheldraht umzäunt. Den Rest der Baracken bewohnten die Franzosen. Es waren etwa 900 Männer. Ihre Baracken waren auch mit Stacheldraht umzäunt. Wir hatten einen Wachmann, der uns bewachte, und den Lagerführer. Wir arbeiteten in der Fabrik Telefunken von 7 bis 17 Uhr. Mittags hatten wir 45 Minuten Mittagspause. Die Zeit für das Ausgehen war beschränkt. Im Sommer hatten wir Freizeit bis 9, im Winter bis 8 Uhr. Wir mussten den Buchstaben „P“ tragen. Im Lager der Franzosen gab es solche Beschränkungen nicht, sie hatten bessere Arbeit, bessere Entlohnung und bessere Küche. Man zahlte uns etwas, aber ich weiß schon nicht mehr, wieviel. Für die Verpflegung zog man uns ab. Wir hatten unsere eigene Köchin, die aber von der deutschen Köchin beaufsichtigt wurde.

Für mich war es sehr schwer, da ich ohne Wechselwäsche und warme Kleidung abgeholt wurde. Ein Paket von meiner Familie bekam ich erst nach einem Monat, also musste ich damit irgendwie zurecht kommen. Abends wusch ich es, morgens zog ich es an. Wir bekamen weder Kleider, noch die Bezugsscheine. Erst nach einem Jahr bekamen wir irgendwelche alte Lumpen, wobei wir nicht wußten, woher und von wem sie sind.

Manche deutsche Frauen, als sie unser Elend sahen, gaben uns manchmal heimlich etwas. Unsere Ernährung war sehr bescheiden. Wir bekamen Essenzuteilungen. Für eine Woche gaben sie uns jeweils 1 Kilo Brot, 150 Gramm Marmelade, 150 Gramm Schichtkäse und 150 Gramm Wurst. Zum Frühstück gab es Schwarzkaffee, zu Mittag eine Ersatzsuppe. Man ernährte uns mit Kohl, Steckrüben, roten Rüben, Spinat und ein wenig Kartoffeln. Ein Stückchen Fleisch bekamen wir nur sonntags. Später legte man uns noch jeweils ein Pfund Brot dazu, da wir ständig hungrig waren. Wir waren jung, da hat man ständig Appetit. Wir bekamen keine Lebensmittelkarten. Für das verdiente Geld (nach den Abzügen für die Verpflegung) konnten wir uns heimlich etwas dazu kaufen, um überhaupt leben zu können. Wir gingen in die katholische Kirche, wenn eine es wollte, da die Sonntage frei von der Arbeit waren.

Als die Bombardierungen Berlins anfingen, verschlechterte sich unsere Lage sehr. Man behandelte uns schlechter. Während der Luftangriffe trieben uns die Deutschen vor das Fabrikgebäude hinaus, so dass wir ihnen eine Art Deckung gaben. Flüchteten wir in die deutschen Luftschutzkeller, so jagten sie uns davon. Die Luftangriffe kamen sehr oft, manchmal zwei- oder dreimal in einer Nacht. Ungeachtet dessen mussten wir morgens zur Arbeit gehen. Unsere Baracken standen unweit von der Fabrik. Zweimal wurden die Baracken bombardiert. Dann mussten wir unter freiem Himmel übernachten. Wir übernachteten draußen solange, bis man die Baracken wiederaufbaute. Wir hatten auch Luftschutzbunker, aber sie wurden ebenfalls zerbombt.

Eines Tages wurde ein Teil von der Fabrik bombardiert, und das ganze Beamtenpersonal fuhr nach Landin bei Rathenow. Dort gab es Baracken und ein kleines Schloß. Mich und noch zwei Mädchen nahmen sie für die Aushilfe in der Küche mit. Die Köchin war eine Deutsche. Das ganze Personal bestand aus etwa 75 Personen. Hier ging es uns besser, weil nicht bombardiert wurde und wir zu essen hatten. Dort, bei Rathenow, blieben wir den ganzen Winter lang, bis zum Frühling. Als die Front näher anrückte, ging das ganze Personal weg, und uns ließ man zurück. Wir versteckten uns im Luftschutzkeller im Schloß. Aber das Militär jagte uns davon, in Richtung Front. Wir liefen in den Wald, wobei über unseren Köpfen die Kugeln flogen. Wir machten uns ein Versteck aus Zweigen, und so kampierten wir neun Tage lang in ständiger Angst, in der unmittelbaren Nähe von der Front. In dem Wald waren auch deutsche und französische Familien. Sie halfen uns, wie sie nur konnten. Sie ernährten uns. Das, was wir dort erlebten, war schrecklich. Eines Tages kamen morgens zu uns zwei russische und ein polnischer Soldat und verkündeten uns, sie hätten uns befreit. Und dann ging der eine russische Soldat hinter meiner Kollegin her und wollte sie vergewaltigen. Sie schrie ziemlich laut, so dass er sie losließ. Wir fürchteten uns sehr vor den russischen Soldaten. Sie waren sehr brutal.

Am selben Tag kehrten wir ins Dorf zu unserer Unterkunft zurück. Aber dort war alles zerbombt. Wir aßen das Mittagessen aus dem Soldatenkessel, ruhten uns ein wenig aus, und noch an demselben Tag machten wir uns auf den Rückweg nach Berlin. In der Nähe der Stadt Nauen trafen wir eine große Menschenansammlung. Wir übernachteten bei ihnen. Am nächsten Tag wollten wir nach Berlin gehen, das immer noch Widerstand leistete. Unterwegs hatten wir nur Angst vor russischen Soldaten, die uns ständig kontrollierten und alles wegnahmen, was einer an Wertvollerem hatte. So gingen wir zwei Wochen lang zu Fuß, ohne Essen. Die russischen Soldaten, die vor uns gingen, nahmen in allen Dörfern alles Essen weg. Brot gab es nirgendwo. Ganze Dörfer waren menschenleer, verlassen. Manchmal fanden wir ein wenig Mehl, backten uns Fladen, und das aßen wir. Kühe und Pferde trieb das russische Militär zu sich.

So gelangten wir unter schweren Bedingungen nach Frankfurt an der Oder. In Frankfurt warteten wir auf dem Bahnsteig drei Tage lang, bis der Zug nach Polen bereitgestellt wurde. Als der Zug vorgefahren war, klammerte sich jeder fest, wo er nur konnte. Ich fuhr auf dem Dach des Waggons, da es sonst keinen Platz gab, sogar auf dem Puffer nicht. Jeder freute sich, daß er endlich nach Polen fährt, und ich freute mich zusammen mit allen. So gelangte ich nach Łódź. Aus Łódź fuhr ich, schon in einem Waggon, nach Hause. Als ich zu Hause angelangt war, gab es große Freude, daß ich gesund, unversehrt und endlich frei war.


Xxxxx


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DZSW 1495
Kurzbeschreibung

Genowefa W. beschreibt detailliert ihre Erlebnisse während der Zwangsarbeit, die sie als junge Frau in Berlin leistete. Am Kriegsende waren die Luftangriffe auf ihre Arbeitsstätte unerträglich, da sie teilweise keinen Schutz vor den Bombardierungen fand.

 

Herkunftsland: Polen

Geburtsjahr: 1920

Angaben zur Zwangsarbeit

© Dokumentationszentrum NS-Zwangsarbeit / Slg. Berliner Geschichtswerkstatt

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