Abschrift: xxxxx
Jhrg. 1925
xxxxx
Ukraine
xxxxx 22. August 1997





Geehrte Gisela Wenzel!


Am 5. August 1997 habe ich Ihren Brief erhalten, für den ich sehr, sehr dankbar bin. Ich dachte mir, dass es noch gute Menschen gibt. Als ich am frühen Morgen in den Briefkasten geschaut und so einen Briefumschlag gesehen habe, dachte ich, dass es vielleicht um das Geld wegen der Kompensation geht, als ich ihn geöffnet hatte, habe ich geweint, konnte sogar nicht alles lesen, ich war allein zu Hause.
Ich habe ihn gelesen, und dann ging ich zu meinen Freundinnen, die in Deutschland waren, habe vorgelesen, und wir haben zusammen geweint.

Ich wurde am 2. August 1925 im Dorf Kanisch, Nowo-Mirgorodski Rayon, Kirowogradskaja Oblast, geboren. Mein Mädchenname ist xxxxx. Ich war in Deutschland unter diesem Familiennamen. Ich habe 8 Klassen in der Schule Nr. 16 abgeschlossen, und kaum hatte ich die Prüfungen bestanden, es sollte noch eine Versammlung sein, da war Krieg. Ich habe sogar das Zeugnis nicht abgeholt, mir war schon nicht mehr danach. Im Jahre 1942 war ich 16 Jahre und 7 Monate alt. Ich verstand nicht ganz, und habe den Krieg auf meine Art begriffen. Ich konnte mir nicht vorstellen, wie es alles werden würde, na ja, wenn Krieg, dann Krieg. Ich schaute die Erwachsenen an, wie sie sich aufregten und weinten, aber später habe ich alles begriffen.

Im August 1941 kamen zu uns die ersten deutschen Soldaten, mal auf Autos, mal auf Motorrädern. In der Schule hatte ich ein bisschen Deutsch gelernt und verstand einige Worte. Man hat sofort begonnen, die Soldaten einzuquartieren. Bei uns waren zwei deutsche Soldaten in der Wohnung. Ich ging in die Kolchose arbeiten, wir bündelten Hafer und Weizen, rodeten Kartoffeln und neben uns hoben die Menschen Panzergräben aus. Es waren viele Menschen, und sie sind die ganzen Tage lang von früh am Morgen bis zum Abend neben den Gräben herumgeschwirrt.

Dann begannen Lastkraftwagen mit Planen anzukommen, und wir waren nicht weit davon, man hat Juden mitgebracht, um sie umzubringen. Wir haben uns sehr erschrocken. Menschen mit Kindern stiegen aus und liefen mit Geschrei zu diesem Graben und wurden gleich getötet, es war unmöglich, das auszuhalten. Mein Vater weinte zu Hause, die Mutter auch, und jetzt habe ich verstanden, dass es unmöglich war nicht zu weinen, wenn man sich an dieser Verhöhnung sattgesehen hatte. Nachts konnte ich nicht schlafen, ich war krank.

Mein Vater wurde 1897 im Dorf Kanisch geboren. Er war ein sehr guter Mensch. Und als er saß und nicht mit mir und meiner Schwester sprechen konnte, umarmte ich ihn, und bat ihn, es nicht so tief mitzuerleiden. Aber dann kamen ein Polizist und ein Dorfältester von uns und sagten, dass am nächsten Tag Sie, Jakow Iwanowitsch, zu den Gräben arbeiten gehen müssten, um die Toten zu verscharren. Aber man verscharrte die einen, und dann lieferte man andere und er sieht, dass es dazwischen auch noch Lebende gibt. Er konnte das nicht ertragen, kam nach Hause und erzählte und weinte auch.

Und dann wurde ich am 26. Mai 1942 nach Deutschland abgeholt. Es kam ein Gestellungsbefehl aus der Kolchose. Der Vater sagte, dass ich noch zu jung sei, aber niemand achtete darauf, und wir wurden in die Stadt gebracht und waren dann in einem Zentrum, von wo aus wir am 31. Mai zur Station abtransportiert, in einen Güterzug verladen und die Türen verschlossen wurden. Aus unserer Ortschaft, wo ich wohne, wurden 22 Menschen verschickt. Wir fuhren um 12 Uhr mittags ab. Der Zug fuhr ab, wir haben geschrien und das wars. Man hat nicht geöffnet, aber in irgendeiner Stadt, ich kann es nicht genau sagen, nicht weit von Deutschland (Berlin) war ein Verteilungslager. Wir wurden im Kreis aufgestellt, dann kamen die Bauern in weißen Kitteln und begannen sich Arbeiter auszuwählen, aber wir standen hinten, und uns hat keiner gesehen. Wir, alle zusammen, wurden danach auf Lastkraftwagen geladen und wir fuhren, aber erreichten bald Berlin, fuhren durch die Stadt, schauten, wie schön Berlin ist, die Balkons erblühten von Blumen, und wir dachten, es wird vielleicht hier gut zu leben sein, vielleicht gibt es hier keinen Krieg. Wir wurden in ein Lager nach Wendenschloss gebracht, da standen zwei Baracken und die Küche wurde "Kantine" genannt, das Lager war mit zwei Reihen Stacheldraht umzäunt, mit Schilf verdeckt, damit sie uns nicht sähen und wir sie nicht. Wir wurden auf den Hof geführt. Man spürte, dass gebaut wurde, die Baracken wuchsen mit jedem Tag. Wir bevölkerten einen Raum in der Baracke. Dort gab es zweistöckige Pritschen, in der Mitte des Raumes gab es einen Ofen, wir dachten wozu, es war noch warm. Am Morgen wurden wir registriert, Fingerabdrücke wurden genommen, und uns wurde gesagt, gehen Sie in die Küche und holen sie sich Mittagessen, und wir sahen dort Mädchen aus Charkow. Sie hatten schon einen Monat gearbeitet und waren sehr hungrig, sie haben uns etwas erzählt und gesagt, wenn bei euch etwas übrig bleibt, und ihr könnt es nicht essen, dann gebt es uns. Wirklich, wir konnten nicht essen, wir hatten noch etwas von zu Hause übrig, und die Suppe war widerlich. Jetzt begannen wir zu weinen.

Morgens früh aufstehen, auf dem Schiff über die Spree, wir fuhren lange mit dem Schiff, fuhren zum Werk AEG, Kabelwerk Oberspree, Oberschöneweide. Mein Betrieb war PS AEG. Ich wurde zusammen mit xxxxx hingebracht, sie war noch keine 15 Jahre alt. Wir betraten die Fabrik, ich war erschrocken, ich sah viel Qualm, und die Pressen arbeiteten, ich wurde an eine Maschine gestellt.

Ich hatte Angst, die Hebel anzufassen. Es gab einen Gasofen. Man gab mir eine Zange und sagte: "Nimm dieses Teil, leg es unter die Presse und arbeite". Und so arbeiteten wir von 1942 bis 1945.

Einige Mädchen flohen aus dem Lager und baten mich, auch zu fliehen, aber ich hatte Angst und hatte keine Bekannten. Einige von ihnen wurden geschnappt und ins KZ gebracht. Und ich war bis zuletzt in Gorinsdorf (?). Von diesem Lager aus wurden wir nach Köpenick überwiesen. Dieses Lager war in einem Kiefernwald. Es gab viele Baracken, und die Kantine war neben den Fluss gebaut worden. Wir wurden mit dem Schiff zum Werk gebracht. Wir arbeiteten von 6 Uhr morgens bis 6 Uhr abends, am Sonnabend bis 3 Uhr. In der Freizeit wuschen wir am Ufer, am Anfang konnten wir nicht raus und wir saßen, aßen und weinten. Aber wenn man jung ist und man sieht, dass man nicht allein so schlecht lebt, dass es viele wie mich gibt, hat man sich beruhigt.

Das Essen war schlecht. Wir bekamen zum Mittagessen einmal täglich eine Steckrübensuppe, Möhren, Rettich. Einige Mädchen konnten es nicht essen, sie nahmen die Ration Brot, salzten sie, das war alles, die Suppe aßen sie nicht.

Und dann kam die Zeit, wo die Unseren bombardierten. Besonders schrecklich war es, als die Amerikaner bombardierten. Viele Lager unterlagen der Bombardierung. Ich sah, wie verbrannte Menschen aus den Gräben ins Lager getragen wurden. Die Menschen hatten nur die Beine unversehrt, alles andere war schwarz und die Arme waren abgefallen.

Und dann wurden wir am 24. April 1945 von den Russen befreit, und ich wurde ins Krankenhaus zur Arbeit geholt. Wir pflegten die Verwundeten, und Ende Oktober 1945 kam ich nach Hause. Mein Vater war gestorben. Er war nach Deutschland verschleppt worden und arbeitete in einem Reifenwerk. Frankfurt/Main, Stadt Hanau 1944. Er wurde von Landsleuten aus unserer Stadt beerdigt. Mir teilte man das nach Berlin mit, aber man ließ mich nicht weg, und bis zum 6.Juni 1944 wurde ich zur Beerdigung erwartet. Er starb genau am 31.Mai 1944. Ich würde so gern wenigstens sein Grab besuchen, aber was kann man sagen, es klappt nicht.

1948 habe ich xxxxx geheiratet. Wir lebten 43 Jahre zusammen, und er starb am 16. Oktober 1991 (nach einem xxxxx war er 10 Jahre xxxxx).
Xxxxx wurde ich vom Sohn xxxxx entbunden. 1973 heiratete der Sohn, und ich habe zwei Enkel: xxxxx geboren xxxxx geboren. Er hat 11 Klassen absolviert und alles mit 1 - wurde in der Universität immatrikuliert, aber man muss sehr viel für das Studium bezahlen, xxxxx für 6 Monate.

Als ich aus Deutschland nach Hause kam, war bei uns alles zerstört, und es war sehr schwierig zu leben. Aber ich glaubte immer, dass es leichter werden würde. Mit jedem Jahr wurde das Leben besser, aber seit 1992 und bis jetzt ist es sehr schwer zu leben. Ich bekomme xxxxx monatlich Rente, man muss für Gas xxxxx bezahlen, Wasser und Strom, und mir bleibt sehr wenig übrig. Brot kostet 60 Kopeken 700 Gramm, aber zum Brot kann ich nichts kaufen, kein Geld, aber der Organismus braucht manchmal Fisch, Butter und andere Lebensmittel, und sieh zu, wie du überlebst.

Ich sehe fern und denke mir, wie gut Euer Präsident ist, er denkt an Euer Volk, Sie leben doch gut, und er hat an uns gedacht, an diese armen "Ostarbeiter", für eine geldliche Kompensation hat er eine nicht geringe Summe ausgegeben. Aber uns wurde alles geklaut und nur 50% (xxxxx) ausgezahlt. Wenn Euer Vertreter bei der Auszahlung gewesen wäre, wäre das wahrscheinlich nicht passiert. Die Geldanlagen, die wir in der Bank eingezahlt hatten, wurden auch eingefroren, und sieh zu, wie du lebst.

Ich bitte Sie sehr, wenn es für Sie nicht zu schwierig ist, herauszufinden, ob es in den Archiven das Grab meines Vaters, xxxxx, gestorben am 31. Mai 1944, gearbeitet in Frankfurt/Main, Stadt Hanau, gibt, und teilen Sie mir das schriftlich mit. Der Enkel würde sehr gerne mit mitfahren, aber es bleibt nur ein Traum.

Ich bitte Sie, wenn wir einander schreiben werden, kommen Sie zu uns, ich lade alle anderen, die in Deutschland waren und noch am Leben sind, ein. Sie bringen Fotos mit, die am Alexanderplatz und an anderen Örtlichkeiten gemacht wurden.

Ich habe ein Foto und einen Arbeitsausweis, oder genauer, einen Passierschein für das Werk.


Entschuldigen Sie, dass ich zu viel geschrieben habe, aber wenn man alles ausführlich beschreiben würde, reicht das Papier nicht.

Wir küssen Euch, meine unbekannten Menschen. Ich bitte Sie sehr, kommen Sie - ich empfange Euch und verabschiede Euch. Schreiben Sie, wann man Euch erwarten kann.


Wir warten auf Antwort.


xxxxx
Ich warte auf Antwort



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DZSW 1296
Kurzbeschreibung

Anna J. S. wurde im Mai 1942 festgenommen und im Güterzug nach Berlin zur Zwangsarbeit verschleppt, wo sie an einer Pressmaschine in den AEG-Werken tätig war. Ihre Freundinnen versuchten sie zur Flucht zu überreden, aber sie hatte zu viel Angst vor einer Strafe in einem Konzentrationslager.

 

Herkunftsland: Ukraine

Geburtsjahr: 1925

 

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Angaben zur Zwangsarbeit

© Dokumentationszentrum NS-Zwangsarbeit / Slg. Berliner Geschichtswerkstatt

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