Abschrift: Übersetzung Brief 329

xxxxx
Jhrg. 1926
xxxxx
Ukraine



Guten Tag oder Guten Abend!

Geehrte Frau Gisela Wenzel, entschuldigen Sie mich, da ich die Antwort auf Ihren Brief verzögert habe. Sie wissen, dass man im dörflichen Leben nie die ganze Arbeit schafft: mal Heu mähen, weil das Gras soweit ist, mal Arbeit im Gemüsegarten, und trotzdem habe ich Zeit für eine Antwort gefunden. Anders kann es auch nicht sein. Der Briefträger händigte mir einen Brief aus und sagte: "Für Sie, xxxxx, ein Brief aus Berlin, ein guter Brief." Ich fragte, von wem denn, in Berlin habe ich weder Freunde noch Bekannte. Ja, ich habe dreieinhalb Jahre in Berlin verbracht, und alles ist sehr gut im Gedächtnis haftengeblieben. Berlin kenne ich wie meine alten Schuhe, weil ich aus der S-Bahn faktisch nicht herauskam.

An Gutes kann ich mich nicht erinnern. Ich schreibe kurz. Es ist klar, dass ich alle Ihre Fragen nicht beantworten kann. Dazu müsste man ein ganzes Buch schreiben. Also kurz. Ich kam im Winter 1942 nach Berlin ins Verteilungslager Erkner, S-Bahn Richtung Schöneweide. Danach brachte man uns zur Station Falkensee, zum Lager. Dort gab es ein riesiges Lager. Drei Reihen Holzbaracken nebeneinander. Zur Arbeit gingen wir 6 Kilometer zum Werk Dolbertrude (?). Ich habe als Hofarbeiter gearbeitet. Gearbeitet haben wir jeweils 12 Stunden. Zu essen bekamen wir morgens eine Schöpfkelle gekochte Steckrüben und 2 Stück (?) Brot, am Abend dasselbe, aber ohne Brot. Sie verstehen doch, wir waren jung, 16 Jahre alt, und Hunger hatte man, alles tat weh. Musste man also Tee aus dem Kessel trinken. In der Baracke war ein Kanonenofen, es wurde geheizt. Vier Briketts gab es für 24 Stunden. Es reichte nicht aus, dass wir hungrig waren und uns kalt war, noch dazu gab es Wanzen und Flöhe, die einen auffraßen. Gott gebe, dass niemand erleben muss, was wir erlebt haben. Wenn ich beginne, den Enkeln davon zu erzählen, dann sagen sie, dass man so nicht leben kann. Und wir haben so gelebt und haben den Mut nicht verloren. Von diesem Werk aus wurden wir zur Station Köpenick zur GASAG überführt. Ich habe die Adresse behalten: Berlin-Köpenick, Arbeitslager Kardinalplatz, Gukoschni-Gasse (?). Dort habe ich am Fließband gearbeitet, Kästen mit Kugeln den deutschen Frauen zur Kontrolle übergeben. Das Lager war nicht groß - 150 Menschen. Hier hat man etwas besser gegessen. Es wurde Kartoffelsuppe gekocht.

In der Baracke war einem kalt und auch hungrig. Eine dünne Decke, und das war's. Danach wurden wir nach Spandau, in Richtung Nauen, Station Adlershof, zum Panzerwerk überführt. Das Werk war getarnt, als ob es Sumpf sei. Dort habe ich bei einem tschechischen Ingenieur in einem Labor gearbeitet. Die Arbeit war belanglos.
Was einem gesagt wird, mal etwas zureichen, mal etwas bringen. Das Lager war groß. Wir wurden von niemandem begleitet, sind selbst gegangen, weil man ein Kärtchen stempeln musste. Die Freizeit haben wir unterschiedlich verbracht, mal haben wir die Klamotten mit Dampf von Flöhen befreit, und sonst besuchten wir den ... Park. Dort gab es unterschiedliche Zerstreuungen. Hauptsächlich mit Kartoffelpuffern hat man sich sattgegessen. Das konnten Ostarbeiter sich leisten.

..... besuchten wir häufig den Zoo, fuhren zum schwarzen Markt am Alexanderplatz, na, haben auch die Putlitzstraße besucht, wo man irgendetwas zum Essen beschaffen konnte.
Na, was kann ich über die Deutschen sagen, mit denen ich zusammengearbeitet habe? Sie hatten ein herzliches Verhältnis zu uns, wir waren doch noch Kinder. Obwohl es für sie sehr streng ... war, mit uns zu sprechen. Sie waren auch arme Teufel, muten 12 Stunden arbeiten und danach blieben sie noch für 4 Stunden, und wer nicht nach Hause fuhr, der ... unter der heißen Luft, schlief gleich dort.

Vieles kann man schreiben, und es gibt etwas zu beschreiben. Im Jahre 1945 wurde ich von den sowjetischen Truppen in der Stadt Nauen befreit. Wir wurden dorthin von SS-Leuten getrieben, die uns mit Gewehrkolben schlugen, aber Gott rettete uns. Die amerikanische Luftwaffe griff die Stadt an, hat sie bombardiert, und wir haben diesen Moment zur Flucht genutzt. Vom Lager fuhren wir zur Stadt Nauen zu einem Bauern, um zusätzlich etwas zu essen zu bekommen. Er war ein sehr liebenswerter Mann. Wenn man aus der Bahn aussteigt und aus dem Bahnhof kommt, dann nach rechts, ein bisschen laufen, dort wohnt er. ... Der alte Mann war ein guter ... Ein Sohn war vom Kriegsdienst befreit, war verheiratet. Der andere Sohn war Soldat, Oberleutnant. Wenn ich ihre Adresse kennen würde, dann würde ich ihnen einen Brief schreiben, mich für ihre Gastfreundschaft bedanken.

Nach der Befreiung habe ich vier Jahre in der Armee in Deutschland gedient, bis Mai 49: Nordhausen, Eisenach, Gotha, von Halle aus wurde ich 49 demobilisiert. Zu Hause hat sich niemand um mich gekümmert (?). Ich habe als Traktorist gearbeitet. 1951 habe ich geheiratet, ich habe einen Sohn und eine Tochter. Der Sohn arbeitet das 18. Jahr im Norden, die Tochter wohnt 8 Kilometer entfernt in der Stadt, ich habe vier Enkelkinder. Na, und ich und Oma wohnen zu Hause. Das Leben ist nicht leicht, weil wir schon alt sind, ich bin 72 Jahre alt und Oma 67. Wir sind eben alt. Um irgendetwas zu essen zu haben, muss man eine Kuh halten. Es gibt Schweine, Gänse, Hühner. ... In der Stadt gibt es so etwas nicht.

Auf diesen vier Briefseiten habe ich ... beschrieben. Ich weiß noch heute, welche S-Bahn-Züge es gab. Alles ist im Gedächtnis geblieben. Schöneweide, Potsdam, Wittenau, Oranienburg, Bernau, und von der Friedrichstraße in jede beliebige Richtung. Das, was wir erlebt haben, wird man nie vergessen, und wie kann man es vergessen, wenn es auf ...karte den Stempel "Sklave" gab. Das war eine furchtbare Periode. In Köpenick habe ich gearbeitet, wurde mit deutschem ... Hund zur Arbeit geführt (?). Ich habe gesehen, wie ein SS-Mann eine Deutsche dafür geschlagen hat, weil sie zu schreien begann, als sie einen Briefumschlag geöffnet hatte, und der Mann war bei Stalingrad ums Leben gekommen. Das haben mir die deutschen Frauen erzählt. Damit werde ich schließen, wahrscheinlich wird jemand von Euch in die Ukraine kommen, dann kommen Sie bitte bei mir vorbei, ich werde Euch wie Verwandte empfangen, weil ich in dieser Berliner Hölle war ... Sie werden alles erfahren, was unangenehm zu beschreiben ist.

Bleiben Sie gesund. Schreiben Sie, damit ihre Jugend weiß, was das gewesen ist, ein Faschist. Den kann ich nicht beschreiben. Ich war sieben Jahre in Deutschland, habe alles Mögliche gesehen. Die Deutschen, würde ich sagen, sind ein gastfreundliches Volk, die faschistische Tyrannei hat einen nur Angst eingejagt und natürlich die Gestapo.


Meine Adresse:

xxxxx

PS.: Ich habe nie gesehen, dass ein Deutscher einen Ost-Sklaven geschlagen hätte. Sie hatten Mitleid mit uns, sie waren damals selbst hungrig. Nochmals Auf Wiedersehen. Und in den nächsten Briefen werde ich alles, was Sie interessiert, genauer beschreiben.



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DZSW 1310
Kurzbeschreibung

Der gebürtige Ukrainer Michail I.K. wurde im Winter 1942 nach Berlin zur Zwangsarbeit verschleppt. Er musste häufig die Fabriken und entsprechend auch die Unterkünfte wechseln. Am längsten war er für die Rüstungsindustrie tätig.

 

Herkunftsland: Ukraine

Geburtsjahr: 1926

 

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Angaben zur Zwangsarbeit

© Dokumentationszentrum NS-Zwangsarbeit / Slg. Berliner Geschichtswerkstatt

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