Abschrift: xxxxx
Jhrg.
xxxxx
Ukraine

Geehrte Gisela Wenzel!

Als ich Ihren Brief gelesen hatte, habe ich mich an meine Jugendjahre erinnert, die ich während des Heiligen Krieges in Deutschland verbracht habe. Ich habe mich an die Freunde erinnert, mit denen ich in den Kriegsjahren in Deutschland gearbeitet habe.
Jetzt sind viele schon nicht mehr am Leben, verstorben, und viele verschwanden in den damaligen Kriegsjahren, weil das ein sehr schrecklicher Krieg war, und sehr viele Menschen sind ums Leben gekommen.

Und jetzt beschreibe ich kurz, wie ich zur Arbeit nach Deutschland verschleppt wurde.
Als der Krieg begann, wohnte ich im Dorf Godomitschi (damals gehörte das zum Kiwerziwski-Rayon), Wolynsker Oblast, Ukraine. Ich war sechzehn Jahre alt, als ich nach Deutschland verschleppt wurde. Meine Verwandten blieben im Dorf, und mich und viele Jugendliche hat man zur Arbeit nach Deutschland gebracht. Die jungen Menschen hatten große Angst, weil sie in ein fremdes Land gebracht wurden, da unsere Grenzen geschlossen waren und vorher niemand irgendwohin ausreiste.

Wir wurden mit dem Zug transportiert, es waren sehr, sehr viele Jugendliche.
Als wir nach Berlin gekommen waren, wurden wir in Baracken untergebracht. Dorthin kam man und holte uns zur Arbeit. Den einen zum Werk, den anderen zu einem Bauern.
Am Anfang arbeitete ich bei einem Bauern in Karow, acht Monate, von April bis Dezember (als uns Briefe geschrieben wurden, erreichten sie uns unter der Adresse: xxxxx
Beim Bauern kümmerten wir uns um den Gemüsegarten. Ich erinnere mich daran, dass mit mir noch vier polnische Mädchen, vier Russinnen, zwei Kroatinnen, zehn Ukrainerinnen, ein deutsches Mädchen gearbeitet haben. An andere erinnere ich mich nicht.

Es war sehr schwer zu arbeiten, wir arbeiteten vom frühen Morgen bis zum späten Abend. Wir arbeiteten bei den Möhren, Spinat, pflanzten Kohlrabi, Grünkohl, Rosenkohl, Salat, Rhabarber und anderes.

Ich erinnere mich noch daran, als wir beim Bauern waren, da besuchte ihn oft seine Schwester mit ihrem Ehemann, der Invalide war und einem kleinen Kind. Und warum hat sich das in mein Gedächtnis eingeprägt - sie war sehr hübsch, und sie hieß xxxxx. Der Bauer hatte ein Kind, einen fünfjährigen Jungen.

Nachdem wir acht Monate beim Bauern gearbeitet hatten, wurden wir zur Arbeit ins Kabelwerk gebracht. Dort im Werk arbeiteten deutsche Frauen mit uns zusammen.
Im Werk wurden irgendwelche Ersatzteile hergestellt, aber wofür, daran kann ich mich nicht erinnern. Und außerdem stellten wir Stoffe her (weißes und schwarzes Leinen).
Als wir im Werk arbeiteten, lebten wir in einem Lager in Köpenick. Ich erinnere mich daran, dass wir zum Werk mit der Straßenbahnlinie 25 fuhren.

Unser Leben dort war sehr schwer, da wir oft vor Luftangriffen flüchten mussten, wenn bombardiert wurde. Es litten nicht nur wir, sondern auch die deutsche Bevölkerung litt sehr.

Ich erinnere mich noch daran, wie das Werk in Ostkreuz und das in Köpenick bombardiert wurden.

Das war ein sehr schrecklicher Krieg und sehr großes Leid.

Als wir im Werk arbeiteten, wurde es uns erlaubt, Briefe nach Hause in die Ukraine zu schreiben, da die Westukraine damals zu Polen gehörte und Briefe uns erreichten.
Als der Krieg beendet war, kam ich in mein Dorf in der Ukraine.

Das Leben in der Ukraine war nach dem Krieg sehr schwer, weil es nötig war, alles in Ordnung zu bringen, weil alles zerstört worden war, so ein schrecklicher Krieg war das.

Aus der damaligen Zeit bewahre ich nur einige Fotos auf, und andre Dokumente habe ich gar keine.

Mein Mädchenname, unter dem ich in Deutschland war, war xxxxx
Ich danke Ihnen herzlich für Ihren Brief, der in mir meine Jugendjahre geweckt hat.
Ich wünsche Ihnen alles Gute in Ihrem Leben.
Gott behüte Sie, Ihre Kinder und Enkel vor jeglichem Leid.

xxxxx.

xxxxx
Ukraine
264826

Wenn Sie eine Möglichkeit haben, in die Ukraine zu kommen, dann lade ich Sie zu mir zu Besuch ein.


Dokumentationszentrum NS-Zwangsarbeit / Slg. Berliner Geschichtswerkstatt

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DZSW 1309
Kurzbeschreibung

Die Ukrainerin Warwara J.K. wurde mit 16 Jahren nach Berlin zur Zwangsarbeit verschleppt. Die ersten 8 Monate arbeitete sie bei einem Bauern. Anschließend wurde sie in ein Kabelwerk in Berlin-Köpenick versetzt, wo sie mit deutschen Frauen arbeitete.

 

Herkunftsland: Ukraine

 

Dokumentationszentrum NS-Zwangsarbeit / Slg. Berliner Geschichtswerkstatt

 

 

Angaben zur Zwangsarbeit

© Dokumentationszentrum NS-Zwangsarbeit / Slg. Berliner Geschichtswerkstatt

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