Abschrift: Xxxx

Sehr geehrte Frau Wenzel,

... Ich versuche, soweit mein Gedächtnis mir erlaubt, Ihre Fragen zu beantworten. Ich stamme aus der Familie xxxx, einer adeligen Familie von Grundbesitzern, die seit 1214 ein Wappen besitzt. ... Ich wurde am 12. März 1924 geboren. Meine Kindheitsjahre verbrachte ich auf Gutshöfen auf dem Lande. Bis 1939 besuchte ich die Grundschule und zwei Klassen des Gymnasiums. ... Nach dem Ausbruch des Krieges lebte ich zunächst zusammen mit meinen Eltern, dann wurde ich zur Familie nach Warschau geschickt, um mich weiterzubilden. In Warschau lernte ich in geheimen Gruppen (im Untergrund, in privaten Wohnungen, aber mit Berufsprofessoren - Anm. d. Ü.), zugleich arbeitete ich bei der deutschen „Organisation Todt“, die Menschen zur Arbeit im Reich anwarb und verschickte. Auf diese Weise hatte ich eine Beschäftigung und Papiere. ...
1944 brach in Warschau der Aufstand gegen die Deutschen aus. Nach 63 Tagen heroischen Kampfes folgten die Kapitulation und die Deportation der ganzen Zivilbevölkerung, sowie die vollständige Zerstörung der Stadt. Von Warschau gelangten wir zu Fuß nach Pruszków ins Übergangslager. Nach der Selektion wurden die jungen und arbeitsfähigen mit Güterzügen in unbekannte Richtung verschleppt. Ohne Essen, Trinken und elementare Hygienebedingungen. Mein Transport gelangte nach Frankfurt an der Oder in ein Übergangslager und dann nach Berlin. In Berlin brachte man uns ins Arbeitslager im Stadtbezirk Wittenau-Nordbahnhof.


Am 24. Oktober wurden wir, nach einem gemeinschaftlichen Bad, in Baracken untergebracht, jeweils etliche Personen in einer Stube mit hölzernen Etagenpritschen. Auf dem Lagergelände gab es einen Waschraum für alle, eine Krankenstube mit zwei italienischen Sanitätern, aber ohne Arzt, eine Küche, aus der wir primitives Essen bekamen: täglich ein halbes Schwarzbrot, ein Stückchen Margarine und Suppe aus Steckrüben. Darüber hinaus gab es dort das Büro des Lagerführers, wo auch eine polnische Dolmetscherin amtierte.
Wir arbeiteten als Hilfsarbeiter bei der Bauhilfe Meritz, Berlin SW 11, Brandenburger Straße. Ein gutmütiger alter Deutscher kam, uns abzuholen. Mit ihm unterhielt ich mich oft auf Deutsch, da ich diese Sprache von der Schule konnte. Und hier ein Paradox: der Alte, der meinen sozialen Status und mein Äußeres kannte, sprach mit seinem Vorgesetzten, dem Direktor der Baufirma, und der letztere versprach uneigennützig, mir zu helfen, damit ich nach Polen zurückkehren konnte. Er hielt sein Versprechen, aber dieses unglaubliche Glück ging nicht in Erfüllung. Die Ostfront rückte immer näher an und ich blieb in Berlin bis zum Ende des Krieges. Aber als Glückspilz erfuhr ich viel Gutes seitens der Deutschen. Unter anderem konnte ich mich privat ärztlich behandeln lassen, da ich Geld da hatte. Es war das Geld aus dem Generalgouvernement, welches der oben erwähnte Alte für mich auf einer Bank umtauschte. Dann konnte ich in die Stadt fahren und mir in den Gaststätten Salate ohne Lebensmittelkarten kaufen. Dabei nahm ich den Buchstaben „P“ ab, was nicht ungefährlich war. Aber der Hunger siegte über die Angst. ...
Ich bekam Blutungen aus der Nase, die so stark waren, dass ich erbrechen musste. ... Dann war ich bei einem deutschen Arzt in Behandlung. Man stellte bei mir ein Geschwür des Zwölffingerdarmes und die Entzündung des Blinddarmes fest. In solchem Zustand konnte ich verständlicherweise nicht arbeiten, blieb im Lager und meldete mich bei den italienischen Sanitätern in der Krankenstube. Ich war also arbeitsunfähig und unbrauchbar. Der Lagerführer beschloß, es bei der Gestapo zu melden. ... Dann gelang es mir dank der Vorsehung und der wunderbaren polnischen Dolmetscherin (ihren Namen weiß ich nicht mehr), mich vor der Deportation ins Krematorium zu retten. ...

Die Zeit nach der Arbeit war frei, wir konnten uns in der Stadt frei bewegen und mit der S- oder U-Bahn fahren. Meistens blieben wir im Lager unter uns und diskutierten über verschiedene Themen, wuschen unsere Sachen, oder warteten mit dem Koffer in der Hand auf die immer häufigeren Luftangriffe. Ja, es gab in der Nähe einen Bunker aus Stahlbeton, aber nur für deutsche Frauen mit Kindern. Uns Ausländern war der Eintritt dort verboten.
Die kulturellen Einrichtungen wie Oper, Theater, Kinos, Museen, Galerien waren für uns unzugänglich aufgrund der Sprache, des Geldes, der Tageszeit, der Luftangriffe und der Bekleidung. ...
Nach der Befreiung ging jeder auf eigene Faust nach Polen zurück. Ich ging mit einer Gruppe zu Fuß bis Poznań. Unterwegs ernährten wir uns mit den Lebensmitteln, die die Deutschen zurückgelassen haben, als sie vor der Roten Armee flüchteten. Es waren Kartoffeln, Gemüse, Eingemachtes, Konfitüren. Die Häuser standen verlassen mit dem ganzem Hab und Gut. Sogar die Kühe waren im Walde angebunden. ...

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DZSW 1381
Kurzbeschreibung

Nach dem Warschauer Aufstand wurde Elzbieta O. nach Berlin zur Zwangsarbeit verschleppt. Sie schreibt, dass sie viel Glück hatte, da sie viel Gutes von der deutschen Bevölkerung erfuhr. Und sie wurde vor schwerer Arbeit aus Krankheitsgründen verschont.

 

Herkunftsland: Polen

Geburtsjahr: 1924

Angaben zur Zwangsarbeit

© Dokumentationszentrum NS-Zwangsarbeit / Slg. Berliner Geschichtswerkstatt

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