Abschrift: Xxxx


Ich wurde am 13. August 1925 in Łódź geboren; mein Mädchenname: xxxx, die Namen der Eltern: Józef und Stanisława. Im Juni 1939 schloß ich die Grundschule ab; ich war damals 13.

1939 brach der Krieg aus. Im August 1941 wurde ich während einer Straßenrazzia in der Wólczańska-Straße zusammen mit einer großen Gruppe Kinder und Jugendlicher festgenommen. Unter Bewachung von deutschen Gendarmen wurden wir durch die Straßen in die Łąkowa-Straße (in die alte Fabrik) getrieben, wo ein Deutscher, ein Zivilist manche von dieser großen Gruppe Jugendlicher für die sogenannte "Rasse", d.h. Germanisierung, auswählte. Am selben Tag wurden wir zum "SS-Rassenamt" im Lager in der Sporna-Straße gebracht. Dort sperrte man uns ein und uns war nicht erlaubt, auch nicht am Zaun, mit unseren Familien zu sprechen.

Innerhalb von zwei Wochen wurden wir unterschiedlichen Untersuchungen unterzogen: darunter waren die Messungen des Kopfes (horizontal und vertikal) der Hände, Füße und des ganzen Körpers. Man fertigte die Fotos des Kopfes in vier Aufnahmen an: en face, vom linken und rechten Profil und von hinten. Man nahm mir Blut ab, machte eine Spritze, was für eine, weiß ich nicht.

Nach allen Untersuchungen, die zwei Wochen dauerten, erteilte man uns Passierscheine für ein paar Stunden, damit wir unsere Kleider von Zuhause abholten. Am nächsten Tag um 6 Uhr früh fuhr man mich und die anderen nach Hamburg, zu einem Waisenhaus, von wo die Deutschen (Frauen) uns zu sich nach Hause nahmen. Das waren unsere Ersatzfamilien. Meine erste solche Familie war das Zuhause xxxx xxxx xxxx l. Ich arbeitete dort als Haushaltshilfe. Es war sehr schwer für mich, da ich die deutsche Sprache nicht kannte.

Aber laut deutscher Vorschriften sollten wir auf die Schule gehen und die Sprache und Haushaltsführung lernen.
Dort gab es drei Kinder von xxxx xxxx und der älteste Sohn (12 Jahre alt) war, als die Eltern nicht da waren, sehr gemein zu mir, so daß ich mich nach dem ersten Jahr entschloss, nach der Schule nach Hause nach Łódź zu fliehen. Im ersten Jahr war das gar nicht schwer, denn ich hatte einen Fremdenpass. Ganz verschwinden konnte ich nicht, denn sie hätten meine ganze Familie in ein Konzentrationslager gesteckt. Ich konnte nicht zulassen, dass meinetwegen die ganze Familie zugrunde geht. Die Deutschen setzten uns noch vor der Abreise in der Sporna-Straße darüber in Kenntnis.

Die Lebensmittelkarten bekam für mich als Jugendliche die Ersatzfamilie, aber ich hatte nichts davon, die Süßigkeiten aßen die Kinder der Herrschaften auf. Ich dagegen bekam eine sehr miserable Ernährung. Und das war der Grund meiner Flucht. Denn ich wußte, daß ich erneut verhaftet, aber dann bei einer anderen Familie landen werde.

Die Folge meiner Flucht war eine viermonatige Gefängnisstrafe in Hamburg (November 1942 - Februar 1943). 1942 nahm man mir den Fremdenpaß weg und ich bekam die Kennkarte (Deutsches Reich Nr. 1/081716 vom 21.8.1942).

Nach dem viermonatigen Gefängnisaufenthalt bei Hamburg holte mich ein SS-Mann ab und brachte mich zu einer anderen Familie, d.h. zur Familie des xxxx xxxx xxxx xxxx Ende 1942, Anfang 1943 nahmen die teppichartigen Bombardierungen Hamburgs zu, und der xxxx kam eines Tages schon in Zivil mit einem Wagen und brachte seine Familie und mich zu seiner Schwiegermutter, die in Baden-Baden lebte; sie hieß xxxx.

Bei der Familie von xxxx arbeitete ich von 6 bis 22 Uhr, manchmal auch länger. Sie hatten vier Kleinkinder. Aber Frau xxxx verfolgte mich fast ohne Grund, täglich drohte sie mir, sie würde mich ins Lager wegschicken.

Sie war unglaublich boshaft. Vor mir arbeiteten dort andere Mädchen, Deutsche, vom Arbeitsdienst, und sie beklagten sich bei mir über ihre Gemeinheit. Eines Tages hörte ich aber, als xxxx zu Hause war, wie er zu ihr sagte, ich sei das letzte Mädchen. "Schicken wir Alicja fort, so bekommst du kein Mädchen mehr." Und das beeindruckte sie ein wenig, so daß sie sich beruhigte.

Bei den xxxx arbeitete ich etwa 3 Jahre lang, denn Ende 1944 floh der xxxx mit seiner Familie in die Schweiz oder in die Gegend in der Nähe von der Schweiz, wie mir die Schwiegermutter sagte. Man hat mich zum Arbeitsamt wegen der neuen Arbeit geschickt. Ich bekam die Arbeit im Grünbaum-Hotel in Baden-Baden, wobei meine nächste xxxx xxxx xxxx war. Im Hotel arbeitete ich bis Juni/Juli 1945, dann ging ich ins polnische Lager in Baden-Baden.
Schließlich brachte man uns nach Karlsruhe, das die französischen Truppen okkupierten, dann übernahmen die Amerikaner dieses Gebiet.

In die Heimat kehrte ich mit dem ersten Transport, der nach Polen ging, im Oktober 1945 zurück. Ich war sehr krank, hatte starke Neurose und den Magenkatarrh. Ich wurde Magenkrank, da wir in dem polnischen Lager nichts warmes zu trinken bekamen, nur das Leitungswasser. Über ein Jahr lang ließen mich meine Eltern bei privaten Ärzten behandeln, so daß mein Zustand sich leidlich besserte. Aber die Neurose läßt bis heute nicht nach. Ständig habe ich Herzleiden und seit vielen Jahren nehme ich Medikamente, die mir nur ein bißchen helfen.

Die oben beschriebenen Tatsachen sind nur das gröbste, denn das Berichten von Details würde sehr viel Zeit und Papier in Anspruch nehmen. Alle unsere Dokumente lagen im SS-Archiv, wir waren bei keiner Meldestelle gemeldet, denn heute fanden sich bei keinem Amt irgendwelche Spuren meiner Meldung wieder. Offiziell existierten wir einfach nicht.

(Anlage: Fotokopie der Kennkarte 1/ 081716)

*Anm.d.Ü.: Mit großer Wahrscheinlichkeit handelte sich hier um xxxx, dessen biographische Notiz ich anführe:



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DZSW 1386
Kurzbeschreibung

Mit 15 Jahren geriet Alcija W.M. in eine Straßenrazzia. Rassenideologischen Untersuchungen zufolge erhielt sie die Zuweisung in eine "Ersatzfamilie". Sie unternahm einen Fluchtversuch, der leider mißlang, und sie erneut zur Zwangsarbeit verpflichtet wurde.

 

Herkunftsland: Polen

Geburtsjahr: 1925

 

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Angaben zur Zwangsarbeit
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