Abschrift: Übersetzung Brief 324

xxxxx
Jhrg. 1919
xxxxx
Ukraine


Ukraine 27. August 1997

Guten Tag, liebe und hochgeehrte Gisela Wenzel!

Ich teile Ihnen mit, dass ich von Ihnen zwei Briefe bekommen habe, für die ich aufrichtig danke, für Ihre Sorge, Ihre Warmherzigkeit, die sie bei der Suche nach mir, der ehemals nach Deutschland zur Zwangsarbeit Verschleppten geäußert haben. Ich, xxxxx, wurde im Juni 1942 mit noch vier Mädchen, 20 Jahre alt, verschleppt. Zu meinem Leidwesen sind sie schon nicht mehr am Leben. Wir wurden in Güterwaggons befördert, in denen es keine Pritschen oder Matratzen gab, man lag und saß auf dem nackten Boden. Bewachung mit Schäferhunden hatte uns umzingelt.

Ich wurde 1919 im Dorf Ljubomirka, Alexandrowski Rayon, Kirowogradskaja Oblast, geboren. Ich habe sechs Klassen abgeschlossen. Eine Familie hatte ich nicht. Die Eltern, Vater und Mutter, starben frühzeitig, der ältere Bruder kam an der Front ums Leben, und ich wuchs als Waise auf. Ich wurde mit meinen Freundinnen nach Berlin-Köpenick in die Fabrik Vogel (?) gebracht. Wir wurden zur Arbeit und von der Arbeit unter Bewachung geführt, arbeiteten 12-14 Stunden. Wir bekamen keine Kopeke Lohn, gefüttert wurden wir mit widerlichen Steckrüben, fauligen Kartoffeln, 300 Gramm Brot.

Ich arbeitete an einer Werkzeugmaschine, stellte Draht her, das Verhalten uns gegenüber war streng, besonders von der Leitung.

Es gab gute Arbeiter. Sie teilten ein Stückchen Brot und belegte Stullen mit uns. Aber wenn der Abteilungsleiter oder der Meister das merkten, erging es demjenigen schlecht. Wenn jemand von den Zwangsarbeitern krank wurde, einen Arbeitsunfall hatte, stand ihm keine medizinische Hilfe zur Verfügung, sieh zu, wie Du Dich behandelst. Es war nicht erlaubt, Briefe in die Heimat zu schreiben oder sie von dort zu bekommen. Mit der deutschen Bevölkerung hatten wir keinen Kontakt, wir verkehrten nicht mit ihnen, das war verboten. Ins Gedächtnis eingeprägt hat sich das Lager, das Wohnheim und der Arbeitsplatz.

Die Rote Armee hat uns befreit. Nach meiner Heimkehr arbeitete ich im Kolchos. Man lebte schlecht, alles war zerstört.

Jetzt, in diesem Moment, ist das Leben auch nicht süß. Die Rente ist gering, reicht nur für Brot und Arzneimittel, ich kränkele. Ich hoffe, dass unser Brief wechsel beginnt und Ihre Gruppe uns besucht, unsere Stadt Swetlowodsk, dann reden wir über alles im Einzelnen, und Sie schreiben unsere Erinnerungen auf. Ich habe leider keine Briefe, Dokumente, Fotografien.

Liebe Gisela Wenzel!

Vielen Dank Ihnen und Ihrer ganzen Gruppe für Ihre Sorge und Warmherzigkeit. Ich wünsche Ihnen gute Gesundheit und Wohlergehen.

Mit Hochachtung Ihnen gegenüber xxxxx.
Auf Wiedersehen.

27. August 1997 Unterschrift



Dokumentationszentrum NS-Zwangsarbeit / Slg. Berliner Geschichtswerkstatt

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DZSW 1305
Kurzbeschreibung

Anna F. M. wurde 1919 in der Ukraine geboren. Im Juni 1942 kam sie zusammen mit vier Freundinnen im Güterzug nach Berlin-Köpenick, um Zwangsarbeit zu leisten. Unter schlechtesten Bedingungen verarbeitete sie Metall zu Draht bei einer Arbeitszeit von bis zu 14 Stunden am Tag.

 

Herkunftsland: Ukraine

Geburtsjahr: 1919

 

Dokumentationszentrum NS-Zwangsarbeit / Slg. Berliner Geschichtswerkstatt

Angaben zur Zwangsarbeit

© Dokumentationszentrum NS-Zwangsarbeit / Slg. Berliner Geschichtswerkstatt

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