Abschrift: Übersetzung Brief 303

xxxxx
Jhrg. 1922
xxxxx
Ukraine
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Geehrte Gisela Wenzel!

Es schreibt Ihnen xxxxx.

Ich habe eine Kompensation in Höhe xxxxx erhalten
.
Ich wurde in der xxxxx Rayon im Kiewer Gebiet in einer Bauernfamilie geboren. Mein Geburtsdatum ist der 20. Dezember 1922. Im Juni 1942 wurden wir nach Deutschland verschleppt. Aus unserem Dorf hat man damals neun Mädchen mitgenommen, die mit mir zusammen in dem Werk in Deutschland waren. Vor dem Krieg hatte ich vier Klassen beendet. Ich wohnte bei meinen Eltern. Außer mir hatten die Eltern noch zwei Söhne und zwei Töchter. Ich war die Älteste. Der Vater war nicht an der Front. Heute sind meine Brüder und eine Schwester noch am Leben, die Eltern sind verstorben.
Die Stadt, in der wir gearbeitet haben, hieß Köpenick. Wir haben in einem Werk an Maschinen gearbeitet, haben Eisen geschnitten. Wir haben von morgens acht Uhr bis zum Abend gearbeitet. Wir hatten eine Stunde Mittagspause, haben in Baracken gewohnt. Wir wurden nicht schlecht behandelt, nicht geschlagen.
Einmal in der Woche bekamen wir Lohn von 30-40 Mark. Sonntags von 13-15 Uhr wurde uns erlaubt nach Berlin zu fahren.
Es war uns erlaubt Fotos zu machen, aber leider habe ich heute keine Fotos mehr. Unser Lager war auf dem Werksgelände. In den Baracken gab es Herde, mit denen man die Räume beheizt hat.
Am Sonnabend haben die deutschen Frauen, die uns kontrollierten, uns mit nach Hause zum Arbeiten genommen. Dafür bekamen wir Essen und irgendwelche Kleidung. Ich erinnere mich daran, dass wir mit dem Boot über einen Fluss zur Datscha dieser Frauen gebracht wurden. Und dort haben wir Wäsche gewaschen, Holz gehackt.
Wenn jemand krank war, haben wir es dem Dolmetscher gesagt, und der brachte Arzneimittel. Krank waren wir nicht oft, meist hatten wir Kopf-oder Magenschmerzen. Zwei Freundinnen von mir, die mit mir zusammen aus dem Dorf verschleppt worden waren, wurden krank, man sagte, dass sie Tuberkulose hatten, und so sind sie gestorben. Man hat uns zur Beerdigung geführt.
Als wir nach Deutschland unterwegs waren, wurden wir auf größeren Bahnstationen von Kommissionen kontrolliert. Nach der Ankunft gingen wir alle ins Bad, haben uns gewaschen, die Kleidung wurde desinfiziert und wieder ausgegeben. Und in unserer Kleidung haben wir auch gearbeitet.

Einmal in der Woche war es erlaubt, Briefe nach Hause zu schreiben. Päckchen von zu Hause hat man fünf oder sechs Stück mit einem Gewicht von je 250 Gramm geschickt.
Von der deutschen Bevölkerung wurden wir unterschiedlich behandelt, aber nicht kränkend. Ich erinnere mich an eine Köchin, eine Karelo-Finnin, sie war am schlimmsten. Die Deutschen waren besser. An Namen kann ich mich leider nicht erinnern.
1945 wurden wir von den Russen befreit. Wir gingen etwa 40 Kilometer zu Fuß. Danach wurden uns Brot und Wurst gegeben und mit Autos bis zur Stadt ? gebracht. Von Kiew aus fuhren wir mit einem Güterzug bis Fastow. Von Fastow bis zur Station Taganga (?) kam ich mit dem Zug nach Hause.
Nach dem Krieg habe ich in einem Kolchos gearbeitet. 1948 habe ich geheiratet. Ich habe drei Söhne. Vor anderthalb Jahren ist mein Mann gestorben. Jetzt wohne ich mit einem Enkel zusammen, der zur Schule geht.
Mein Leben hat sich kompliziert gestaltet. Es ist sehr schwer, sich daran zu erinnern, aber jetzt ist das Leben auch schwer.

Meine Freundinnen, mit denen zusammen ich in Deutschland gearbeitet habe, leben noch. Jede hat ihr Schicksal, ihr Leben. In unserem Dorf gibt es viele Frauen, die in Deutschland gewesen sind, und jede könnte viel darüber erzählen.
Ich bin schon alt, bin nicht sehr gebildet, aber bitte schreiben Sie mir. Ich warte auf Ihren Brief.
Auf Wiedersehen.


Dokumentationszentrum NS-Zwangsarbeit / Slg. Berliner Geschichtswerkstatt

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DZSW 1284
Kurzbeschreibung

Jekaterina A. S. stammt aus dem Kiewer Gebiet aus einer Bauernfamilie. Sie war in einem Werk in Berlin-Köpenick bei der Verarbeitung von Eisen tätig. Samstags nach der Arbeit nahm das Aufsichtspersonal die Zwangsarbeiterinnen mit nach Hause und ließ sie dort weiter arbeiten.

Herkunftsland: Ukraine

Geburtsjahr: 1924

 

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Angaben zur Zwangsarbeit

© Dokumentationszentrum NS-Zwangsarbeit / Slg. Berliner Geschichtswerkstatt

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