Abschrift: Xxxxx

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AEG Kabelwerk

AEG KBW
Fabrik
Berlin-Köpenick
Wilhelminenhofstraße
Heringsdorf

Das sind das Lager und die Fabrik.
Ich, xxxxx, wurde am 14.September 1924 im Dorf Lytschkowo im Dnepropetrowsker Oblast geboren. Im Mai 1942 wurden wir aus dem Dorf verschleppt, zur Station gebracht und in Güterwaggons verladen. Wir wurden von den Deutschen bis zur deutschen Grenze begleitet. Deutsche Gendarmen haben uns empfangen und ins Lager geführt. Das Lager war mit Stacheldraht in zwei Teile geteilt. In diesem Lager gab es eine Baracke. Wir mussten die ganze Bekleidung ablegen, bis wir nackt waren, die Jungen auf einer und die Mädchen auf der anderen Seite, und alle Sachen wurden heiß desinfiziert. Diese Desinfektion befand sich in der gleichen Baracke. Wir blieben nackt draußen bis zur Dunkelheit. Als es dunkel wurde, wurde die Baracke, wo unsere Kleidung lag, geöffnet und das Licht wurde ausgeschaltet. Von diesem Tag an begannen unsere Nöte. Geschlafen haben wir einfach auf dem Boden. Morgens kamen die Gendarmen, ließen uns antreten und trieben uns in Reih und Glied in ein anderes Lager. Dieses Lager war ein Verteilungslager. Aus diesem Lager haben sich Privatpersonen und Werksbesitzer Arbeitskräfte abgeholt. 17 von uns wurden verladen und in ein anderes, sehr großes Lager gebracht. Man hat uns zum Essen Spinat gegeben. Morgens bekamen wir ein Abzeichen (auf einem Stoffstück und darauf stand OST - Sei vorsichtig mit den sowjetischen Ludern!). Dann wurden wir in ein Werk geführt. Wir waren fünf Leute. Ich lud Holz aus einem Lastkahn aus, weil ich noch nicht ... Jahre alt war. Wir arbeiteten acht Stunden in der ersten und dritten Schicht. Ein Schiff hat die erste Schicht zum Lager gebracht,
dann die dritte Schicht geholt. Am Morgen brachte er die dritte Schicht zurück und holte die erste ab. Im Monat haben wir 0,15 Kopeken bekommen. Diese 0,15 Kopeken haben wir für Zitronenlimonade ausgegeben. Man brachte uns das Mittagessen, das aus Spinat mit Würmern bestand, aber wir haben es nicht gegessen. Wir haben bis zum Abend gewartet, bis wir ins Lager zurückkamen. Im Lager haben wir dasselbe bekommen und dazu noch 100 Gramm Brot am Abend und 100 Gramm Brot am Morgen, wenn wir zum Schiff gingen, d.h. 200 Gramm Brot pro Tag. Dazu haben wir noch Steckrüben bekommen, und man hat versucht, uns noch gekochte Tyrsa (?) zu geben. Aber wir haben dieses Gemüse nicht bis in die Kantine gelassen. Die Schubkarren, mit denen man das brachte, wurden einfach ausgekippt. Im Lager gab es auch eine Sanitätsstelle. Einmal war ich sehr krank und konnte nicht zum Schiff gehen. Und in der Zeit, in der alle zur Arbeit mussten, hat eine Dolmetscherin mit der Lagerführerin einen Rundgang gemacht. Ich war in der Baracke liegengeblieben, weil ich mich sehr schlecht fühlte. Als sie hereinkamen, kam die Dolmetscherin zu mir und fragte mich, warum ich nicht zur Arbeit gegangen bin, und ich habe ihr das erklärt, sie ging zur Lagerführerin und hat es übersetzt. Diese kam zu meinem Bett und hat mich sehr stark mit einer Reitpeitsche geschlagen. Und auf meinem Körper blieb ein blauer Striemen und mein Kleid war auch zerrissen. Danach warf man mich in den Karzer. Dort ließ man tagsüber bis zu den Knien Wasser hineinlaufen.

Es gab kein Fenster und kein Licht. Nachts wurde das Wasser abgelassen und von der Wand wurde eine kleine Liege herabgeklappt, die so schmal war, dass man nicht einmal darauf sitzen konnte. Für 24 Stunden bekam ich 50 Gramm Brot und ein Glas Wasser, und ich war dort insgesamt fünf Tage. Nach diesen 5 Tagen wurde ich entlassen und wieder zum Schiff getrieben. Wir wurden zur Arbeit gebracht, aber arbeiten konnte ich nicht und lag einfach in der Kantine. Wir wurden von vier älteren Deutschen bewacht, die sehr mitfühlend und gutmütig waren. Sie hatten Mitleid mit mir. Jetzt schreibe ich Ihnen ein Gedicht aus der Lagerfolklore auf, das ich an meine Mutter geschickt hatte:
"Guten Tag, Mutter, nimm die Grüße Deiner Tochter entgegen.
Deine Tochter schreibt Dir und grüßt Dich aus der Ferne.
Ich bin am Leben, aber mein Leben ist zerbrochen, ich bin einsam, elend und bitter.
Ich wurde in ein fremdes Land verschleppt, hat mich von Dir, Mütterchen,
getrennt.
Erinnere Dich, Mutter, wie du spät am Abend am Tor auf mich gewartet hast.
Erinnere Dich, Mutter, wie ich dem ganzen Dorf Freude geschenkt und ge-
tanzt habe? Und jetzt finde ich unter einer grauen Birke meine letzte Ruhe."
Man gab uns Pantinen: die Sohle aus Holz und ein zwei Finger breites Band, das an der Holzsohle angenagelt war. Im Sommer und im Winter waren wir schlecht angezogen und haben uns in eine Decke eingewickelt.


Jetzt bin ich allein, alle Verwandten sind verstorben. Kürzlich habe ich meinen Mann begraben. Ich bin eine Behinderte II. Klasse. Ich wohne ganz ärmlich, das Geld reicht nicht mal für Arzneimittel.
Auf Wiedersehen. Danke für Ihre Aufmerksamkeit. Es war schwer für mich, mich an all das zu erinnern. Alles, was ich geschrieben habe, habe ich unter bitteren Tränen geschrieben, weil ich die ganze Kindheit und Jugend hinter Stacheldraht verbracht habe.
Nach meinem Mann heiße ich xxxxx .






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DZSW 1282
Kurzbeschreibung

Die 1924 in der Ukraine geborene Anna S. L. wurde im Mai 1942 festgenommen und im Güterzug nach Berlin zur Zwangsarbeit verschleppt, wo sie im Hafen beim Entladen von Holz tätig war. Sie erfuhr einen unmenschlichen Umgang während einer Erkrankung. 

 

Herkunftsland: Ukraine

Geburtsjahr: 1924

 

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Angaben zur Zwangsarbeit
Weitere Objekte

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