Abschrift: xxxxx
Jhrg. 1921
xxxxx
Ukraine


Friede mit Ihnen!

Geehrte Gisela Wenzel und Ihre Gruppe! Ich versuche auf russisch zu schreiben, und verzeihen Sie, wenn es nicht so ganz richtig ist und wenn Fehler auftreten, weil ich in einer ukrainischen Schule gelernt habe und selbst Ukrainerin bin. Ich schreibe mit meiner eigenen kranken Hand.

Ja, Sie haben viele Fragen gestellt, einige von ihnen bin ich nicht zu beantworten in der Lage, weil ich zur Zeit krank bin. Vor anderthalb Jahren war ich in einer xxxxx Abteilung, ich war xxxxx geworden. Jetzt laufe ich mit einer Krücke auf dem Hof, setze ein Bein vor das andere, bewege mich kaum. So ist mein Leben im Alter geworden. Die Leute holen für mich Brot vom Laden, bringen Wasser, manchmal was zum Essen, wenn ich das nicht selbst machen kann.

Was kann ich über den Teil meines Lebens in Berlin schreiben? Erstens fällt es mir schwer, mich an diese Zeit zu erinnern.

Es ist so, und die Hand zittert, die Hände dienen mir doch nicht mehr, und durch die Schwindelanfälle sind auch die Gedanken verwirrt. Aber Sie haben schwarz auf weiß geschrieben, dass es für Sie wichtig ist zu wissen, dass Ihr Brief mich erreicht hat Wie Sie sehen, ist das so.

Na, ein bisschen schreibe ich:

Ich wohnte in der Stadt Dimitrow, Krasnoarmejski Rayon, Donezker Gebiet. 1936 kam der Vater im Bergwerk ums Leben, und wir blieben fünf Kinder mit der Mutter. Vier Brüder und ich, und nach fünf Jahren, 1941, ich würde wünschen, dass ich den Krieg nicht gesehen hätte, begann der Krieg. Zwei Brüder gingen an die Front, einer erreichte Berlin, und der andere kam als Invalide zurück (ohne Bein). Einer kam in der Grube ums Leben, und der andere ist an einer Operation gestorben und der dritte kam ums Leben. Nur einer ist übriggeblieben. Und sogar den sehe ich nicht (er ist sehr schwach), er hat eine starke Sklerose und die Augen sehen nichts. Er lebt noch. Nach dem Krieg habe ich geheiratet, der Mann hat mich in seine Heimat mitgenommen, Transkarpathien. Es sind schon 7 Jahre vergangen, dass er gestorben ist. Ich habe zwei Söhne, aber die sind nicht bei mir. Einer ist dort in Donezk geblieben, und der andere ist hier in Transkarpathien. Aber sie haben eigene Familien. Und ich wohne allein in ....., sitze in meinen vier Wänden und schaue aus dem Fenster auf die Berge und die Wälder und auf die Pumpstation, die die Deutschen vor 10 Jahren gebaut haben. Die waren bei uns in den Karpathen, haben ein Krankenhaus, eine Schule, einen Laden und zwei Mehrfamilienhäuser gebaut. Als sie zurückfuhren, fuhren einige Frauen mit ihnen mit, sie besuchen uns, kommen mit eigenen Autos und mit Kindern zu ihren Eltern.

Es ist merkwürdig, wie sich alles verändert. Und wie ich zu Ihnen gelangt bin, daran habe ich keine Lust mich zu erinnern. Ich lief da in Holzpantinen ohne Strümpfe, ich schlief auf einer Pritsche, zweistöckig. Aß irgendeine scheußliche Suppe (Balanda).
Erst lebte ich in einem Lager (die Straße habe ich vergessen), unsere Baracken waren mit Stacheldraht umzäunt, nirgendwo konnten wir hinaus. Das Lager war neben einem Fluss. Zur Arbeit wurden wir mit einem Schiff gebracht.
Ich schreibe ein Gedicht:

"Im Alter werden wir uns nicht erinnern
an freudige und glückliche Tage.
Ich erinnere mich nur an einen kalten Fluss,
dessen Wellen ans Ufer rollten"

Man arbeitete meistens nachts. Deutsche sah ich nicht, außer unseren Chefs, d.h. wie wir sie genannt haben, xxxxx. Aber sie sind schon nicht mehr am Leben. Sie waren schon damals in vorgerücktem Alter. Ihr Umgang mit uns war so (Du, Mensch). Das war alles, das war das ganze Gespräch.

Sie fragen, ob ich mit Deutschen verkehrt habe. Niemals. Und das war auch verboten. Briefe nach Hause schrieb ich nicht. Doch, einmal teilte uns der Lagerführer mit, dass es erlaubt wurde, nach Hause zu schreiben. Und dann habe ich auf mein Foto, auf dem das aufgenähte OST war, folgende Worte geschrieben:
"Guten Tag Mutter, nimm den Brief von der Tochter,
die Tochter schreibt Dir aus der Ferne, ich bin am Leben,
aber mein Leben ist zerbrochen, ich bin allein, elend und bitter.
Ich wurde in ein fremdes Land gebracht
mit meinem wilden und stürmischen Kopf,
und mein junges Leben wurde zerstört,
ich wurde von Dir, Mutter, getrennt
usw."

Verzeihung, ich kann nicht mehr weiterschreiben, habe keine Kraft mehr. Und was denken Sie, wurde mein Brief abgeschickt? Nein. Er kam zurück.

Nach der Befreiung habe ich nichts aufbewahrt. Einige von uns wurden in andere Baracken gebracht. Als Berlin stark bombardiert wurde, sind sie auch ausgebrannt. Ich kam nach Hause zurück mit nichts in den Händen. Und jetzt ist es zu spät, man hätte mir früher einen Brief schreiben sollen, vor zehn Jahren. Jetzt bin ich 76 Jahre alt, stehe in einem hohen Alter. Aber mein Herz war froh, als ich Ihren Brief bekommen habe. Als ich ihn gelesen habe, konnte ich nicht alles auf einmal lesen, die Hände haben mir gezittert. Da wurde doch meine Vergangenheit aufgerührt.

Ja, ich habe vergessen zu schreiben, wo ich gewohnt habe. Ich wohnte in einer Stadt, die Köpenick hieß, arbeitete in der Fabrik Röhren-Werk. Ich machte sämtliche Arbeiten, und wohin es geliefert wurde, wussten wir nicht. Zu Beginn haben wir im Erdgeschoß ein Geflecht hergestellt, und dann in der 1.Etage, wo ich bis zum Kriegsende gearbeitet habe. Vielleicht ist diese Fabrik schon zerstört. Weil damals sehr stark bombardiert wurde und wir alle weggelaufen sind bis zu unserem Lager. Und nachher kamen wir nicht mehr zurück, und unser Lager war ausgebrannt, und so fuhren wir bald nach der Befreiung nach Hause.

Jetzt bitte ich Sie, sich selbst und mich nicht zu belasten. Das ist schon längst Vergangenheit. Das war im Krieg. Doch ich möchte von Ihnen noch einen Brief bekommen, wenigstens ein paar Worte, ob mein Briefchen Sie erreicht hat. Und ich bitte Sie nochmals, verzeihen Sie meine schlechte Handschrift und die Fehler. Die Hand kann nicht mehr den Kugelschreiber halten. Ich muss jetzt an den Himmel denken, wo mich der Herr erwartet.

Gott mit Ihnen!

xxxxx

PS: Lasst es Euch nicht einfallen, erst in 10 Jahren zu antworten, dann bin ich bestimmt schon nicht mehr am Leben.



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DZSW 1302
Kurzbeschreibung

Die 1921 in der Ukraine geborene Tamara I. K. leistete Zwangsarbeit in einem Röhrenwerk in Berlin-Köpenick. In ihrem kurzen Brief geht sie auf die Lebens- und Arbeitsumstände ein.

 

Herkunftsland: Ukraine

Geburtsjahr: 1921

 

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Angaben zur Zwangsarbeit

© Dokumentationszentrum NS-Zwangsarbeit / Slg. Berliner Geschichtswerkstatt

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