Abschrift: xxxxx
Jhrg. 1922
xxxxx
Ukraine


Guten Tag, geehrte Frau Gisela Wenzel!

Es schreibt Ihnen xxxxx. Ich habe neulich einen Brief an xxxxx, gelesen. Am 2. September 1942 wurden wir, xxxxx, aufgerufen und zur Arbeit nach Deutschland verschleppt.

Ich wurde im Dorf xxxxx, in der Familie eines Kolchosbauern geboren. Zur damaligen Zeit war ich 20 Jahre alt, ich arbeitete im Kolchos in meinem Dorf. Ich wohnte bei meinen Eltern. Ich hatte noch zwei Brüder und zwei Schwestern. Mein Vater kam im Krieg in Kiew ums Leben. Der Bruder Nikolai (geb. 1924) war auch zur Arbeit in Deutschland, aber wo genau weiß ich nicht. Als die Deutschen sich aus unserem Gebiet zurückzogen (1943), das erzählte uns später unsere Mutter, verbrannten sie die Dörfer, nahmen den Bewohnern Vieh und Lebensmittel weg. Die Menschen trieben sie mit sich. Wer sich verstecken oder weglaufen konnte, blieb am Leben. Viel Leid brachte uns dieser schreckliche Krieg. Darüber könnte man schreiben und schreiben, weinen und sich an die erinnern, die dieser Krieg verschlungen hat. Aber jetzt über mich.

Nach der Ankunft in Köpenick (vielleicht ist das auch nicht der genaue Name), wurden wir gleich in ein fremdes Lager gebracht. Und später wurden wir in die Fabrik GEMA gebracht, und in unserem Lager untergebracht, an einer Ecke war eine Straßenbahnlinie, wo die Straßenbahnen von Berlin nach Chrustenwald (?) fuhren. Hier lebten wir die ganze Zeit bis zur Befreiung 1945. Zur Arbeit wurden wir von deutscher Polizei in Dreierreihen geführt. Zu essen bekamen wir Steckrüben, Spinat, 300 Gramm Brot täglich. An freien Tagen bekamen wir gar nichts. Und wir legten jeden Tag ein Stückchen Brot zur Seite, damit es Sonntag etwa zu kauen gab. Bekleidet wurden wir mit gebrauchten Sachen, wir hatten Holzpantoffeln (Kolodjanki). Wir arbeiteten von morgens bis 17.00 Uhr in der Fabrik. Ich schliff meist Eisenteile. Ich erfüllte auch andere Aufgaben. Man benahm sich uns gegenüber verschieden, aber nicht so, wie man es mit Menschen tun sollte. Ich erinnere mich an eine Kommandantin im ersten Lager. Wir zitterten vor ihr wie Espenlaub. Für falsch aufgestellte Schuhe schlug sie uns ins Gesicht. Im Lager schliefen wir auf Holzpritschen, als Bett diente Stroh. Ich hatte Lohn - 5 Mark monatlich. Die freie Zeit verbrachten wir auch im Lager, weil man es uns nicht gestattete, rauszugehen oder über die Stadtgrenze von Berlin hinauszufahren. Wenn jemand krank war, wurde er ins Krankenhaus nach Chrustenwald (?) geschickt. Im Lager gab es keine Ärzte. Es war nicht erlaubt, Briefe nach Hause zu schreiben und von dort zu bekommen, nur Postkarten waren gestattet. Mit uns arbeiteten in der Fabrik auch deutsche Frauen. Man benahm sich uns gegenüber nicht schlecht. Ich stopfte für die Frauen aus dem Büro Strümpfe und Socken. Ich erinnere mich, dass der Kommandant unseres Lagers xxxxx (?) hieß. Vor der Befreiung trieb er uns aus dem Lager in Richtung Westen bis hinter Berlin. Auf unserem Weg tauchte ein riesiger Graben auf. Wir standen dort bis die sowjetischen Flugzeuge über uns herumzufliegen begannen. Dann kamen Infanteristen zu uns und fragten, wer wir seien. Wir sagten, dass wir Russen seien. Sie schlugen uns vor, in jede Richtung zu gehen. Wir kamen zurück zu unserer Fabrik und fanden Reste von Lebensmitteln, und dann gingen wir zu Fuß in Richtung Polen. Dann wurden wir in Waggons aufgeteilt und nach Krakow in ein Etappenlager gebracht. Nach Hause kam ich im Frühling 1945. Ich kann mich nicht daran erinnern, ob vor dem Tag des Sieges oder danach. Ich traf Mutter und zwei Schwestern an. Die Männer hatte der Krieg geraubt. Man musste gleich an die Arbeit. Ich ging wieder in den Kolchos.

Jetzt bin ich 75 Jahre alt, ich wohne allein, von der Verwandtschaft sind zwei Schwestern geblieben. Kompensation habe ich bekommen und gebe sie für die Installierung einer Gasleitung ins Haus aus. Aber die Preise sind bei uns so hoch, dass sogar diese xxxxx nicht ausreichen und ich Geld von der Rente dazugebe. Und meine Rente beträgt xxxxx. In der Jugendzeit war es schwer, und im Alter ist es auch kein Honiglecken.

Dokumente, Briefe aus der damaligen Zeit habe ich keine. Aber ich habe zwei Fotos, die in Deutschland gemacht worden sind. Schreiben Sie, fragen sie, was für Sie interessant ist.

Damit beende ich meinen Brief. Auf Wiedersehen. Danke für die Aufmerksamkeit.



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DZSW 1335
Kurzbeschreibung

Vera M.K. wurde 1927 in der Ukraine geboren. Sie wurde 1942 zur Zwangsarbeit nach Deutschland verschleppt, wo sie in Berlin-Köpenick für GEMA gearbeitet hat.

 

Herkunftsland: Ukraine

Geburtsjahr: 1927

 

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Angaben zur Zwangsarbeit
Weitere Objekte

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