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Berliner Geschichtswerkstatt
Goltzstraße 49
D-10781 Berlin


Sehr geehrte Frau Wenzel,

als Antwort auf Ihren Aufruf, schicke ich Ihnen die Beschreibung meiner Sklavenarbeit in Deutschland, so wie ich sie noch in Erinnerung habe.

Ich wohnte in Łódź, in der Montwiłł-Mirecki-Siedlung, Daniłowski-Straße 7/46. In dieser Siedlung wohnten vor dem Krieg Berufssoldaten sowie Angestellte des Schulwesens und Staatsbeamte. Mein Vater war Berufsoffizier und den ganzen Krieg verbrachte er als Kriegsgefangener, zunächst in Deutschland, dann in Norwegen.

Im November 1939 wurden wir ausgesiedelt. Das war die erste Aussiedlung einer ganzen Wohnsiedlung in Łodź. Die deutsche Polizei gab uns 15 Minuten Zeit fürs Anziehen. Es war Nacht, wir waren entsetzt, und meine Mutter bekam eine Herzattacke. Das war eine schreckliche Nacht, die ich bis zum Ende meines Lebens nicht vergessen werde. Ich war damals 12 Jahre alt.

Damals verloren wir alles. Die Deutschen brachten uns ins Lager in der Łąkowa-Straße in Łódź. Dort war es schrecklich. Wir übernachteten auf dem nackten Fußboden, gar ohne Decken. Dank der Hilfe des Bruders meiner Mutter, der einen Kessel Suppe für die Ausgesiedelten mitbrachte, wurden meine Mutter, meine Schwester, mein Bruder und ich glücklicherweise aus dem Lager herausgeschmuggelt. Der Bruder meiner Mutter nahm uns bei sich auf; er hatte sein eigenes Häuschen in Łódź-Marysin. Nach einiger Zeit bekamen wir ein kleines Zimmer in der Gliniana-Straße 29, wo sich vor dem Krieg ein Betrieb für die Herstellung der Militärmützen befand.

Wir bekamen Betten, Bettwäsche, Kleider. Das war die Hilfe der Untergrundorganisation des Polnischen Heeres. 1942 wurde ich infolge einer Straßenrazzia zur Arbeit gezwungen, trotz meines jungen Alters. Ich arbeitete in einer Hütenfabrik. Dann brachte mich die Polizei in das Lager in der Kopernik-Straße, und dort wurde ich von der Gestapo für die „Rasse“ ausgewählt.

Man brachte mich in ein Durchgangslager in die Sporna-Straße. Dort wurden Verifizierungen für die sogenannte „Nordische Rasse“ durchgeführt. Ich machte alle Untersuchungen durch, was für mich sehr schwer und unangenehm war. Während des Verhörs verschwieg ich, dass ich eine ältere Schwester und einen Bruder habe. Dies rieten mir meine älteren Kommilitoninnen im Lager.

Zu dieser Zeit wurde auch meine Mutter vorgeladen, die sich ebenfalls unterschiedlichen Untersuchungen unterziehen musste.

Nach allen Untersuchungen wurde ich nach Deutschland abtransportiert. Es war das Jahr 1943. Man hat uns nach Frankfurt gebracht, dann gab es noch eine Untersuchung vor der SS-Kommission und man fuhr mich nach Berlin, in die Ortschaft Kleinmachnow, Berlin-Wannsee. Ich war im Betrieb Dreilinden Maschinenbau GmbH beschäftigt. Dort arbeitete ich an einem Mikroskop und bediente einen Teil irgendeiner Anlage.

Mein Meister, ein kultivierter Deutscher, war mir gegenüber sehr verständnisvoll und aufgrund dieser Tatsache begann ich zu glauben, dass ich irgendwann zu meiner Mama zurückkehren werde.
Während meines Aufenthaltes in Berlin wurden meine älteren Kommilitoninnen, die ebenso als „rassisch“ galten, zur „Gesellschaft“ geschickt und mussten die deutschen Soldaten bedienen, die auf Urlaub kamen.
Ich als noch nicht geeignet für das erwachsene Leben nahm an diesen „Spielen“ nicht teil, vielleicht auch dank dem Meister. Jetzt wird mir das bewusst, dass ich dies mit Sicherheit dem Meister verdanken kann.

Ich möchte hier hinzufügen, dass die älteren Kommilitoninnen, die zu solchen Spielen gezwungen wurden, sich furchtbar erniedrigt fühlten. Ich dagegen war sehr diszipliniert und immer noch nicht erwachsen. Dabei fürchtete ich mich sehr.

1944 sah ich meinen Papa, den die Gendarmen aus Norwegen zu unseren Baracken brachten. Ich war überglücklich über unsere Zusammenkunft. Mein Vater, der in Begleitung zweier Gendarmen angekommen war, wurde von der Gestapo verhört. Den Inhalt dieses Gesprächs kannte ich nicht. Als der Vater nach dem Krieg glücklicherweise nach Hause zurückkehrte, erzählte er davon. Und hier möchte ich hinzufügen, daß meine Mama, als ich ihr schrieb, ich hätte Papa gesehen, diese Information für ein Hirngespinst hielt, so unwahrscheinlich es war, daß man meinen in Norwegen kriegsgefangenen Vater nach Berlin zur Untersuchung kommen ließ. Und dies nur, um mehr Daten zu erlangen oder die Reinheit der nordischen Rasse zu bestätigen.

Ich kehrte am 20. Mai 1945 nach Hause zurück. All meine Erlebnisse hinterließen bei mir viel Groll gegenüber den Deutschen. Nur in einer Hinsicht ist meine Erfahrung positiv: das war der Meister im Berliner Betrieb, ein außergewöhnlich kultivierter und guter Mensch. Mein ganzer Aufenthalt in Berlin war schwierig. Für die geleistete Arbeit bekam ich 5 Mark, wofür ich mir Briefumschläge und Briefmarken für die Briefe an meine Mama kaufen konnte. Meistens hatte ich Hunger, es fehlte sogar an Brot, das rationiert wurde, aber die Rationen reichten nicht einmal für das Frühstück. Die Erlebnisse aus der Zeit der Sklavenarbeit in Deutschland waren für mich eine Tragödie, die ich leider nicht vergessen kann.
Ich hätte eine große Bitte: Falls es möglich wäre, möchte ich sehr gerne nach Berlin fahren und die mir bekannten Orte besichtigen, z.B. diesen großen Betrieb, der laut Informationen immer noch existiert, aber als ein freier Mensch, im freien Deutschland. Dies wäre eine Art Genugtuung für mich, und auch mein Verhältnis zum heutigen Deutschland könnte sich zum Besseren wenden.
Es gibt bei uns in Łódź eine größere Gruppe von Menschen, die in diesem Betrieb arbeiteten. Vielleicht wäre es möglich, einen Ausflug zu organisieren. Ich denke, ein so großer Betrieb wäre imstande, die Kosten für einen solchen Ausflug zu übernehmen.
Ich als Vorsitzende der Rentnergruppe der Gewerkschaft NSZZ „Solidaność“ des Lodzer Gebiets würde mich verpflichten, eine Gruppe von ehemaligen Zwangsarbeitern dieses Betriebes zu organisieren.

Hochachtungsvoll
xxxx
Ich füge Dokumente aus der Kriegszeit bei, sowie mein aktuelles Foto.


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    Dokument in Kopie: Gefolgschafts-Ausweis der ehemaligen Zwangsarbeiterin Ludwika M.; Dreilinden Maschinenbau GmbH, Kleinmachnow, Berlin-Wannsee

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    Dokument in Kopie: Arbeitskarte der ehemaligen Zwangsarbeiterin Ludwika M.; Firma Konkordiaspinnerei Stöhr & Co, Politz a/E.; ausgestellt am 18.08.1944

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    Dokument in Kopie: Arbeitskarte der ehemaligen Zwangsarbeiterin Ludwika M.; Firma Konkordiaspinnerei Stöhr & Co, Politz a/E.; ausgestellt am 18.08.1944 (Rückseite)

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DZSW 1378
Kurzbeschreibung

Da Ludwika M. laut den vorgenommenen Untersuchungen den Kriterien der "Nordischen Rasse" entsprach, erhielt sie eine mildere Arbeitszuweisung. Trotzdem litt sie sehr unter den vorherrschenden Umständen.

 

Herkunftsland: Polen

Geburtsjahr: 1927

 

 

Angaben zur Zwangsarbeit
Weitere Objekte

© Dokumentationszentrum NS-Zwangsarbeit / Slg. Berliner Geschichtswerkstatt

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