Abschrift: xxxxx
Jhrg. 1925
xxxxx
Ukraine

Guten Tag,
geehrte Gisela Wenzel!

Ich heiße xxxxx. Ich habe Ihren Brief bekommen, vielen Dank, dass Sie nicht vergessen.

Ich wurde am 8. Februar 1925 in xxxxx, geboren. Ich war 17 Jahre alt, als ich am 23. März 1943 nach Deutschland verschleppt wurde. Zu dieser Zeit hatte ich sieben Klassen abgeschlossen. Mein Vater starb, als ich acht Jahre alt war. Ich wurde zusammen mit meiner Mutter nach Deutschland gebracht. Unsere Familie lebte arm: außer mir gab es in der Familie noch zwei Kinder. Ich habe 1945 geheiratet (meinen zukünftigen Mann habe ich in Deutschland kennengelernt, er diente in der Sowjetarmee, wir heirateten in Deutschland). Mit dem Mann lebte ich 47 Jahre zusammen, er starb vor fünf Jahren. Wir hatten drei Kinder.

In Deutschland arbeitete ich zuerst ein halbes Jahr bei einem Privatmann in der Stadt Gerswalde. Danach wurde ich in eine Fabrik in Köpenick geschickt, wo ich als Dreherin gearbeitet habe. 1944 -1945 gab es starke Bombenangriffe und Hunger. Der Arbeitstag betrug bei uns 10 Stunden. Im letzten Jahr arbeiteten wir nur nachts. In der Fabrik wurden wir sehr gut behandelt. Niemand erhob jemals seine Stimme gegen mich. Die Meister in der Fabrik waren ausschließlich ältere Menschen, die sehr gut und warmherzig zu uns waren. Jede Woche bekamen wir Lohn. Der war sehr gering. Neben der Fabrik gab es eine Baracke, in der wir 85 Mädchen waren. Das Essen war sehr dürftig, und die Nacht über fraßen uns die Wanzen.

Jeden Tag, früh am Morgen und abends wurde uns ein kleines Stückchen Brot gegeben. Während unseres gesamten Aufenthalts bekamen wir nur einmal eine Kartoffelsuppe.
Meistens quälten uns nur der Hunger und die Bombenangriffe.

An den freien Tagen fuhren wir nach Karlshorst (?) zum Tanzen.

Wir lebten hinter zwei Stacheldrahtreihen. Dienenigen, die krank waren, wurden ins Krankenhaus nach Erkner gebracht. Es war uns erlaubt, Briefe nach Hause zu schreiben, es gab aber niemanden, dem man schreiben konnte. Mit der deutschen Bevölkerung hatten wir normale Verhältnisse. Von den Deutschen habe ich vieles gelernt - Sauberkeit, Genauigkeit. Unsere Baracke brannte einen Monat, bevor die sowjetischen Truppen in Deutschland einmarschierten, ab, und ich lief zu meiner Mutter, die bei einem Privatmann (Chosjain) arbeitete.
1946 kam ich mit meinem Mann nach Hause zurück. Zu Hause hörten wir viele Beleidigungen an unsere Adresse - wieso wir nicht aus der Gefangenschaft geflohen und nicht Partisanen geworden seien.

Nach dem Krieg lebten wir sehr gut. Jetzt habe ich 5 Enkel und zwei Kinder. Ein Sohn ist vor 5 Jahren gestorben. Hier in der Ukraine wurde ich Galina genannt.

Ich schicke Ihnen Fotos von meiner Mutter, meines und das meiner Freundinnen.

Damit beende ich meinen Brief. Ich werde auf Ihre Antwort warten, und wenn Sie zu uns kommen, werde ich mich freuen.

Auf Wiedersehen



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    1. Fotografie der ehemaligen ukrainischen Zwangsarbeiterin Anna K.; Studioaufnahme vor einer gemalten Parkkulisse; (Berlin, 06.12.1944)
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DZSW 1290
Kurzbeschreibung

Anna P.K. wurde 1925 in der Ukraine geboren. Sie wurde im März 1943 zusammen mit ihrer Mutter nach Deutschland verschleppt, wo sie bei Privatpersonen und in einer Fabrik gearbeitet hat.

 

Herkunftsland: Ukraine

Geburtsjahr: 1925

 

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Angaben zur Zwangsarbeit

© Dokumentationszentrum NS-Zwangsarbeit / Slg. Berliner Geschichtswerkstatt

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2. Fotografie der ehemaligen ukrainischen Zwangsarbeiterin Anna K.: Fotografie zweier junger Frauen und eines Mannes; (16.07.1944)
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3. Fotografie der ehemaligen ukrainischen Zwangsarbeiterin Anna K.: Fotografie einer Frau (vermutlich Anna Petrowna selbst) auf einer Holzbrücke; (Berlin-Köpenick, undatiert)
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