Abschrift: xxxxx
Jhrg. 1924
xxxxx
Ukraine


Guten Tag, geehrte Gisela und Ihre ganze Historikergruppe!

Entschuldigt, daß ich mich mit der Antwort verspätet habe. Ich wurde am 28. Januar 1924 im xxxxx, Ukraine, geboren. Meine Kindheit war sehr schwer, meine Mutter kenne ich nicht, ich habe bei der Oma gelebt. Im Jahr 1932 hat der Vater mich zu sich genommen, er lebte im Donezker Gebiet mit einer anderen Frau. Bei der Stiefmutter war ich Dienstmädchen. Ich habe die Schule besucht, im Jahre 1941 hatte ich sieben Klassen beendet, danach hat man mich nicht mehr zur Schule gehen lassen. Als die deutschen Truppen die Ukraine besetzt haben, darunter auch das Donezker Gebiet, hat man mich in das Dorf geschickt, in dem ich geboren worden war. Nahe Verwandte hatte ich keine. Das war im Februar/März 1942. Ich ging zu Fuß fast einen Monat lang, habe bei fremden Leuten gewohnt. Im Juni ging ich nach Hause zum Vater zurück, kam an, Vater gab es zu Hause nicht mehr, die Deutschen hatten ihn abgeholt, niemand wusste, wo er war. Nach einer Woche hat mich die Stiefmutter wieder nach Olschana geschickt. Ich kam hin, aber auch dort war ich fremd. Im August 1942 hat man für Deutschland rekrutiert, darunter auch mich. Aus unserer Straße waren es vier. Heute gibt es keinen von ihnen mehr. Als der Polizist vorbeikam und sagte, wer bereit sein sollte, nach Deutschland zu fahren, was da losging, wie viel Tränen es gab, es ist unmöglich, das zu erzählen. Am nächsten Tag kam eine bespannte Kutsche, der Kutscher und ein Polizist haben uns abgeholt, den einen mit einer Tasche, den anderen mit einem Bündel. Mir haben fremde Leute für unterwegs Brot, ein Stückchen Speck gegeben, andere haben Eier gekocht, ich danke ihnen dafür. So wurden wir weggefahren bis zur Eisenbahnstation Romny, 40 Kilometer von Olschana. Unterwegs haben wir in einem Schuppen übernachtet. Am nächsten Tag kamen wir an den Absendeort. Es waren sehr viele Leute, Geschrei, Tränen, diejenigen, die losgeschickt wurden, hat man durch eine Tür auf die andere Seite des Bahnhofs gestoßen. Dort standen schon Güterwagen. Die Begleiter ließ man nicht zu den Wagen, die Polizisten stießen sie zurück. Geschrei, Tränen. Wir stiegen in die leeren Güterwagen, am 2. September 1942 hat man die Tür geschlossen, und "Auf Wiedersehen, Heimat". In jedem Wagen war ein deutscher Soldat. Unterwegs hielt unser Zug ab und zu, man gab uns so was wie Suppe oder Brei. Nach jedem Halt hat der Soldat nachgezählt, ob alle da waren. Auf dem Territorium Polens gab es ein Bad, die Bekleidung wurde desinfiziert. Und dann waren wir schon an Ort und Stelle, auf dem Territorium Deutschlands. Menschen gab es viele, aber lange blieben sie nicht, es kamen "Hausherren" und holten sie ab. Es kam derjenige, der uns 23 Leute dort abholte. Das war ein Mensch, etwa 50 Jahre alt, in einem schwarzen Anzug mit einem Hakenkreuz auf dem Ärmel, mit Militärkäppi, er sprach etwas polnisch. Wir sprachen mit ihm ohne Dolmetscher. In der ersten Zeit fiel es uns schwer, einander zu verstehen. Daran haben wir uns gewöhnt. Er hat sich uns als xxxxx vorgestellt, so haben wir uns auch an ihn gewandt. Er brachte uns zum Lager. Wir fuhren mit der S-Bahn. In diesem Lager waren nur Frauen, Mädchen, Ostarbeiterinnen. Wir wurden auf die Zimmer aufgeteilt. Am nächsten Tag kam xxxxx, hat uns zum Werk gebracht. Bis zum Werk war es nicht weit, wir liefen später in Begleitung eines Polizisten. Mit der Zeit haben wir erfahren, dass es Berlin-Köpenick, Werk SEMA (?), Friedrichstraße, war. Das Lager, in dem wir gewohnt haben, war vom Werk AEG. Es lag näher dem Ende der Straße zu. Die Mädchen aus dem Lager, 1 500 Menschen, wurden mit dem Schiff zur Arbeit gebracht. Weiter befand sich ein Fichtenwald, ein schöner Fleck für die Erholung, Marienlust. Im Werk waren auch andere Ausländer, aber wir hatten mit ihnen keinen Umgang. In der ersten Zeit hat man uns auf irgendeinen Hof zur Arbeit geführt, danach hat man uns auf die Werkhallen verteilt. Hier im Werk haben ich und noch drei Mädchen bei der Galvanisierung gearbeitet. Mit uns war eine deutsche Frau, sie hat uns gezeigt, wie und was zu tun war. An ihren Namen kann ich mich nicht erinnern. Gearbeitet haben wir von 8 Uhr morgens bis 6 Uhr abends, eine Stunde war Mittagspause. Auf dem Werkgelände stand ein kleines Häuschen, dort war eine Toilette, Waschbecken und ein Zimmer, in dem man sich umzog und Mittag aß. Zu essen gab es zweimal, Mittagessen und Abendbrot und 300 Gramm Brot. Selbstverständlich waren wir immer hungrig. Sonntags haben wir einmal gegessen, man hat irgendetwas Gekochtes gegeben. Wenn es Kartoffeln waren, dann etwa 4 oder 5 Stück mit dünner Spinatsoße. Manchmal gab es Suppe. Zum Frühstück gab es nichts, weil das Brot, das man uns gab, für den Sonntag gespart wurde, weil man am Sonntag nur einmal Essen ausgab. Sonntags hat man uns ohne Begleiter raus gelassen. Wir fuhren mit der S-Bahn nach Berlin. Geld wurde einmal die Woche xxxxx Mark bezahlt, aber kaufen konnten wir dafür nichts, man hat uns nichts verkauft.

Einmal hat xxxxx uns alle zu einem Schuhladen geführt, um Schuhe zu kaufen. Die eine hat Knöchelschuhe gekauft, eine andere Stoffschuhe mit Holzsohle. Die Preise habe ich nicht behalten. Auch konnten wir Postkarten und Glasperlenketten kaufen. Auf dem Territorium des Lagers war ein Kiosk, ein Bad, man hat sich gewaschen, Wäsche gewaschen, in jedem Zimmer stand ein Eisenfass. Im Winter wurde geheizt, woher man das Holz genommen hat, kann ich mich nicht erinnern. In der Freizeit schrieb die eine Briefe, eine andere strickte. In dem Lager, in dem wir lebten, war die Chefin eine Frau, streng. Im Lager war es sauber, in den Zimmern ebenso. Sie ging durch, hat geprüft, für Unordnung hat sie bestraft. Sie hieß Frau xxxxx (?). Briefe in die Heimat hat man einen pro Monat abgeschickt. Die eine hat geschrieben, die andere nicht, aber kaum jemand in der Heimat hat die Briefe bekommen. Innerhalb Deutschlands hat man geschrieben, wenn man die Adressen der Bekannten kannte, und man hat von ihnen Post bekommen. Wenn jemand nicht gesund war, dann gab es im Lager AEG eine Krankenschwester. Von den Unseren hat sich niemand an sie gewandt. Einmal wurde eines von unseren Mädchen krank. xxxxx hat sie zu einem medizinischen Punkt gebracht. Sie lag dort, man hat sie geheilt. Nach der Genesung haben Privatarbeitgeber sie zu sich geholt, wir sind zu ihr gefahren, um sie zu besuchen.

Es gab starke Bombardierungen. Alle zwang man, sich in den Gräben zu verstecken. Die Gräben befanden sich auf dem Territorium des Lagers. Eines Morgens kamen wir raus, um zur Arbeit zu gehen, sahen eine Rauchwand und Flocken von verbranntem Papier. Wir kamen zum Werk, und ein Alter hat uns erzählt, nachdem wir ihn gefragt hatten, was los war, dass man in Berlin ein großes Papierkombinat zerbombt hatte. Bombardiert haben die Amerikaner, Bombenalarm gab es jede Nacht. So haben auch wir gelebt, waren schon daran gewöhnt. Später, ich kann mich nicht erinnern, in welchem Jahr, wahrscheinlich 1944, hat der Meister gesagt: "Macht Euch fertig, Mädchen, wir werden umziehen." Wir sind umgezogen, später haben wir erfahren, dass es xxxxx (?) war. Wir kamen zum Lager, dort standen 2-stöckige Kojen, die russischen Deportierten gingen allein zur Arbeit. Lagerälteste war ein russisches Mädchen, sie konnte gut deutsch. Ungefähr die ersten zwei Wochen gingen wir zur Arbeit, aber Arbeit für uns gab es keine, man hatte noch nicht die Werkabteilungen eingerichtet. Dann hat man alles wiederhergestellt und wir begannen zu arbeiten. Hier gab es keine solchen Bombardierungen. Ab und zu sah man Kriegsgefangene. Man hat sie über den Hof geführt, das war ein Grauen, nur Knochen und Lumpen. Wenn man sich daran erinnert, dann setzt das Herz aus. Wie viel Lied haben die Menschen erlebt, die, die am Leben geblieben sind.

Das Wichtigste möchte ich noch schreiben. In Olschana gibt es vier von uns, die zusammen gewesen sind. Sie sind aus anderen Straßen, aber jetzt stehen wir in Verbindung. Wir haben alle die D-Mark bekommen, xxxxx.

Ich bitte Euch, entschuldigt, dass ich so lange nicht geschrieben habe, und ich habe nicht alles geschrieben. Ich versuche, noch zu schreiben. Wenn man doch früher geschrieben hätte. Wenn etwas für Sie von Interesse ist, dann schreiben Sie.

Auf Wiedersehen. Erfolg für Euch bei Eurer Sache.

PS: Geehrte Gisela, mein echter Familienname ist xxxxx. Wenn Sie mir noch schreiben werden, dann bitte ich Sie, legen Sie in den Briefumschlag noch einmal Ihre Adresse hinein. Wenn mein Brief Sie interessiert hat, dann kommen Sie bitte.
Mit Achtung. Jekaterina

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DZSW 1352
Kurzbeschreibung

Die aus der Ukraine stammende Jekaterina F. P. wurde im September 1942 festgenommen und im Güterzug nach Berlin zur Zwangsarbeit verschleppt, wo sie bei GEMA tätig war.

 

Herkunftsland: Ukraine

Geburtsjahr: 1924

Angaben zur Zwangsarbeit

© Dokumentationszentrum NS-Zwangsarbeit / Slg. Berliner Geschichtswerkstatt

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