Abschrift: Xxxx
Sehr geehrte Frau Gisela Wenzel,

lange überlegte ich mir, ob ich darüber schreiben soll, was mir und meiner Schwester im Jahre 1943 widerfuhr. Ich war 4, meine Schwester 6 Jahre alt. Das Schicksal war für uns erbarmungslos, so dass es mir schwerfällt, darüber zu schreiben, denn die Erinnerung aus dieser Zeit ist zu schmerzhaft.
Am 24. Oktober 1943 wurden meine 28jährige Mutter (der Vater war als Offizier in Gefangenschaft), ihr Vater, also unser Großvater, sowie ihre Mutter, also unsere Großmutter, erschossen. Und dies geschah vor unseren Augen. Die Großmutter rettete uns, indem sie uns unter dem Federbett versteckte. Wir waren völlig blutüberströmt, meine Schwester fürchtet sich bis heute und hat Angstzustände. All das ereignete sich in Staroniwa, Wojewodschaft Rzeszów.
Das, was wir nach dem Tod unserer Mutter durchmachten, ist unser nächstes Drama: uns zog unsere Tante, die Schwester meiner Mutter, groß. Von klein auf arbeiteten wir schwer auf dem Acker, auch bei anderen Leuten. Keine Kindheit, kein Zuhause, nichts! Eine Leere! Kann man das alles beschreiben? Es geht nicht, das so zu beschreiben.

Meine Schwester und ich hatten zwei Morgen Acker, geerbt von meiner Mutter. Nach dem Tod der Tante nahmen uns ihre zwei Schwestern alles weg. Also nahm man uns alles weg, die Kindheit, die Liebe und das Zuhause. Und manchmal denke ich: ob meine Schwester und ich nicht die Opfer des Krieges sind?

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Und alles wäre anders gekommen, wenn meine Mutter lebte und wir ein richtiges Zuhause gehabt hätten. So viele Jahre haben wir umsonst auf dem Acker gearbeitet, 20 Jahre lang. Alle bemitleideten uns: arme Waisen usw., aber niemand half uns. Alle erlebten damals irgendwelche Tragödien in ihren Familien.

Sicher könnte jemand fragen: und der Vater? Es tut mir leid, das zu schreiben: er vergaß seine Kinder. Ich sah ihm zum ersten Mal, als ich 20 war. Er hat geheiratet und hat Kinder. Heute ist er 88 Jahre alt.

Ich erfuhr, dass meine Mutter zusammen mit ihren Eltern deswegen umgebracht wurde, weil sie nicht zum Dienst bei einer deutschen Familie gegangen ist. Nicht, dass sie das nicht wollte. Im Gegenteil: sie wollte es, denn sie hatte uns zu ernähren, aber die Großmutter verbot ihr das! Und so endete unsere Geschichte. Aber was konnten wir beide dafür?

Ich möchte nur schreiben, dass nicht nur diejenigen, die nach Deutschland verschleppt wurden und dort arbeiten mussten, gelitten haben. Ihr Leid war einmal zu Ende und dauerte kürzer als das unsere. Verzeihen Sie bitte, dass ich diesen Brief schrieb, vielleicht ist er unnötig, aber ich wollte, dass auch jemand bei Euch das weiß. Und vielleicht wird mir das Herz leichter, weil ich jemandem von meinem Traurigsein und meinem Leid, von meiner Niedergeschlagenheit und meiner traurigen Kindheit erzählt habe.


Ich wurde am 25. September 1939, meine Schwester am 6. Juni 1937 geboren; mein Mädchenname war xxxx

Hochachtungsvoll

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Verzeihen Sie bitte im Voraus meine Fehler.

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DZSW 1366
Kurzbeschreibung

Janina M. verlor ihre Mutter, die sich geweigert hat, Zwangsarbeit bei einer deutschen Familie zu leisten. Mit ihrem Brief möchte Janina M. auf die unmittelbaren Auswirkungen und Konsequenzen der Zwangsarbeit hinweisen.

 

Herkunftsland: Polen

Geburtsjahr: 1939

Angaben zur Zwangsarbeit

© Dokumentationszentrum NS-Zwangsarbeit / Slg. Berliner Geschichtswerkstatt

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