Abschrift:
xxxxx
Jhrg. 1918
xxxxx
Ukraine



Guten Tag, geehrte Gisela Wenzel!

Es grüßt Sie xxxxx.
Ihren Brief habe ich am 5. August 1997 erhalten, dafür danke ich Ihnen.
Ich werde gleich auf Ihre Fragen antworten.
Ich wurde 1918 im Dorf Serbinow geboren. Im Alter von 7 Monaten wurde ich Waise. Vater und Mutter starben am gleichen Tag. Ich bin bei der Schwester aufgewachsen. Ich habe vier Klassen der Grundschule abgeschlossen. Mit 13 Jahren ging ich in den Kolchos arbeiten.
Ich arbeitete bei den Kühen als Melkerin.
1940 habe ich geheiratet, 1941 habe ich einen Sohn geboren, der Mann ging an die Front, der Sohn starb.
1942, im August, wurde ich nach Deutschland verschleppt. Ich arbeitete in einem Werk (geheim, Rüstungsbetrieb).
Das Werk befand sich in Deutschland, Berlin-Köpenick.
Ich arbeitete 12 Stunden täglich an einer Werkzeugmaschine. Die Arbeit war sehr schwer. Das Essen war sehr schlecht. Wir bekamen täglich 200 Gramm Brot und eine Steckrübensuppe. Man hatte starken Hunger.
Bezahlt wurden wir sehr gering, 4 -5 Mark monatlich. Es war verboten, uns Brot zu kaufen. Brot gab es auf Karten, und die hatten wir nicht. Wir hungerten sehr.
Wir wohnten in einer Baracke an der Straße 107.
Im Werk wurden wir gut behandelt. Wenn jemand krank war, gab es Ärzte.
Es gab einen Dolmetscher.
Ich bekam Briefe von den Verwandten. Die Beziehungen mit der Bevölkerung waren normal.

Vom damaligen Leben in Deutschland hat sich nur die Not eingeprägt. Analphabetisch, die Sprache kannte ich nicht, Hunger und Kälte. Man hatte Angst, wenn die Amerikaner bombardierten.
Die Russen haben uns befreit. Wir gingen 2 Tage lang zu Fuß und hielten uns in einer Stadt auf, an deren Namen ich mich nicht erinnern kann. Da arbeitete ich bei den Russen im Hospital. Dann wurden wir auf einen Lastwagen geladen und nach Samburg (?) gebracht. Von Samburg kam ich nach Chmelnizki. Von da aus nach Hause.
Nach dem Krieg kam der Mann zurück, wir arbeiteten in der Kolchose. Ich habe drei Töchter geboren. Die Töchter sind erwachsen, haben ihre eigenen Familien. Der Mann starb bereits vor 11 Jahren. Ich wohne allein. Ich bekomme Rente - xxxxx
Briefe habe ich nicht aufbewahrt. Fotos habe ich auch nicht.
Die Freunde waren aus der Ukraine, aber die Adressen kenne ich nicht.
Auf Wiedersehen, liebe Gisela Wenzel, ich wünsche auch Ihnen alles Gute.
Wenn Sie die Möglichkeit haben, bitte ich Sie, uns zu besuchen. Nochmals auf Wiedersehen. Mit Hochachtung xxxxx.
12.8.1997



Dokumentationszentrum NS-Zwangsarbeit / Slg. Berliner Geschichtswerkstatt

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DZSW 1293
Kurzbeschreibung

Die 1918 in der Ukraine geborene Tatjana S. G. wurde im August 1942 nach Deutschland verschleppt, wo sie in einem Werk in Berlin tätig war. 

 

Herkunftsland: Ukraine

Geburtsjahr: 1918

 

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Angaben zur Zwangsarbeit

© Dokumentationszentrum NS-Zwangsarbeit / Slg. Berliner Geschichtswerkstatt

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