Abschrift: Übersetzung Brief 306

xxxxx
Jhrg. 1923
xxxxx
Ukraine


Ich habe den Brief am 3.August bekommen, und am 6. schicke ich die Antwort ab.
Ich, xxxxx, wurde 1923 im Dorf Kamjanka, Starobelski Rayon, geboren. Mein Vater und meine Mutter waren Ukrainer, und sie hatten 7 Söhne und 2 Töchter. 4 Söhne sind im Krieg gegen die Faschisten ums Leben gekommen, und drei Brüder sind jung gestorben. Wir zwei Schwestern sind übriggeblieben. Ich habe in einem Kolchos gearbeitet. Ich habe einen Kurs als Traktorfahrerin absolviert, aber in einer Molkerei gearbeitet. Ich habe den Bauern die Milch abgenommen. 1941 kamen die Deutschen, und ich wurde entlassen. Es wurde eine Bürgermeisterin eingesetzt, das war eine Bekannte von mir. Ich habe als einfache Arbeiterin gearbeitet. Am 10. November 1942 wurden wir von Polizisten aus dem Dorf verschleppt und zur Stadt Starobelsk getrieben. Die Pferde wurden von den Güterwaggons weggebracht, und uns sieben Mädchen vom Dorf hat man in den Waggon gestoßen, die Tür verschlossen und uns nach Grodno gefahren. Unsere Bekleidung wurde mit Dampf desinfiziert, und wir standen inzwischen nackt da, den Körper mussten wir überall mit Masut beschmieren, auch das Haar, dann wieder in die Waggons, die von Polizisten mit Schäferhunden begleitet wurden, und wir wurden weiter nach Deutschland transportiert. Ausgeladen, in einer Reihe aufgestellt und verteilt, jede Gruppe woandershin. Wir alle sieben landeten in einer Fabrik im Dorf Dudenhofen, und die Fabrik hieß "Walter Sogne" ("Walter und Söhne" ?). Wir stellten Geschirr her. In der Fabrik arbeiteten viele Verschleppte verschiedener Nationen, auch deutsche Frauen, aber die Meister waren alte Opas.

Einer von ihnen war ein Faschist, er prügelte die Russen und warf sie aus dem ersten Stock aus dem Fenster. Einmal war auch ich dran, ich arbeitete an einer Presse und er schlug auf mich mit einem Schraubenschlüssel ein, und ich habe zurückgeschlagen und am nächsten Tag bin ich im Knast gelandet in der Stadt Speyer. Ich wurde bis zur Bewusstlosigkeit verprügelt und in eine Zelle geworfen und kam danach ins Konzentrationslager. Von Juli 1943 bis zum 1. Mai 1945 blieb ich im KZ. Das erste KZ war in Ravensbrück bei Leipzig. In diesem Lager waren Millionen von Mädchen verschiedener Nationalitäten. Ich erinnere mich an xxxxx, eine Fliegerin, und xxxxx. Julia wurde später verschleppt, ich weiß nicht wohin. Sie war auch eine Fliegerin. Ich war mit xxxxx aus Kiew befreundet, weiß aber nicht , wo sie ist, auch mit Polja und Katja aus der Stadt Stalin, die Familiennamen kenne ich nicht. Es war uns nicht danach, Einzelheiten zu erfahren. Um drei Uhr aufstehen, dann zum Appell bis sechs Uhr, danach 2 (?) Gramm Brot mit Sägemehl und einen Becher Tee. Um 5 Uhr abends, wenn wir von der Arbeit zurückgetrieben, mussten wir mit Loren noch Sand transportieren, Hügel abtragen und Baumstümpfe roden. Um 5 Uhr abends zurück ins Lager und dann bekamen wir 5 Liter Steckrübeneintopf, weiter nichts. Wir alle hatten Hunger, und es war sogar schwer Gras zu bekommen, weil das Gras immer unter dem Stacheldraht war. Wir wollten es essen und versuchten es zu bekommen, aber der Stacheldraht stand unter Strom, und manchmal wurde vom Wachturm aus mit einem Maschinengewehr geschossen. Es gab sogar Tote. Wir wurden fast wahnsinnig.

Die Menschen kamen um fünf Uhr ins Lager, und dann wurden sie von den Aufsehern mit Peitschen ins Lager hinein- und wieder hinausgetrieben bis 11 Uhr nachts. Und dann wurde das Signal zum Schlafen gegeben. Es gab auf den Pritschen sehr viele Wanzen, und man konnte nicht schlafen, weil man von ihnen gebissen wurde. Das waren schreckliche Biester. Wie lange ich im KZ war, weiß ich nicht. Im Winter gingen wir hinaus. Wir zogen die Kittel aus, die vorne und hinten mit drei Kreuzen gekennzeichnet waren. Vorne gab es darauf noch eine Nummer. Ich wurde bis Ende des Krieges als politischer Häftling betrachtet. Und danach nackt zum Arzt. Der saß und wir kamen vorbei, eine nach links, die andere nach rechts. Und dann wurde ich in ein anderes KZ transportiert, in die Stadt Berlin-Brandenburg. Das KZ war neben der Oder. Wir wohnten in Baracken. Wir wurden mit einem Schiff zur Fabrik transportiert Wir löteten Reibeisen, dann Kabel mit 22 Adern, man musste sehr genau löten, weil die Adern verschiedene Farben hatten, rote und blaue z.B. Und danach prüfte der Meister die Genauigkeit und holte die Kabel ab und wenn einer falsch gelötet hatte, dann jagte er sie oder ihn durch die Werkhalle, bis man zu Boden fiel. Besonders wurden die Russen geschlagen, und ich war auch eine Russin, da ich nicht wusste, dass ich Ukrainerin war und einen Pass hatte ich nicht. Und ich dachte, es sei egal, ob Russin oder Ukrainerin.
Die Aufseherinnen haben uns einfach so geschlagen. Dann wussten wir, dass unsere Truppen angriffen. Wenn sie zusammenstanden und fröhlich aussahen, dann wussten wir, dass die Deutschen in der Offensive waren.

Sie fragen, ob wir Briefe geschrieben haben. Ach wo! Wir wussten nicht einmal, welchen Monat oder Wochentag wir hatten. Wir haben nicht einmal hochgeblickt, um nicht hinzufallen. Wir konnten kaum laufen. Wir waren mager wie Gerippe, abgemagert und hungrig. Im Winter hatten wir nur Holzpantinen, keine Fußlappen und kein Papier. Nur einen Kittel. Unterwäsche hatten wir auch nicht. Kein Tuch auf dem Kopf, kahl geschoren. Wenn Sie uns gesehen hätten damals, hätten Sie Angst gekriegt, nur die Nasen und Ohren ragten heraus. Und wenn wir zu Fuß gingen, hielt eine die andere unter dem Arm. Das Lager wurde durch Luftminen zerbombt, und wir wurden mit dem Schiff die Oder aufwärts gebracht. Wir kamen in ein anderes KZ. Die Hälfte des Lagers war für Männer, die andere für Frauen. Dort blieben wir nicht lange. Dann kamen wir auf Etappe, vorne waren die Männer. Als wir gingen, sahen wir erschlagene Gefangene mit dem Zeichen "OST" auf den Armen oder auf dem Rücken, und die Gefangenen lagen erschlagen zu beiden Seiten der Straße. Das waren Ukrainer. Wir gingen Tag und Nacht, dann wurden wir in eine Scheune gesperrt, die einem Bauern gehörte, und die Polizisten mit den Hunden gingen sich ausruhen.

Wir wurden von den Russen befreit. Wir gingen zur Kommandantur, damit die uns nach Hause transportierten. Der Kapitän lächelte und sagte, sie könnten uns nicht nach Hause bringen, da wir kaputtgehen würden. So abgemagert waren wir, und in den Kitteln sahen wir so schrecklich aus. Wir bekamen vom 31. Mai bis zum Juli viel zu essen, und dann wurden wir nach Hause transportiert. Ich kam nach Hause, und die Mädchen, mit denen ich zusammen gewesen war, haben mir gesagt, dass Olga erschossen worden war. Ich hieß in Deutschland Olga, aber ich bin Uljana. Ich schrieb, wohin ich konnte, dass ich in Deutschland gewesen war, aber nirgendwo war ich vermerkt. In Moskau habe ich an das Rote Kreuz geschrieben und nach Poltawa und Lugansk dreimal und endlich habe ich von Lugansk aus Starobelsk einen Brief bekommen, dass ich xxxxx bin. Ich beschloss ein Gerichtsverfahren anzustreben, dass ich nicht Olga, sondern Uljana bin. Weil alle Mädchen Geld bekamen, und nur ich allein war im KZ, habe gelitten, und ich dachte nicht, dass ich nach Hause kommen würde, und ich bekomme kein Geld. Alle haben es bekommen, haben sich Gas legen lassen, und ich habe nichts, und ab März habe ich keine Rente bekommen, und keiner hilft mir. Der Mann ist schon vor 20 Jahren verstorben, er war gelähmt. Die Brüder sind im Krieg ums Leben gekommen, die Verwandten sind verstorben, und ich wohne allein und bin schwach. Die Nachbarn helfen mir, bringen mir mal Wasser vom Brunnen, mal bringen fremde Kinder Brot. Eigene Kinder hatte ich nicht: als ich aus Deutschland gekommen bin, hatte ich 80% xxxxx, der später in xxxxx überging. Ich kann nicht laufen, ich bewege mich nur mit einer Krücke. Und alle meine Verwandten sind schon verstorben. Ich bin allein geblieben, um zu leiden.

Ihr jungen Leute, verzeiht mir, dass ich Euch die Wahrheit schreibe: Ich habe keine Briefe, keine Bekannten, ich wußte nicht, wie sie in Dudenhofen hießen. Die Lagerführerin hieß Frau xxxxx. Sie war "in Ordnung". Sie verprügelte mich gehörig dafür, dass ich den Meister geschlagen hatte, hat gesagt, dass ich ein "russischer Schweinehund" bin und erschossen werden müsste, und ich antwortete ihr: "Egal", und dann hat sie noch stärker auf mich eingeprügelt. Und im KZ Ravensbrück waren die Aufseherinnen Frauen in Militäruniformen mit Peitsche, Revolver, und sie haben uns geschlagen, damit wir arbeiten. Und ich war froh zu arbeiten, als Winter war, um nicht zu frieren, denn ich hatte nur den Kittel, war fast nackt und Holzpantinen an den bloßen Füßen, und der Winter 1944/45 war sehr kalt. Der Körper wurde fast schwarz, und wenn man in Ohnmacht gefallen ist, dann wurde man auch von den Aufseherinnen mit Peitschen geschlagen und mit Füßen getreten. Und wenn sie müde wurden, wurde man in den Keller geworfen, und wenn man wieder zu sich kam, ließen sie einen wieder raus "Ab, raus, Mensch!" Wie viele Menschen lagen schon tot da, die Bäuche aufgeschlitzt und die Därme heraustretend wie aufgeblasen. Ich war selbst im Keller bewusstlos, kam zu Bewusstsein und habe das alles mit meinen eigenen Augen gesehen.

Sie fragen, ob Ärzte dagewesen sind. Wenn man krank wurde, wurde man gleich ins Krematorium gebracht, und von dort gab es keine Rückkehr. Es wurden viele verbrannt. Mit Autos hat man russische Soldaten, Offiziere und Matrosen gebracht. Sie waren in Unterwäsche und schrien: "Auf Nimmerwiedersehen, Mädchen." Und das alles passierte in Ravensbrück. Eine von den Aufseherinnen hatte uns in die Kantine geschickt, um einen Trog mit Steckrüben zu holen. Und ich selbst habe das gesehen.

Sie fragen, ob wir bezahlt worden sind. Nein. Nur die Peitsche auf den Kopf oder Rücken. Noch heute gibt es die Narben von dieser Bezahlung, die bei schlechtem Wetter schmerzen. Im Zivillager wurden vielleicht Mark ausgezahlt, aber im KZ nicht und wieder nicht. Briefe haben wir im KZ nicht geschrieben, davon konnte keine Rede sein.

Was fällt mir noch ein. Wir wurden mal vom Knast mit Schäferhunden zur Station gebracht, und die Station in Ludwigshafen (?) war über Nacht zerbombt worden, und da standen Frauen in einer Gruppe, und wir kamen vorbei und die haben uns bespuckt und mit "Russenschweine" beschimpft. Mit Ihren Arbeitern war ich nicht befreundet, weil ich immer im Gefängnis oder im KZ war. Es gibt auch gute Menschen bei Euch, und bei uns gibt es auch Schweine. Seien Sie nicht böse, ich schreibe nur die Wahrheit. Ich habe nichts gelobt und nicht alle getadelt.

Im KZ Ravensbrück bei Leipzig war ich xxxx, und in diesem Lager waren Millionen von Frauen. Meine Nummer war 36983 10 K (...?) Baracke. Die Sirenen heulten, wenn gebombt wurde. Und wir wurden um 3 Uhr geweckt und mussten bis 6 beim Appell stehen. Fast nackt. Nur die Pantinen und den Kittel, sonst nichts. Und dann wurden wir unter Bewachung zur Arbeit gebracht. Wir vergessen also ewig nicht, was in Deutschland gewesen ist. Es gibt etwas, woran man sich erinnern kann. Seien Sie nicht gekränkt, dass ich so offen schreibe, wie es gewesen ist. Hätten doch Hitler und Stalin kämpfen sollen, wer der Stärkere ist, aber sie haben Millionen Menschen aufeinandergehetzt und vernichtet, Eure Menschen und unsere unschuldigen Menschen. Ich war mit Hitler nicht zufrieden - er hatte einen Nichtangriffspakt mit der UdSSR - und hat selbst den Krieg angefangen. Es hat ihm alles nicht ausgereicht. Und jetzt schreibe ich Ihnen Gedichte, die im KZ geschrieben wurden:

"Wir wurden in das Land der Verwilderten verschleppt,
wo man KZ's gebaut hat.
Von den Deutschen wurden wir offen verhöhnt,
um die jungen Herzen zum Leiden zu bringen.
Die Deutschen haben mehrere dieser Lager,
daran sind die Arier reich.
Sie haben uns in einem Käfig eingeschlossen
wie wilde Tiere,
die Blutsauger.

Um drei Uhr aufstehen
wenn friedliche Menschen noch schlafen,
halb ausgeschlafen, verhungert und barfuß zum Appell,
stehen wir in Fünferreihen

200 Gramm Brot, ein Becher dünne Suppe,
ein Stück rote Bete oder eine Möhre,
dann ist man ein glücklicher Mensch,
wenn man das ohne Blut bekommt.

Morgens gibt man eine Portion,
bis zum Abend muss es langen.
Wie ein Stein im Hals, wenn man es hinunterschluckt
Möge Hitler daran ersticken.

Wenn man krank wird, wage nicht, es zuzugeben,
denn Behandlung gibt es nicht.
Zur Behandlung wird man ins Krematorium gebracht,
und von dort gibt es keine Rückkehr mehr.




Junge Mädchen und Jungen! Ich schreibe, dass ich keine Briefe oder Fotos bekommen habe. Wer sollte von uns Schrecklichen Fotos machen, wenn wir keinen Spiegel und keinen Kamm hatten, und wenn man am Fenster stand, dann bekam man von einer Aufseherin die Peitsche über den Kopf gezogen, weil sie sagte, dass wir uns im Fenster wie in einem Spiegel betrachten würden. Als ich im Zivillager gewesen war, da kam ein Fotograf, und dann haben wir Fotos gemacht: wir 4 Mädchen aus Kamjanka oder aus Swatowo. Wir waren zwei xxxx und ich, xxxxx. Ich stehe ganz am Rande mit Zöpfen, auf der rechten Brust eine Blume, und mit einem schwarzen Gürtel. Damals hatte ich noch heimische Kleidung an, und im KZ einen Kittel mit einem Kreuz vorn und hinten und mit einer Nummer auf dem Arm und einem angenähten Schild "Russin".

Ich wurde Olga genannt, weil wir zwei Uljanas im Zimmer gewesen waren. Und für mich war es egal, und die Deutschen riefen mich: "Olga, komm!" Dann wusste ich, dass ich gerufen wurde. In Berlin waren die Meister Frauen, und sie vertrauten mir bei der Arbeit, aber ich kann ehrlich sagen, dass ich die Familiennamen nicht kenne. Ich dachte nicht, dass ich nach Russland zurückkommen, sondern dass ich dort ums Leben kommen würde. So wie viele umgekommen sind. Ich war mit Französinnen befreundet, und immer wenn sie ins Bett gingen in den Baracken, dann kamen sie zu mir, küssten mich und sagten "Gute Nacht". Sie waren in einer anderen Baracke. Mit den Mädchen, mit denen zusammen ich in Deutschland gewesen bin, stehe ich in Korrespondenz. Sie sind verheiratet, eine in Lugansk und eine in Lisitschansk. Ich schreibe mich mit xxxxx aus Swatowo, und sie schreiben mir alle, dass sie alle außer mir Geld bekommen haben. Ich bin überhaupt unglücklich, Kinder habe ich nicht. Jetzt brauche ich selbst Hilfe, und die bekomme ich von nirgendwoher. Sei nicht gekränkt, Jugend.

Auf Wiedersehen!



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DZSW 1287
Kurzbeschreibung

Uljana A. T. wurde am 10. November 1942 von Polizisten aus dem Dorf festgenommen und im Güterzug nach Deutschland zur Zwangsarbeit verschleppt. Ihre handgreifliche Auseinandersetzung mit dem Meister endete mit der Gefängnisstrafe und der darauffolgenden Deportation ins Konzentrationslager Ravensbrück, wo sie weiteren Misshandlungen ausgesetzt war.

Herkunftsland: Ukraine

Geburtsjahr: 1923

 

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Angaben zur Zwangsarbeit

© Dokumentationszentrum NS-Zwangsarbeit / Slg. Berliner Geschichtswerkstatt

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