Abschrift: xxxxx
Jhrg. 1925
Dnepropetrowsk
Ukraine

Geehrte Gisela Wenzel !!!


Mit großer Freude haben wir von Ihnen den
Brief bekommen, der von Ihnen am 30. Juli 1997 abgeschickt
wurde und den wir am 1. August erhalten haben.
Wir bedanken uns bei Ihnen und Ihren Mitarbeitern
von unserer ganzen Familie aufrichtig für so einen
herzergreifenden Brief, für die Erinnerung an mein schweres,
junges Leben in den KZ's des faschistischen Deutschlands in den Jahren 1942-1945.


Ich xxxxx wurde am 22. September 1925 im Dorf xxxxx - Ukraine, geboren. Im Monat Mai 1942 hatte ich 7 Klassen abgeschlossen. Am 20.Juni 1942 wurde ich zwangsweise nach Deutschland zur Arbeit verschleppt. Als man uns abholte, wurde uns eine gute Arbeit versprochen und man sagte - Deutschland ist ein Kulturstaat in Europa, wir sollten also gute Bekleidung, Gabel, Löffel mitnehmen, aber nach der Ankunft wurden wir in ein Konzentrationslager gebracht, das mehrmals mit Stacheldraht eingezäunt war. Im Lager war es schmutzig, zweistöckige Pritschen in den Baracken, in einem Lager, in dem ich war, "Köpenick" - am Rand von Berlin, war das Regime sehr streng. Mit deutschen Bürgern haben wir nicht gesprochen, die Polizei ging hart mit uns um, Briefe nach Hause schrieben wir sehr selten. Das Essen war sehr schlecht: Steckrüben, Spinat, und schlechte Balanda (dünne Suppe), und wir waren gezwungen 12 Stunden täglich zu arbeiten, und am Sonntag war frei. Es war nicht erlaubt, mit anderen Landsleuten, die in anderen Lagern lebten, zu verkehren. Zur Arbeit wurden wir mit dem Schiff zur Fabrik "Kabelwerk" gebracht. Ich war sehr klein und schwach, musste aber genauso arbeiten wie Erwachsene. 1944 war ich sehr krank und im Laufgraben, der für ein Kabel ausgehoben wurde, fiel ich in Ohnmacht. Ich wurde ins Krankenhaus gebracht, unter den Armen hatte ich xxxxx. Im Krankenhaus haben mich die deutschen Ärzte operiert, dafür herzlichen Dank, das sie mir das Leben gerettet haben. Aber als eine Bomberflotte Berlin bombardierte und das Krankenhaus bombardiert wurde, wurden alle kranken deutschen Frauen in den Keller gebracht, und ich blieb allein im Krankenzimmer, zum Glück haben die Bomben nicht getroffen. Gott sei Dank blieb ich am Leben. Nach der Krankheit wurde ich ins Lager gefahren und arbeitete in einer Werksabteilung als Putzfrau. Es gab noch einen schweren Zwischenfall - ein Meister, ein Tscheche, bekam von zu Hause ein Paket, sie bekamen so etwas, er gab mir ein kleines Stückchen Schweinebraten, ich aß ein bisschen, und ein Stückchen legte ich beiseite zum Abendessen. Und bei der Beladung des Dampfers wurden wir durchsucht, es wurde gefunden, ich musste zurück, die Polizisten brachten mich in einen Keller, wo es sehr schmutzig war und es Ratten gab. Ich saß dort fast 24 Stunden, ich war allein, und nachher kamen ein Meister und der Tscheche und holten mich zur Fabrik ab. Das blieb mir lange im Gedächtnis eingeprägt. Heute kann ich mich nicht an den Ort des Lagers erinnern. Am 7./8.Mai 1945 wurden wir durch russische Truppen befreit. Das Lager war offen, aber wir wurden in einem Repatriierungslager für den Weitertransport in die Heimat gesammelt.

Anfang Juni 1945 kam ich nach Hause. Zu Hause war alles zerstört, ausgebrannt, keine Bekleidung, keine Nahrung, es war sehr, sehr schwer, es gab Hunger, und wir blieben kaum am Leben. Ich hatte eine alte, kranke Mutter und eine jüngere Schwester.

1946 habe ich geheiratet und fuhr nach Dnepropetrowsk, habe selbst nicht gearbeitet. !947 wurde ein Sohn geboren und 1950 zwei Töchter, Zwillinge, arbeiten konnte ich nicht wegen der kleinen Kinder. Das Leben war schwer, und 1957 starb die Mutter. Ich wurde von meinem Mann mit den drei Kleinen im Stich gelassen. 1957 ging ich zur Arbeit in einem Laden als Verkäuferin. Zum Glück war der Laden im gleichen Haus, in dem ich gewohnt habe. 1958 habe ich zum zweiten Mal geheiratet, und 1962 wurde ein gemeinsamer Sohn geboren. Heute sind wir stolz auf unsere Familie, d.h. vier Kinder, sechs Enkel, darunter drei Jungen und drei Mädchen, und zwei Urenkel. Alle Kinder haben ihren Platz im Leben gefunden, sie sind in Ordnung.
Wir Rentner arbeiten im Hause = mein Mann - der Opa - ist Rentner, Kriegsinvalide der II. Gruppe. Im Januar 1998 werden wir unser 40-jähriges gemeinsames Leben feiern.

Geehrte Gisela! Wir laden Sie und Ihre Mitarbeiter zu Besuch ein, und bei der Begegnung können wir uns noch ausführlicher an die Vergangenheit erinnern.
Mit tiefer Hochachtung
xxxxx
15. August 1997
Wir warten auf Ihre Antwort!



Im Lager waren auch:
xxxxx

alle sind am Leben xxxxx
Ukraine


Beschriftung der Fotos:
Foto im Lager Köpenick,
Berlin 1944,
mit Freundinnen aus dem Lager,
ich bin die dritte von links

Der geehrten Gisela Wenzel
von dem ehemaligen gefangenen Mädchen
xxxxx
15. August 1997
Dnepropetrowsk, Ukraine



Dokumentationszentrum NS-Zwangsarbeit / Slg. Berliner Geschichtswerkstatt

  • 1 von 3 Seiten
  • 2 von 3 Seiten
  • 3 von 3 Seiten
DZSW 1294
Kurzbeschreibung

Galina J.G. wurde 1925 in der Ukraine geboren. Sie wurde am 20. Juni 1942 zwangsweise nach Deutschland verschleppt, wo sie in einer Fabrik "Kabelwerk" tätig war. Während einer Durchsuchung wurde bei Galina J.G. ein kleines Stückchen Schweinebraten gefunden, wofür sie eine Strafe erhielt.

 

Herkunftsland: Ukraine

Geburtsjahr: 1925

 

Dokumentationszentrum NS-Zwangsarbeit / Slg. Berliner Geschichtswerkstatt

Angaben zur Zwangsarbeit

© Dokumentationszentrum NS-Zwangsarbeit / Slg. Berliner Geschichtswerkstatt

© Dokumentationszentrum NS-Zwangsarbeit / Slg. Berliner Geschichtswerkstatt

© Dokumentationszentrum NS-Zwangsarbeit / Slg. Berliner Geschichtswerkstatt