Abschrift: Brief 363

xxxxx
Jhrg. 1927
xxxxx
Ukraine


Guten Tag, geehrte Gisela Wenzel!

Ich habe Ihren Brief bekommen, für den ich mich bedanke. Danke schön für Ihre ... Ich habe ihn schon vor längerer Zeit bekommen, konnte aber nicht antworten, weil ich schon seit Mai keine Rente bekomme. Ich hatte Geld, aber alles wurde für Arzneimittel (?) ausgegeben. Man hat mich viermal an den Augen operiert, und noch dazu Diabetes, und die Beine taugen nichts, und ich war auf dem Markt, um irgendetwas zu verkaufen. Und dort ... und habe beschlossen ... Man hat mir einen Umschlag gegeben, und darin irgendein Papierchen. Aber bei uns ist die Post ... Ich habe damals zu schreiben vergessen, dass wir 20 Seelen aus dem Dorf waren. Alle haben im Werk bei unterschiedlichen Arbeiten gearbeitet, haben sowohl in der Küche als auch in den Büros saubergemacht. Unsere Kommandantin war Frau xxxxx (?). Sie hat uns aus dem Verteilungslager abgeholt. Im Lager waren wir ... Mädels. Und damals in der Nacht hat man die Baracke geleert, dann mit Draht umspannt (?) und die Italiener eingesperrt. Zur Arbeit brachte man uns mit dem Schiff, aber wir waren auf Deck, und sie in der Mitte. Mit den Deutschen hatten wir keinen Umgang. Sie mochten uns nicht einmal ansehen. Im Werk gab es unterschiedliche Nationen, aber wir Ukrainer waren viele, und bei der Arbeit waren wir unter uns. Diese Natter, Frau xxxxx (?), wenn sie noch lebt, dann sollte sie das bekommen, was sie verdient hat. Wir waren 20 Seelen aus dem Dorf. Jetzt sind nicht mehr viele geblieben, sie sind gestorben. Eine von uns ist im Lager gestorben. Man hat nicht geglaubt, dass sie krank war. Sie lag etwa 10 Tage in einem Graben, in eine Decke gewickelt. Und man hat uns bei Bombardierungen dort hin gejagt, um uns zu verstecken. Es hat schon gestunken, und sie haben uns trotzdem dort hin gejagt. Irgendwann hat man sie weggebracht. Das xxxxx. Als man uns nach Deutschland gebracht hatte, war das so wie Vieh in Güterwaggons, unter Verschluss. Es gab auch welche, die geflüchtet, bei voller Fahrt aus den Waggons gesprungen sind. Sie haben gemerkt, dass der Waggon nicht abgesperrt war, und dann begannen sie abzuspringen.

Gisela Wenzel, entschuldigen Sie bitte, dass ich Ihnen so schlecht geschrieben habe. Der Grund ist, dass die Nachbarin in der Stadt Tscherkassy wohnt. Sie war zu Besuch. Ich würde Sie bitten, entschuldigen Sie mich für mein langes Schweigen. Ich lebe allein. Der Mann ist 1979 verstorben! Kinder gab es keine. Wenn Sie kommen möchten, überlegen Sie nicht. Schon damals haben sie nach einem Foto gefragt. Ich schicke Ihnen ... ist die Adresse aufgeschrieben, wo ich gewesen bin. Ich gratuliere Ihnen zu allen Feiertagen.

Auf Wiedersehen. xxxxx.

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DZSW 1344
Kurzbeschreibung

Anastasia F. S. wurde 1927 in der Ukraine geboren. Sie wurde in einem Güterzug mit weiteren zwanzig Personen aus ihrem Heimatdorf nach Berlin zur Zwangsarbeit verschleppt.

 

Herkunftsland: Ukraine

Geburtsjahr: 1927

Angaben zur Zwangsarbeit

© Dokumentationszentrum NS-Zwangsarbeit / Slg. Berliner Geschichtswerkstatt

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