Abschrift: Xxxxx


Lódź, 08.12.98

An Frau Gisela Wenzel

Ihren Brief, in dem Sie mich bitten, meinen Aufenthalt in Berlin zu beschreiben, habe ich erhalten. Ich freue mich, dass Sie sich für diese Menschen und ihr Schicksal interessieren. Es tut mir leid, dass ich nicht gleich geantwortet habe, aber ich lag wegen xxxxx. Ich weiß nicht, ob es nicht zu spät ist erst jetzt zu schreiben, aber früher war ich nicht dazu in der Lage. Vielleicht werde ich nicht mit Berlin anfangen, sondern kurz mit der Zeit vor Berlin.

Ich bin am 12.10.1923 in Lódź geboren, habe die 7. Klasse der Grundschule beendet und fing mit der Berufsschule an. Als der Krieg ausgebrochen ist, habe ich meine Schule unterbrochen und lernte schneidern. Da erkrankte ich, hatte Grippe und hohes Fieber, deswegen hatte meine Mutter mir Glassaugglocken angelegt. Schon um 04.00 Uhr morgens kamen die Gendarmen. Mutters Tränen und Jammern half nicht, sie nahmen mich auf die Kommandantur und danach nach Konstantinow, wo sich ein Durchgangslager befand. Ich saß dort eine Zeit lang und wurde wieder nach Hause entlassen. Ich hatte damals ständig geweint. Es war schrecklich, dass ich nicht über mein Schicksal bestimmen konnte. Ich war damals 16,5 Jahre alt. Wegen der fürsorglichen Hilfe meiner Mutter habe ich mich wieder beruhigt und fing in einer Textilfirma bei xxxxx der Piotrowski Str. zu arbeiten an. Dort arbeitete ich 3 Jahre lang. Als ich meine Schicht von 05.00 Uhr bis 13.00 Uhr hatte, anstatt nach der Arbeit nach Hause zu gehen, kamen die Gendarmen und nahmen uns junge Leute in ein Durchgangslager in der Kopernikusstr. Und von dort nach Deutschland mit. Ich werde nicht alles beschreiben, weil Sie es wissen, dass es ein langer Weg war bis wir angekommen sind.

Wir waren in Durchgangslagern, schliefen auf Brettern und danach fotografierten sie uns mit einer Tafel, die wir mit einer Kette wie ein Hund am Hals hängen hatten. Es war eine Erniedrigung, als wenn wir Verbrecher wären. Von dort aus nahmen sie eine Gruppe von Menschen nach Ratynowo, aber mich ließen sie in Pranica (Wort nicht leserlich); es war eine Textilfirma, aber ich habe dort nicht lange gearbeitet und ging wieder in ein Durchgangslager nach Wilchelmsage und nach paar Tagen Aufenthalt in ein Lager nach Finkenkreutz (Name nicht leserlich), wo wir bis zum Schluss gearbeitet haben. Zuerst arbeitete ich in Spandau West, in einer Munitionsfabrik. Ich arbeitete an einer Maschine, war immer hungrig, einmal in der Woche gab es Brot und Mittagessen nach der Arbeit. Es war nichts essbares, was wir zur Arbeit mitnehmen konnten und wir mussten arbeiten, konnten nicht mal länger auf der Toilette bleiben, denn dann haben sie schon: ”Los, Los” gerufen. Das war ein Alptraum. Ich kann mich noch erinnern, was es für ein unangenehmer Tag war, als sie uns nach Deutschland nahmen. Ich hatte Klappschuhe mit Holzsohlen, die nach einiger Zeit abgelaufen waren und zerbrachen und ich hatte keine mehr, die ich zur Arbeit anziehen konnte. Ich bin nicht hingegangen, so fragte mich der Lagerführer warum. Ich sagte ihm den Grund, aber es hat ihn nicht interessiert und ich musste zur Arbeit gehen. So kam ich mit Verspätung an und als der Leiter fragte warum, zeigte ich ihm die Schuhe, die voll Schneewasser waren. Er fragte die Beamtinnen, ob eine irgendwelche Schuhe für mich hätte, aber keiner hatte was. Ich arbeitete also bis zum Schluss der Schicht und bekam solche Blasen, dass ich bis heute Hühneraugen habe.

Aber als ich von der Arbeit ins Lager kam, hatte ich dort schon ein Päckchen mit Schuhen, weil meine Mutti sobald sie meine feste Adresse hatte, mir diese schickte. Ich freute mich, dass ich mich nicht mehr abmühen musste. Ich erkältete mich, aber unsere Fabrik wurde zerstört und ich bekam Arbeit im Hauptbüro als Eilbote in der Siemensstadt. Dort arbeitete eine Deutsche in meinem Alter, eine wunderbare Frau. Unsere Arbeit bestand darin, dass wir morgens mit einer Kanne um Kaffee zu holen in die Kantine gingen und alle Beamten mit Kaffee bedienten. Um 9.00 Uhr gingen wir zur Bushaltestelle, wo ein Auto parkte mit wichtigen Dokumenten aus dem Bunker anlieferte. Es war sehr viel zu tragen für uns. Um 13.00 Uhr gingen wir noch mal und um 14.30 gingen wir runter um diese zur Aufbewahrung zu bringen. Nachdem wir die Dokumente gebracht hatten, hatte der Leiter sie sortiert und wir verteilten sie in die Büros zwecks Unterschrift. Mit dem Mädchen habe ich eine Zeit lang gearbeitet und danach alleine. Auch hier hat es mir sehr gut gefallen, wunderbare Menschen. Ich kann mich erinnern, als ich einmal mit schlimmen Magenschmerzen zur Arbeit kam, schickte mich mein Leiter zu meinem Arzt. Der Arzt durchleuchtete meiner Magen und fertigte mir ein Schreiben fürs Lager aus, damit man wir eine Zeit lang kein Weizengebäck und ein besseres Mittagessen gibt. Außerdem habe ich gute Medikamente bekommen, so dass sich meine Gesundheit besserte. Ich habe ein paar angenehme Erinnerungen. Einmal ging ich mit Unterlagen zum Direktor und er bot mir Frühstück an. Ich wollte nicht annehmen, ich schämte mich.

Aber er sagte, nehme Kind, wir wissen dass es Euch im Lager schlecht geht. Außerdem waren dort zwei Damen, die mir manchmal was zu essen gaben. Alle wussten, dass ich Polin bin, aber es hat keinen gestört. Es waren wunderbare Menschen. Aber ich bin wieder erkrankt, ich bekam eine Angina, dazu noch ein Geschwür im Hals und hohes Fieber. Also musste ich zum Arzt. Der Arzt schickte mich sofort ins Krankenhaus, so dass ich nicht mal meine Arbeitsstelle verständigen konnte. Ich lag dort 4 Wochen. Als ich wiederkam und der Leiter mich sah, ist er blass geworden. Er fragte, was war los Fräulein, dass sie nicht gekommen sind. Ich sagte, dass ich im Krankenhaus lag. Er meinte, wenn ihn jemand verständigt hätte, hätte er die Stelle freigehalten. Wir haben gut zusammengearbeitet. Aber als die Vorgesetzten erfahren haben, dass hier eine Polin gearbeitet hat, waren sie sehr böse, wer konnte einer Polin so eine Arbeit geben. Also musste ich leider weggehen. Ich habe eine Arbeit im Zoologischen Garten bekommen. Dort befanden sich in privaten Häusern auch Siemens Büros, wo ich aufräumte. Dort habe ich auch sehr gerne gearbeitet, wir hatten eine Stunde Pause und konnten raus gehen. Dort arbeitete ein Mann, der mich fragte, ob ich Lust hätte, in der Pause einer Dame zu helfen und ich war damit einverstanden. Es war eine ältere Dame, der es schwer fiel, Kohlen bis in den 2. Etage zu tragen, weil sie Kachelöfen hatte. Außerdem sollte man etwas Staub wischen, je nachdem, was so gerade anfiel. Ich kann mich erinnern, als ich einmal dort war, saßen am Ofen junge Mädchen und sie lehrte sie die Diktion. Ich habe am Büfett Staub gewischt, als sie sagte, bitte lassen sie die Arbeit, setzten sie sich hin und hören sie zu. Eine wunderbare Frau, sie war Direktorin eines Theaters als sie jung war und wohnte im nächsten Haus neben unseren Büros. Sie beherbergte drei Schauspielerinnen und lehrte sie in Privatstunden die Diktion. Ein anderes Mal wieder als ich zu ihr ging, zeigte sie mir ihre 3 Zimmer und in einem Zimmer stand eine Nähmaschine. Ich sagte zu ihr, sie haben eine Nähmaschine, und sie darauf: kann Fräulein nähen dann bedienen sie sich. Ich nähte ansonsten mit der Hand, weil mich meine Freundinnen ständig baten, ihnen was zu nähen. Als eines Tages eine Schauspielerin sah, dass ich nähte, sagte sie Du kannst nähen, nähe mir doch ein Kostüm, mein‘s ist schon abgenutzt und ich habe bald Vorführung. Und ich antwortete, ich habe Angst, dass es mir nicht gelingt und ich will nicht den Stoff kaputt machen. Aber sie meinte, dann habe ich halt Pech. Also habe ich ihr dieses Kostüm genäht und es gelang mir sehr gut. Sie freute sich sehr, bezahlte mich und lud mich zum Mittagessen ein. Außerdem sagte sie, das müssen wir in einem Kaffee feiern. Dort waren sehr viele Gendarmen und ich sagte, dass es Polen nicht erlaubt ist. Und sie, woher sollen sie es wissen, die tschechische Sprache ist ähnlich wie Polnische. Wenn der Mensch jung ist, kommt er trotz Armut auch zurecht, noch dazu wenn man ein attraktives Mädchen ist, das hilft auch im Leben. Ich könnte viel schreiben, aber ich weiß nicht, ob sie das interessiert. Als ich noch im Hauptbüro gearbeitet hatte, gehörten viele Menschen der Opposition an, aber damals interessierte mich die Politik nicht, erst als ich nach Polen kam, öffneten sich meine Augen. Kurze Zeit nachdem ich dort angefangen habe zu arbeiten, habe ich einen Mann kennengelernt, der mir helfen wollte, aus Berlin rauszukommen. Er versicherte mir, dass er alles ohne Gegenleistung macht, stellte sich mir als Schauspieler vor, sagte, dass sie Auftritte in Bromberg haben und er würde mich als Schauspielerin mitnehmen und das sie nicht kontrolliert werden. Ich bedankte mich für den Vorschlag. Er sagte, dass ich es mir noch überlegen sollte, weil es schade um mich wäre, dass ich mich so abmühe. Aber ich hatte schon einen Verlobten, der nicht wollte, dass ich wegfahre und riet mir ab. Also der Mann gab mir seine Visitenkarte und sagte, dass ich ihn bei Bedarf anrufen kann und er würde mir helfen. Er wohnte am Alexander Platz, ich kenne seinen Namen und wenn sie möchten, dann werde ich ihnen nennen. Nach dem Krieg habe ich in einer Breslauer Zeitung gelesen, dass er tatsächlich der Leiter von AK war, aber woher sollte ich es wissen.






Und so langsam ging der Krieg zu Ende, ich habe schon nicht daran geglaubt. Es herrschte ein schrecklicher Hunger, man gab uns nichts zum Essen, offensichtlich hatten sie nichts. Noch davor gab es Pellkartoffeln durchgemahlen mit Kohlrüben. Man konnte es nicht essen, ich weiß nicht, ob es Schweine essen würden.

Und so während der Hunger – und Bonbonzeit kann der 23. April und die Russen befreiten uns. Es war auch verschieden bis wir uns entschieden haben nach Polen zurückzukehren. Als wir an kamen war viel Freude, aber auch viel Hunger. Wir heirateten am 27. Mai kurz danach zogen wir von der Mutter aus und fingen an selbständig zu leben. Es war nicht leicht, es kamen Kinder zur Welt, der Mann arbeitete und ich zog die Kinder groß, ich nähte weil die Bedürfnisse groß waren. Mit der Zeit haben wir uns eingerichtet, so dass es uns gut ging. Xxxxx
Sicher hätten wir es leichter gehabt, wenn nicht der Kommunismus wäre, sie haben uns ausgenutzt, wenig Geld, viel Arbeit. Vielleicht werden es unsere Enkelkinder jetzt besser haben.

Damit schließe ich ab, weil ich nicht weiß, ob ich es so genau schreiben soll. Wenn es nicht gut ist, bitte ich um Entschuldigung und wenn Sie was mehr interessiert, schreibe ich Ihnen es gerne, weil es noch viel zu schreiben gäbe. So einiges wissen Sie schon.

Ich grüße Sie herzlich und wünsche Ihnen alles Gute, gute Gesundheit und Ausdauer.

Hochachtungsvoll
Xxxxx

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    Fotografie der ehemaligen polnischen Zwangsarbeiterin W.: Fotografie einer Frau; (1944)

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DZSW 8403
Kurzbeschreibung

Wladyslawa W. war als Dienstbotin in einem Beamtenbüro tätig, bis es sich herausstellte, dass es keine Beschäftigung für eine Polin sei. Anschließend war sie Putzhilfe. Zufällig machte sie die Bekanntschaft mit einer ehemaligen Theaterdirektorin, in deren Wohnung sie für Schauspielerinnen Kleider nähen durfte.

 

Herkunftsland: Polen

 

 

Angaben zur Zwangsarbeit
Weitere Objekte

© Dokumentationszentrum NS-Zwangsarbeit / Slg. Berliner Geschichtswerkstatt

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Fotografie der ehemaligen polnischen Zwangsarbeiterin W.: Fotografie einer Frau; (1944)© Dokumentationszentrum NS-Zwangsarbeit / Slg. Berliner Geschichtswerkstatt