Abschrift: xxxxx

Auf Ihren Aufruf antwortend, möchte ich Ihnen über meine Erlebnisse in Deutschland schreiben. Bevor ich aber das tue, will ich schildern, wie ich dorthin gelangte. Am 1. April 1942 wurde ich als Minderjährige zum deutschen Arbeitsamt vorgeladen, von wo man mich sofort in die Textilfabrik einwies. Das war die Spinnerei des Betriebs Scheibler und Grohmann in Łódź. Dort arbeitete ich in drei Schichten als Spinneringehilfin. Von Zeit zu Zeit wurden Gruppen von Beschäftigten nach Deutschland zur Zwangsarbeit geschickt. Solches Schicksal wurde auch mir in den ersten Oktobertagen des Jahres 1943 zuteil. An diesem Tag arbeitete ich in der Morgenschicht. Nach Hause ließ man mich nicht mehr. Meine Eltern wurden benachrichtigt, damit sie mir einen Koffer mit meinen persönlichen Sachen bringen konnten. Unter Bewachung führte man uns zum Büro der Arbeitsvermittlung, wo wir die Formalitäten erledigen sollten. Danach gelangten wir, auch unter Bewachung, ins Übergangslager in der Kopernik-Straße. Dort verbrachte ich eine Nacht, dann zwei Tage und Nächte in einem anderen Lager in der Łąkowa-Straße. Dann fuhren wir mit dem Zug zu einem Lager, dessen Namen ich nicht mehr weiß, das aber in der Nähe von Brandenburg war. Hier erfuhr ich die erste Erniedrigung: in Anwesenheit von Männern, die das Bad bedienten, mussten wir uns nackt ausziehen, unsere Kleider wurden während dessen zur Dämpfung gebracht. Man unterzog uns auch einer detaillierten Untersuchung.

Nachdem wir die Kleider wiederbekamen, machte man von uns Fotos mit einer Blechtafel, die man uns um den Hals hing, und wir wurden auf verschiedene Betriebe in Deutschland verteilt. Ich gelangte in die Flugzeugfabrik Henschel AG in Schönefeld bei Berlin. Ich wohnte in Baracken in der Nähe der Fabrik, im Bezirk Johannistal, unweit vom Bahnhof Berlin-Schöneweide. Am ersten Sonntag nach dem Beginn der Arbeit brachte man uns nach Brandenburg, wo man uns Dokumente mit den im Lager gemachten Fotos ausstellte. Ich überlegte mir oft, was diese Nummer auf der Tafel und auf dem Foto bedeutete, denn in der Fabrik bediente ich mich einer völlig anderen Nummer, die auf einem runden Abzeichen stand, das wir an der Arbeitskleidung angeheftet hatten; es war die Nummer 70585. Solche Indentifizierungsnummern hatten alle Beschäftigten. Die Abzeichen unterschieden sich nur durch die Farbe, den Buchstaben, der die Nationalität kennzeichnete, und die Nummer.
Während des Luftangriffs am zweiten Weihnachtstag 1943 brannten die meisten Baracken nieder. Daher wurden wir in ein anderes Lager gebracht, das derselben Fabrik angehörte, im Stadtbezirk Berlin-Schönefeld. Nachdem die drei übriggebliebenen Baracken instand gesetzt wurden, kehrte ein Teil von uns wieder dahin zurück. Im Herbst 1944 (an das genaue Datum kann ich mich nicht erinnern) wurden wir erneut in das Lager Nr. 4 in Berlin-Schönefeld versetzt, wo ich bis zum 24.4.1945, d.h. bis zum Einmarsch der sowjetischen Truppen, blieb.

Wie ich bereits erwähnte, war meine Arbeitsstelle in einer riesengroßen Flugzeugfabrik, die aus vielen Produktionshallen und dem Flugplatz bestand. In einer diesen Hallen, in der fast fertige Flugzeuge vom Fließband gingen, gab es einen mit einem Drahtnetz abgegrenzten Raum. Hier arbeitete ich: Ich befestigte Flaschen, wohl mit Sauerstoff, an einen Teil von der Maschinenpistole, die zur Ausstattung des Flugzeugs gehörte. In diesem Raum arbeiteten meine xxxxx (lebt nicht mehr) aus Pabianice bei Łódź, xxxxx, der Schießproben vornahm. Nach der Teilbombardierung der Hallen brachte man uns ins Lager in Schönefeld. Das war im Herbst 1944. Dort führte ich verschiedene Arbeiten aus, zu denen man mich aufforderte, und sammelte auf dem Flugplatz Splitter nach Bombardierungen auf. Im Frühjahr 1945, als die Flugzeugproduktion abgebrochen wurde, fing man an, die bereits fertigen Flugzeuge zu vernichten. Sie wurden mit Brennern zum Schrott zerkleinert. Uns fuhr man tagtäglich mit dem Zug dreißig Kilometer in Richtung Zossen, wo wir einen Bahndamm für das Militär bauten. Wir arbeiteten unter Militärbewachung.

Ich möchte nun die Themen, die in Ihren Aufruf erwähnt wurden, anschneiden. Die Arbeitszeit: Leider kann ich mich überhaupt nicht erinnern, um wieviel Uhr die Arbeit begann und endete, obgleich es am Eingang eine Stechuhr gab. Im Winter verließen wir das Lager bei Dunkelheit und kehrten bei Dunkelheit zurück. Am Samstag arbeiteten wir kürzer, so dass ein wenig Zeit blieb, nach der Arbeit in einen Laden zu gehen und sich Postkarten und Briefmarken zu holen. Gingen wir zur Arbeit, so brauchten wir keinen Passierschein, weil das Eingangstor ins Lager direkt gegenüber dem Fabriktor lag. Bei der Arbeit gab es eine Mittagspause, aber nur die Deutschen bekamen dort Mahlzeiten. Wie hoch der Lohn war, weiß ich auch nicht mehr, aber ich kann mich daran erinnern, dass nach dem Abzug der Verpflegungs- und Unterkunftskosten uns nur die Summe übrigblieb, die für Postkarten und Briefmarken ausreichte.

Wir wohnten in Baracken. In der Stube waren wir 24 Frauen unterschiedlichen Alters. Die ganze Ausstattung bestand aus Etagenbetten mit Strohsäcken und je einer Decke, Schränkchen, einem Tisch und Hockern. Eine zusätzliche Qual stellten für uns die Wanzen dar, die in den Betten nisteten und auch von der Decke herunterfielen. Um nach der Arbeit aus dem Lager herauszugehen, benötigten wir Passierscheine und mussten den Buchstaben „P“ an der Kleidung angenäht haben. Der Mann, der im Lager als Dolmetscher arbeitete und zugleich für die Ausgabe von Passierscheinen zuständig war, war ein Deutscher mit dem polnischen Namen xxxxx.

Die Ernährung: Morgens Schwarzkaffee. Nach der Arbeit eine Schüssel Suppe, ein paar Pellkartoffeln, manchmal ein wenig verdickter Flüssigkeit, genannt Soße. Einmal in der Woche einen halben Becher Zucker, einen halben Becher Marmelade aus Steckrüben, manchmal ein Stückchen (etwa 10 g) Margarine oder eine Scheibe Mortadella. Fleisch gab es nie. Zum Mittagessen wurde auch Schwarzbrot ausgegeben: in der ersten Zeit etwa 1,5 kg pro Woche, später nur etwa 0,5 kg. Zu Weihnachten 1943 bekamen wir ein Stückchen Zopfgebäck. In den letzten Monaten bekam man nur einmal täglich eine Schüssel Suppe und einmal in der Woche 0,5 kg Brot. Außerdem nichts.

Die medizinische Versorgung: Im Lager gab es eine Krankenstube und einen Sanitäter. Ich verbrachte dort ein paar Tage, weil ich hohes Fieber hatte. Höchstwahrscheinlich war das eine Lungenentzündung. Ich bekam nur Tabletten gegen Fieber. Als das Fieber zurückgegangen war, kehrte ich in die Stube und zur Arbeit zurück. Die Krankenstube unterschied sich von den anderen Räumen nur dadurch, dass sie kleiner war und es dort einfache Betten gab. Es ergab sich so, dass es zu dieser Zeit in der Nacht Luftangriffe gab, also mussten wir in den Luftschutzraum gehen. Meine Kolleginnen vergaßen mich nicht, kamen zu mir, halfen mir beim Anziehen und begleiteten mich in den Luftschutzraum und zurück. Wie sah solch ein Luftschutzraum aus? Das waren Gräben zwischen den Baracken, ausgelegt mit Rundhölzern. Wenn die Sirenen zu heulen begannen, waren wir verpflichtet, die Baracken zu verlassen und zu diesen Gräben zu gehen, wo wir bis zur Entwarnung bleiben sollten. Viele Nachtstunden verbrachte ich dort. Tagsüber kamen Luftangriffe seltener vor. Ein paar Male gingen wir tagsüber in den Betonbunker in Johannistal. Das war ein zweistöckiges Gebäude mit von innen mit Phosphor beschichteten Wänden. Die Polen ließ man auf den Korridor im zweiten Stock ein. Wie viele unterirdische Stockwerke es gab, weiß ich nicht. Angeblich weilten dort, während verstärkter Luftangriffe, deutsche Mütter mit Kindern. Vor der Abenddämmerung konnte man ganze deutsche Familien mit Kindern und Bündeln sehen, die in den Bunker gingen, um dort die Nacht zu verbringen.

Das religiöse Leben: Es gab kein organisiertes religiöses Leben. Einmal ging ich mit meinen Freundinnen am Sonntag zu einer katholischen Kapelle, in der Nähe von unserem Lager. Wir sahen wohl fremd aus, denn gleich nachdem wir die Kapelle verließen, kam ein älterer Deutscher auf uns zu und sagte, wir sollten nicht mehr kommen, da wir Unannehmlichkeiten haben könnten. Dabei unterstrich er, er persönlich habe nichts dagegen, die anderen aber wohl. In dieser Hinsicht änderte sich etwas kurz vor dem Kriegsende. Am Heiligen Abend 1944 erlaubte man uns, an der Messe im französischen Lager teilzunehmen. Der französische Militärgeistliche (ansonsten unser Leidensgenosse) las die Heilige Messe im Aufenthaltsraum. In der Stube beteten wir auch, besonders im Mai (Mai ist der Monat der Mutter Gottes, die die polnischen Katholiken besonders verehren Anm. d. Ü.). Das Verhältnis der Deutschen zu uns änderte sich kurz vor dem Kriegsende. Es gab solche, die uns Polnisch anzusprechen begannen und sich zu ihrer schlesischen Herkunft bekannten, wie xxxxx. Ich vermute, die Deutschen mieden Kontakte mit den Ausländern, weil sie Angst vor ihren eigenen Landsleuten hatten. Aus welchem Grund stelle ich diese Hypothese auf? Als ich am Anfang mit xxxxx arbeitete, bemerkte ich, dass er, bevor er zu mir ein Wort sprach, sich umschaute, ob es keinen Deutschen in der Nähe gab.

Kontakte mit der Familie in der Heimat: Die einzige zugelassene Form waren Briefe. Aber auch diesen Kontakt verlor ich im Januar 1945, als die sowjetischen Truppen in Łódź einmarschierten.

Repressionen: Sie hingen nicht direkt mit meinem Aufenthalt in Berlin zusammen, aber ich denke, sie rührten davon her. Die Tatsache, dass ich im so jungen Alter von meiner wunderbaren, lieben Familie weggerissen wurde, war für mich ein Schock. Die ganze Zeit war ich im Gedanken bei ihnen, zumal meine Mutter in einer sehr schwachen gesundheitlichen Verfassung und herzkrank war. Ich entschloss mich, sie unbedingt zu besuchen. An das genaue Datum erinnere ich mich nicht, es war am 28. oder am 29. Februar 1944. Morgens ging ich anstatt in die Fabrik zum Bahnhof Schöneweide. Dass es ungefähr zu dieser Uhrzeit einen Zug nach Łódź gab, sprach man im Lager. Jemand, der besser Deutsch konnte, kaufte für uns (ich fuhr mit einer Freundin zusammen) die Fahrscheine. Über Konsequenzen dachte ich gar nicht nach. Ich lebte nur von dem Gedanken, in 10 Stunden meine Nächsten zu sehen. Ich hatte kein Gepäck, alles ließ ich im Lager zurück. Nach ein paar Stunden Fahrt (zwischen Kalisz und Sieradz, also etwa zwei Stunden vor Łódź) erschienen im Zug Kontrolleure von der Kripo. Der gültige Fahrschein genügte nicht, da den Polen nicht erlaubt war, ohne Passierschein mit dem Zug zu reisen. Sie führten uns zu einem Sonderabteil, wobei wir ein paar Schläge ins Gesicht bekamen. In Łódź brachte man uns direkt vom Bahnhof, unter Bewachung von Gendarmen, mit der Straßenbahn in die Kiliński-Straße, wo sich die Untersuchungshaft befand. Die ganze Woche lang wurde ich tagtäglich verhört. Immer wieder stellte man mir dieselbe Frage: Warum lief ich weg? Ich antwortete immer wieder, ich wollte meine kranke Mutter sehen. Ich weiß nicht, ob sie mir Glauben schenkten, jedenfalls ging eine Beamtin zu meinen Eltern und sagte ihnen, ich wurde während der Flucht aus Deutschland festgenommen. Meine Mutter wurde ohnmächtig, als sie das hörte, aber meinem Vater erlaubte man, mich zu besuchen (für etwa 5 Minuten). Nach einer Woche, d.h. am 6. März, brachte man uns mit einem Straßenbahnwaggon für Gefangene in das Straflager in Sikawa bei Łódź. An dieses Datum erinnere mich, der Geburtstag meiner Schwester fiel auf diesen Tag. Erst hier erfuhr ich die wahre Qual. Arbeit von 6 bis 22 Uhr, mit einer Mittagspause. Morgens eine Scheibe Schwarzbrot mit ein wenig Marmelade, zum Mittagessen tagtäglich Suppe aus Steckrüben, dasselbe drei Wochen lang. Die Arbeit war unterschiedlich: in der Schneiderei beim Umstechen der Knopflöcher an Uniformgürteln, Saubermachen der Toiletten, Wegräumen von Schnee, oder andere sinnlose Tätigkeiten, wie z.B. das Klopfen des Matsches vor den Baracken mit einem Schaufel.

Die Zellen in den Baracken waren für ein paar Personen bestimmt, es gab Etagenbetten, jedoch ohne Strohsäcke. Es lag ein bisschen Stroh da und eine sehr dünne Decke. Für die Heizung der Zelle gab es eine Zuteilung: Zweimal in der Woche, am Mittwoch und am Sonntag, bekamen wir 6 Briketts. Diese Zuteilung bekamen wir gerade an diesen Tagen, weil wir am Mittwoch bis 18 und am Sonntag bis 12 Uhr arbeiteten.

Tagtäglich wurden in jeder Zelle zwei Diensthabende bestimmt, die den Fußboden scheuerten und die Fenster öffneten. Bei der niedrigen Temperatur draußen wurde der Fußboden nie trocken. In der Nacht war es so kalt, dass es uns schwerfiel einzuschlafen. Alle Tätigkeiten mussten wir im Laufen ausführen. Die Aufseher fanden wohl daran Gefallen, uns zu misshandeln. Denn wie sonst kann man sich das erklären, dass auf dem Korridor vor der Zelle immer zwei Aufseher bereit standen und uns mit der Peitsche wahllos schlugen. Auf einer Seite stand immer eine Aufseherin, auf der anderen ein Aufseher, damit niemand heil davon kam. Während wir arbeiteten, führte man in den Zellen Sauberkeitskontrolle durch. Fand man irgendeinen Strohhalm auf dem Fußboden oder eine schlecht zusammengefaltete Decke vor, veranstalte man einen Appell für alle. Er bestand in unterschiedlichen „Übungen“: Froschsprünge, „Hinlegen! - Aufstehen!“, Lauf mit Schlägen. Sonntags erlaubte man uns, Lebensmittelpakete von Familien im Empfang zu nehmen. Gewöhnlich waren es warme Mittagessen. Besuche der Familie waren nicht gestattet. Das Paket nahm der Aufseher entgegen und übergab es dem Häftling.

Dort verbrachte ich volle drei Wochen. Am 27. März 1944 kam ein Betriebsvertreter aus Berlin und nahm uns alle mit. So kehrte ich nach Berlin zurück, ohne meine Mutter gesehen zu haben, obgleich ich so nah war. Nach diesem Abenteuer schien es mir, ich kehrte in ein Kurhaus zurück, obgleich man mir eine zusätzliche Strafe auferlegte: Ausgangsverbot für drei Monate und eine Geldstrafe.

Begegnungen und Kontakte mit der deutschen Bevölkerung: Einmal war ich bei einer deutschen Familie zu Gast. Das war zu Ostern 1945. Die Cousine meiner Freundin arbeitete in einer Landwirtschaft unweit von Berlin. Ich weiß nicht mehr, wie das Dorf hieß. Und eben sie lud, mit Einverständnis ihrer Arbeitgeber, meine Freundin und mich ein. Die Hausfrau war eine Person im mittleren Alter, mit zwei Kindern und ihrem Vater. Der Ehemann war an der Front. Für mich war das der erste Tag seit vielen Monaten, an dem ich mich ordentlich waschen, ausschlafen und satt essen konnte. Bis heute bin ich für diese Güte dankbar.
Das Bild Berlins: Ich kann dazu nicht viel sagen, da ich hauptsächlich in Randbezirken weilte. Während meines Aufenthalts in Deutschland war ich lediglich ein paar Male im Stadtzentrum von Berlin.

Vor und nach der Befreiung: An den Tag der Befreiung kann ich mich gut erinnern. Das war am 23. April 1945. Als wir von der Arbeit zurückkehrten, gab es den Alarm. Wie gewöhnlich gingen wir zu den Gräben auf dem Lagergelände, aber man hörte keine Bomben, sondern nur das Brummen der Flugzeuge. Als es still wurde, gingen wir hinaus und sahen die einmarschierenden sowjetischen Truppen. Am 24. morgens befahl man uns, das Lager zu verlassen, da der Angriff auf Berlin begann. Man zeigte uns, in welche Richtung wir gehen sollten. Also packte ich mein ganzes Hab und Gut in einen kleinen Koffer und einen Rucksack ein und zog in Richtung Polen. Wir waren eine Gruppe von 18 Frauen. Die meisten waren meine Freundinnen aus xxxxx.

Am Tag marschierten wir, und während der Ausgangssperre saßen wir gewöhnlich an irgendwelchen Zäunen, da wir uns nicht trauten, das Haus zu betreten. Die Häuser schienen leer zu sein, aber keine wagte, das zu prüfen. Morgens zogen wir weiter, gen Osten. Da aber die Kriegshandlungen immer noch andauerten, kehrten wir nicht selten zurück zu denselben Orten, die wir früher verließen. Unterwegs entledigten wir uns allmählich dessen, was wir mitgenommen haben. Es war zu schwer, alles zu tragen, zumal uns der Hunger plagte. So erreichten wir Frankfurt an der Oder. Hier wurden wir von den sowjetischen Soldaten angehalten, die uns befahlen, bei dem Bau des Damms für eine Oderbrücke auszuhelfen. Die Arbeit war sehr schwer, aber wir bekamen einmal täglich, nach der Arbeit, ein Stückchen Schwarzbrot und einen Becher Kaffee. Damit verbrachten wir 5 Tage. Dann begleitete man uns zu der Pontonbrücke an der Oder. Wir passierten sie und waren in Polen. Hier übernachteten wir in einem leeren Haus und morgens brachen wir auf. Auf diese Weise gelangten wir nach Reppen, wo wir nach ein paar Stunden in einen Güterzug mit Plattformwagen ohne Seitenwände einstiegen. Wir erreichten die Station Zbąszyń. Hier ließ man uns aussteigen. Bis Kutno fuhren wir mit einem Zug mit Viehwaggons, dann auf Loren nach Łódź.

Am 9. Mai gegen 19 Uhr stieg ich an der Station Łódź-Kaliska aus. Nach Hause ging ich zu Fuß, da die Straßenbahn anlässlich des Kriegsendes nicht fuhr. Aber ich war damals so glücklich, dass ich in Łódź bin, dass ich keine Müdigkeit verspürte. Ich machte mir nur Sorgen, ob ich meine Nächsten lebendig antreffe, da ich über vier Monate keine Nachricht von ihnen hatte. Gott sei Dank, alle waren unversehrt und gesund. Es gab Tränen vor Freude.

Nach ein paar Tage Erholung musste man an das weitere Leben denken: Vor allem die Ausbildung. Nach dem Einmarsch der Deutschen in Łódź wurden nach zwei Monaten alle Schulen geschlossen. Ich war damals 13 und begann die siebente Klasse der Grundschule. 1945, als ich aus Deutschland heimkehrte, war ich fast 19. Ich war also erwachsen und zu Hause gab es jüngere Geschwister: zwei Schwestern im Schulalter. Zusammen mit meinen Eltern beschlossen wir, dass ich arbeiten gehe, um dem Vater beim Unterhalt der Familie zu helfen. Die Ausbildung sollte ich an einer Abendschule fortsetzen. So geschah es auch. Zunächst machte ich verschiedene Kurse, dann schloss ich als Externe das Technikum für Ökonomie ab. 35 Jahre lang arbeitete ich in einer staatlichen Institution in der Buchhaltung. xxxxx.
Ich freue mich, daß ich die Änderungen des politischen Systems in Polen erleben konnte. Endlich leben wir in einer normalen Welt. Seit 47 Jahren lebe ich in einer gelungenen Ehe. Mein Mann war auch zur Zwangsarbeit in Deutschland, in Eisenach. Viele meine Kolleginnen aus Deutschland leben leider nicht mehr. Ich danke dem Herrgott für jeden Tag, den ich als Geschenk betrachte, xxxxx.

xxxxx.

Für das Leid, das ich erfuhr, hasse ich niemanden. Ich bemühe mich, dies meinen Kindern und Enkelkindern weiterzugeben. Ich hoffe, dass es dank der Bemühungen vieler kluger Menschen, die für die Versöhnung der Nationen arbeiten, nie wieder Krieg geben wird, und alle Streitigkeiten auf dem diplomatischen Wege gelöst werden.


Łódź, den 8.2.1998


Dokumentationszentrum NS-Zwangsarbeit / Slg. Berliner Geschichtswerkstatt

  • 1 von 9 Seiten
  • 2 von 9 Seiten
  • 3 von 9 Seiten
  • 4 von 9 Seiten
  • 5 von 9 Seiten
  • 6 von 9 Seiten
  • 7 von 9 Seiten
  • 8 von 9 Seiten
  • 9 von 9 Seiten
  • Informationen zum Bild

    Dokument in Kopie: Arbeitskarte der ehemaligen Zwangsarbeiterin Wanda T.; Firma Flugzeugwerke Henschel A.G. Schönefeld bei Berlin; ausgestellt am 14.10.1943
    Dokumentationszentrum NS-Zwangsarbeit / Slg. Berliner Geschichtswerkstatt; dzsw1470.3

    1 von 2 Dokumenten
  • Informationen zum Bild

    Dokument in Kopie: Arbeitskarte der ehemaligen Zwangsarbeiterin Wanda T.; Firma Flugzeugwerke Henschel A.G. Schönefeld bei Berlin; ausgestellt am 14.10.1943 (Rückseite)
    Dokumentationszentrum NS-Zwangsarbeit / Slg. Berliner Geschichtswerkstatt; dzsw1470.3

    2 von 2 Dokumenten
DZSW 1470
Kurzbeschreibung

Die minderjährige Wanda T. entschloss sich, während ihres Arbeitseinsatzes in Berlin, zu ihrer kranken Mutter nach Łódź zu fahren. Da sie ohne Erlaubnis handelte, musste sie drei Wochen in einem Straflager verbringen.

 

Herkunftsland: Polen

 

Dokumentationszentrum NS-Zwangsarbeit / Slg. Berliner Geschichtswerkstatt

 

 

Angaben zur Zwangsarbeit

© Dokumentationszentrum NS-Zwangsarbeit / Slg. Berliner Geschichtswerkstatt

© Dokumentationszentrum NS-Zwangsarbeit / Slg. Berliner Geschichtswerkstatt

© Dokumentationszentrum NS-Zwangsarbeit / Slg. Berliner Geschichtswerkstatt

© Dokumentationszentrum NS-Zwangsarbeit / Slg. Berliner Geschichtswerkstatt

© Dokumentationszentrum NS-Zwangsarbeit / Slg. Berliner Geschichtswerkstatt

© Dokumentationszentrum NS-Zwangsarbeit / Slg. Berliner Geschichtswerkstatt

© Dokumentationszentrum NS-Zwangsarbeit / Slg. Berliner Geschichtswerkstatt

© Dokumentationszentrum NS-Zwangsarbeit / Slg. Berliner Geschichtswerkstatt

© Dokumentationszentrum NS-Zwangsarbeit / Slg. Berliner Geschichtswerkstatt

Dokument in Kopie: Arbeitskarte der ehemaligen Zwangsarbeiterin Wanda T.; Firma Flugzeugwerke Henschel A.G. Schönefeld bei Berlin; ausgestellt am 14.10.1943
Dokumentationszentrum NS-Zwangsarbeit / Slg. Berliner Geschichtswerkstatt; dzsw1470.3© Dokumentationszentrum NS-Zwangsarbeit / Slg. Berliner Geschichtswerkstatt

Dokument in Kopie: Arbeitskarte der ehemaligen Zwangsarbeiterin Wanda T.; Firma Flugzeugwerke Henschel A.G. Schönefeld bei Berlin; ausgestellt am 14.10.1943 (Rückseite)
Dokumentationszentrum NS-Zwangsarbeit / Slg. Berliner Geschichtswerkstatt; dzsw1470.3© Dokumentationszentrum NS-Zwangsarbeit / Slg. Berliner Geschichtswerkstatt