Abschrift: xxxxx
Jhrg. 1922
xxxxx
Ukraine


Geehrte Gisela Wenzel!


Es schreibt Ihnen xxxxx

Wir haben Ihren Brief bekommen und geben eine Antwort.
Ich wurde am 27. April 1922 im Dorf Domotkan, Werchnedneprowski Rayon, Gebiet Dnepropetrowsk, in einer Bauernfamilie geboren. Als ich 19 Jahre alt war, wurde ich zwangsweise nach Deutschland verschleppt. Ich habe 5 Klassen der Mittelschule abgeschlossen. Damals hatte ich Mutter, Vater und zwei Brüder. Mein Bruder xxxxx, wurde neunmal nach Deutschland verschleppt, aber neunmal ist er unterwegs geflohen. Dann kämpfte er in der Sowjetarmee, wurde Kriegsinvalide. Beide Brüder sind heute noch am Leben.

In Deutschland habe ich drei Jahre gearbeitet. Am Anfang hob ich sehr tiefe Gräben aus, ungefähr zwei Jahre lang, und danach arbeitete ich in der Lagerküche. Das war am Rande Berlins, und das Lager, in dem ich lebte, lag an der Spree. Nach unserer Ankunft im Lager wurden uns Matratzen und Kissen gegeben, mit Sägenehl ausgestopft, zwei Decken, ein Löffel und eine Schüssel. Für das Abendessen bekamen wir eine Suppe aus Steckrüben und Spinat mit Würmern. Wir litten sehr und weinten um zu Hause und die Unseren. Die Arbeit war schwer, und wir nagten am Hungertuch. Manchmal schwollen wir vor Hunger an.
Das Lager war zweimal mit Stacheldraht umzäunt.

Uns war nicht erlaubt, mit Einheimischen Kontakt zu haben. Spazieren gingen wir in Reihen und unter Bewachung. Wir arbeiteten 8 Stunden täglich. Lohn hatten wir, aber einen sehr geringen. Für dieses Geld konnten wir nur billige Ohrringe oder Halsketten kaufen, Lebensmittel gab es nicht zu kaufen.
Neben uns arbeitete ein Meister - ein Tscheche. Er brachte uns manchmal Kartoffeln mit und verteilte sie auf Häufchen. Wir bewahrten sie dann lange auf, damit wir sie länger für die Suppe hatten, da es in der Suppe, die wir bekamen, fast nichts gab. In der Freizeit dachten wir an unsere Angehörigen, schrieben Briefe nach Hause, reparierten Schuhe und Bekleidung. Zum Schluss unseres Aufenthalts in Deutschland durften wir rausgehen zum spazieren. Man musste rechtzeitig ins Lager zurückkommen, bis 17 Uhr. Wenn jemand krank war, wurde medizinische Hilfe geleistet, aber geringfügig, oft wurde man krank und starb. Ich erinnere mich an einen Deutschen, der bei uns Chef war. Der nahm uns am Sonntag mit und brachte uns zu sich nach Hause, ungefähr hundert Kilometer vom Lager, damit wir jäteten. Er ging mit uns sehr menschlich um und gab uns viermal gut schmeckendes Essen, gab uns allen eine Mark und ein Stückchen richtiges Brot, wie wir es im Lager nicht aßen. Ich erinnere mich auch an unsere Befreiung durch die russischen Soldaten. Sie zerschnitten den Stacheldraht, wir freuten uns, umarmten sie, küssten sie vor Freude, dass wir frei waren.

Gleich machten wir uns fertig für den Weg nach Hause. Wir setzten über den Fluss und gingen weiter. Mal gingen wir zu Fuß, mal auf Güterzügen. Wir wollten sehr, so schnell wie möglich in die Heimat, zu den Verwandten und Angehörigen.

Nach dem Krieg war das Leben schwer, man musste alles Zerstörte aufbauen. 1947 gab es eine Hungersnot, es gab keine Ernte. Das Leben ist mit schwerer Arbeit vergangen. Jetzt bin ich 75 Jahre alt. Die Gesundheit ist schlecht, die materielle Lage auch.

Vielleicht ist es für Sie interessant, dass in unserer Stadt noch einige Menschen wohnen, die ich kenne, und die auch Zwangsarbeiter in Deutschland während des Großen Vaterländischen Krieges waren. Sie könnten auch Ihre Erinnerungen mitteilen.
Kommen Sie zu uns in die Ukraine, wir wären sehr froh.

Auf Wiedersehen.
xxxxx



Dokumentationszentrum NS-Zwangsarbeit / Slg. Berliner Geschichtswerkstatt

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DZSW 1300
Kurzbeschreibung

Die Ukrainerin Maria I. J. wurde 1941 nach Berlin zur Zwangsarbeit deportiert, wo sie zunächst 2 Jahre beim Ausheben von Gräben tätig war. Anschließend arbeitete sie bis zum Kriegsende in der Lagerküche.

 

Herkunftsland: Ukraine

Geburtsjahr: 1922

 

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Angaben zur Zwangsarbeit

© Dokumentationszentrum NS-Zwangsarbeit / Slg. Berliner Geschichtswerkstatt

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