Abschrift: Xxxx


Ich heiße xxxxIch wurde am 8. Mai 1929 in Łódź in einer Arbeiterfamille geboren. Ich habe die mittlere Handelsfachausbildung. 1941, als ich nicht einmal 12 Jahre alt war, wurde ich zur Arbeit als Kettelnäherin in der Strumpfwirkerei in Aleksandrów bei Łódź gezwungen. Von diesem Betrieb hat man mich, zusammen mit einer Gruppe anderer Arbeiterinnen in ein Übergangslager nach Łódź gebracht und nach ein paar Tagen zur Zwangsarbeit nach Deutschland verschleppt.

Auf diese Weise landete ich, nicht einmal l3jährig, zunächst in einem Lager in Frankfurt, Gartenkolonie, von wo man mich nach ein paar Tagen nach Berlin brachte. Die Anschrift: Berlin-Schöneweide, Johannisthaler Straße. Ich nahm die Arbeit in den Henschel-Betrieben auf. Dort arbeitete ich in drei Schichten, manchmal als Schlosser, manchmal mit einer Bohrmaschine und manchmal beim Nieten großer Blechflächen. Die Arbeit war schwer und ermüdend. Die Lebensbedingungen - furchtbar: Baracken mit Räumen für 24 Personen. Etagenpritschen mit Strohsäcken und Kopfkissen, ausgestopft mit Sägespänen. Mäuse, die in den Strohsäcken und auf den Pritschen hausten, Ratten, die nachtsüber in den Stuben herumliefen.

Die Ernährung war ebenso furchtbar wie die Wohnbedingungen. Täglich bekamen wir schwarzes, glitschiges Brot, wohl nicht mehr als 250 Gramm, dann 20 Gramm Margarine und ein bißchen Marmelade (aus Steckrüben oder roten Rüben). Das Mittagessen bestand aus dem im Wasser zerkochten, verfaulten Kohl oder den Steckrüben, manchmal gab es Graupen oder Erbsen, aber das waren schon "festliche" Mahlzeiten. Also war der Hunger unser ständiger Begleiter.



Zur Arbeit und von der Arbeit führten uns die Wachmänner.
Ein Passierschein für die Stadt war ein großes Fest. Die Läden durften wir nicht betreten, ebenso durften wir nicht mit der S- oder U-Bahn fahren.
Wieviel ich verdient habe, weiß ich nicht mehr; ich weiß nur, daß es für das Briefpapier und die Briefmarken reichte. Ich hatte sogar für die Fahrkarte gespart, als ich aus Deutschland nach Łódź flüchtete, es blieben mir zwei Mark übrig. Es konnten also keine großen Löhne sein, denn für nichts anderes habe ich das Geld ausgeben können. Ich hatte doch keine Lebensmittelkarten, und ohne diese Karte konnten die Polen nichts zu essen kaufen.

Sie fragen nach der Freizeit. In Wahrheit gab es nicht viel Freizeit. Die Zeit war aufgeteilt für die Arbeit, den Weg dahin und zurück, die in dem Bunker verbrachten Stunden und ein wenig Schlaf. Den Rest nutzten wir für die Wäsche und die Ausbesserung der Kleider, was sich für ein Kind wie mich als eine ziemlich schwierige Angelegenheit erwies. Dazu kam noch die Erschöpfung nach der Arbeit, die unsere Kräfte verbrauchte und das Schreiben der verzweifelten Briefe an die Familie.

Sie interessieren sich auch für die Kontakte und Begegnungen mit der deutschen Bevölkerung. Ich weiß nicht, von welchen Kontakten die Rede sein könnte. Die einzigen Kontakte, die wir hatten, waren mit den Wachmännern im Arbeitslager und dem Lagerführer, sowie mit dem Meister bei der Arbeit. Und das war unangenehm, gekennzeichnet von Angst und Furcht. Die Kontakte mit der Familie in der Heimat beschränkten sich auf Briefe. Diese Unterlagen einer sorgfältigen Zensur, so daß sie manchmal erst nach ein paar Wochen an den Bestimmungsort gelangten.

Sie fragen auch über unser religiöses Leben. Am aktivsten kam es zum Vorschein in den Splitterbunkern. Wenn die Bomben rund um uns herum flogen; wenn die primitiven Bunker bebten und die Erde und Balken oft auf unsere Köpfe herunterfielen, beteten wir inbrünstig und sangen polnische religiöse Lieder. Es gab aber auch Momente, wo wir darüber nachdachten, warum Gott - wenn es ihn gibt - solche Gemeinheiten eines Menschen gegenüber einen anderen Menschen zuläßt. War das Gotteslästerung?
Vielleicht schon, aber es war auch die Verzweiflung der vom Schicksal schwer geprüften Menschen.

Über die medizinische Versorgung kann ich viel berichten, denn ich hatte mit ihr viel zu tun. Im Lager gab es die sogenannte Krankenstube und rund um die Uhr eine Krankenschwester. Als ich im November 1943 erkrankte, landete ich mit der Temperatur von 40° in der Krankenstube. Nach ein paar Stunden, als die Temperatur immer noch anstieg, holte man einen Arzt. Es war ein Militärarzt, der bei mir nach der Untersuchung den Scharlach feststellte. Ein Krankenwagen fuhr mich fast 3 Stunden lang durch ganz Berlin, aber in keinem der Krankenhäuser wollte man mich aufnehmen. Damals erfuhr ich die einzige menschliche Geste, eben von diesem Arzt, der mich herumfuhr: Er gab mir ein Stückchen Schokolade, als er meinen schweren Atem und meine aufgesprungenen Lippen sah. Gewiß war das nicht etwas, was ich in diesem Moment am nötigsten brauchte, aber an diese Geste werde ich mich immer erinnern. Das war etwas Menschliches, etwas, was ich nie vergessen werde.

Nach der langen Irrfahrt landete ich endlich im Krankenhaus für Ausländer in Teltow. Die Aufnahme: kaltes Bad, eine Decke und eine Pritsche in der Baracke. Im Zimmer sechs Betten, ein kleiner Ofen mit einem Rohr, das durch das Dach nach außen ging, in dem oft nicht einmal geheizt wurde. Oft legten wir uns zu zweit in ein Bett, damit wir zwei Decken hatten. Aber das taten wir immer voller Angst, da das verboten war.

Im Krankenhaus lag ich sechs Wochen. Möchten Sie wissen, wie die Behandlung aussah? Täglich ein Becher gewöhnlichen kalten Wassers für die Spülung des Rachens. Und jeden 4-5 Tag die Blutabnahme. Aber das ist nicht alles, was ich in diesem Krankenhaus erlebte. Am St.- Nikolaus-Tag fing unsere Baracke während eines Luftangriffs Feuer (in den Bunker gingen nur die Patienten der Infektionsabteilung herunter). Dieses Mal flüchteten wir alle in den Luftschutzkeller. Unterwegs verlor ich meine Holzschuhe, und die halbe Nacht stand ich im Keller barfuß, bis zu den Knöcheln im Wasser, und nur in einem dünnen Nachthemd. Ein Andenken an diese Nikolaus-Bescherung war eine Eiterbeule in der Achselhöhle und die vergrößerten Lymphknoten.

Für mich wurde es immer schwieriger und schwieriger. Nach der Entlassung aus dem Krankenhaus mußte ich gleich zur Arbeit. Ich bat, flehte um eine Woche Urlaub, damit ich nach Hause fahren könnte. Aber man hat mich ausgelacht.

Jemand, der das Ganze nicht durchgemacht hat, vermag es nicht, die Erlebnisse eines Kindes nachzuvollziehen, das von seinen Nächsten weggerissen in ständiger Überlebensangst lebte. Die Luftangriffe nahmen zu, die Zeit verbrachten wir abwechselnd bei der Arbeit und in den Splitterbunkern. Und wenn es uns gelang, im Bett zu schlafen, dann nur in der Gesellschaft von Mäusen und Ratten, vollkommen angezogen, mit dem Mantel unter dem Kopf und dem gepackten Koffer am Bett, falls er noch nicht verbrannt war.

Es war zu viel für ein solches Mädchen, das ich damals war. Und vielleicht gerade deswegen, weil ich ein Kind war, machte ich mir keine Gedanken über mögliche Konsequenzen dessen, was ich vorhatte. Ich entschloss mich zu fliehen. Und ich war mir dessen nicht bewusst, was man mit mir tut, wenn man mich schnappt. Ende November 1944, nachdem während einer Bombardierung unsere Baracken, darunter auch meine persönlichen Sachen, niederbrannten, floh ich gemeinsam mit drei Kommilitoninnen aus Deutschland.

Ohne Hindernisse gelangte ich nach Hause, das jedoch abgeschlossen war, da meine Mutter nach Piotrków Kujawski zum Ausheben der Schützengräben deportiert wurde. Ich war Einzelkind, und mein Vater wurde bereits Anfang 1940 zur Zwangsarbeit nach Memel verschleppt. Vor der Deportation ließ meine Mutter den Wohnungsschlüssel bei der Hauswirtin, einer Deutschen. Sie war es, die mir Geld gab und mir riet, zu meiner Mutter zu fahren.

Ich fuhr tatsächlich zu ihr, ohne Geld und Lebensmittelkarten, und meldete mich dort als eine "Freiwillige" für das Ausheben der Schützengräben. Leider blieben wir nur kurz zusammen. Ende Dezember 1944 wurde meine Mutter, zusammen mit einer Gruppe älterer Frauen, nach Hause entlassen. Man behielt nur die Jugendlichen und so war ich wieder alleine. Ich schlief in einer Scheune, wo der Schnee in der Nacht auf die Decken herunterfiel. Und tagsüber hob ich vom Morgengrauen bis spät in die Nacht die Gräben aus. Unter diesen Umständen lebte ich bis zur Befreiung. Und Ende Januar 1945 kehrte ich nach Hause zurück.


Nach dem Krieg begann ich die Mängel meiner Ausbildung zu beheben. 1949 machte ich im Handelslyzeum das Abitur, und seit dieser Zeit arbeitete ich bis zur Pensionierung. 1954 heiratete ich einen ehemaligen Häftling des Lagers Buchenwald

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Möglicherweise ja, denn ich hätte auch nichts bekommen können. Ich verfüge über kein amtliches Dokument, das meinen Aufenthalt in Deutschland und meinen Leidensweg dort beweisen könnte, außer den Zeugen, die dort zusammen mit mir waren und meine Aussagen bestätigten. Ich hatte nichts. Ich bin so, wie ich stand, davongelaufen. Mit zwei Mark in der Tasche.
Die Erinnerungen aus Berlin werden immer verschwommener.
Xxxx
Und das Bedauern, daß meine Kindheit so traurig war.

Ich weiß, Sie haben von mir mehr erwartet. Amtliche Dokumente, Fotos, Postkarten u.ä. Leider ist alles in den Wirren des Krieges verlorengegangen. Vielleicht ist es sogar besser so, denn wenn ich z.B. über Berlin denke, rufe ich aus meinem Gedächtnis eine schöne Stadt zurück, noch verhältnismäßig sauber und geordnet und nicht solche, wie sie war, als ich sie verließ. Oft denke ich aber darüber nach, wem dieser Krieg zunutze war. Wohl nicht uns, den gewöhnlichen, kleinen Menschen. Er brachte doch nur Schmerz, Verzweiflung und Zerstörung, sowohl auf der einen wie auf der anderen Seite.


Wenn Sie von meinen Bekenntnissen irgendeinen Gebrauch machen können, würde ich mich freuen. Ich weiß, es sind sehr subjektive Wertungen, aber jeder erlebt alles auf seine Weise. Und nur so kann er davon berichten. Ich füge mein aktuelles Foto bei. Ich wünsche Ihnen viel Erfolg im beruflichen und privaten Leben.

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DZSW 1400
Kurzbeschreibung

Gerade mit 13 Jahren sollte Stefania K. als Schlosserin in einem Flugzeugwerk arbeiten. Sie entschloss sich zu fliehen. In ihrer Heimatstadt traf sie ihre Familie nicht an und machte sich auf die Suche, die ihr zum Verhängnis wurde.

 

Herkunftsland: Polen

 

 

Biografie Stefania K.
Angaben zur Zwangsarbeit
Weitere Objekte

© Dokumentationszentrum NS-Zwangsarbeit / Slg. Berliner Geschichtswerkstatt

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