Abschrift: xxxxx
Jhrg. 1925
xxxxx
Ukraine


Guten Tag geehrte Gisela Wenzel und Ihre Kollegen!

Ihren Brief habe ich erhalten, aber die Antwort habe ich verzögert. Die Sache war die, dass mir ein Unglück passiert war. Ich bin hingefallen und habe mir ein Bein gebrochen, ich lag lange im Krankenhaus, und danach habe ich gelernt, an Krücken zu gehen, deswegen also konnte ich Ihren Brief nicht beantworten.

Ich, xxxxx, wurde am 7. Juni 1925 in Minsk geboren. Vor dem Krieg beendete ich die Mittelschule. Am 31. März 1944 wurden ich und meine Mutter vom Smolensker SD wegen Verbindung zu den Partisanen verhaftet. Man hat uns stark geschlagen und bewusstlos in eine Einzelzelle geworfen, und als wir zu Bewusstsein kamen, wiederholte sich alles. Das war sehr schwer auszuhalten, und als die Untersuchung beendet war, hat man uns ins KZ geschickt. Dort hat man uns zur Arbeit gejagt: Gräben ausheben, Ziegelschutt von zerbombten Häusern wegräumen. Und meine minderjährige Schwester (sie war 11 Jahre alt) hatten wir bei der Nachbarin gelassen. Aber die Nachbarin hat sie nicht lange behalten, hat sie rausgeschmissen. Die Schwester landete auf der Straße, sie konnte nirgends übernachten. Das Haus wurde versiegelt, hinein konnte man nicht, und sie war gezwungen, im Schuppen zu übernachten, und es war noch Winter, es herrschte Frost. Morgens ging sie betteln, damit jemand ihr etwas zu essen gab. Wer irgendetwas hatte, hat gegeben und gesagt: "Irotschka, geh weg, wir haben Dir geholfen, haben aber Angst, dass man uns verhaften könnte." Es gab so einen Befehl der SS-Deutschen, dass, wenn jemand Familien von Partisanen Hilfe leistete, alle erschossen würden. Eben deswegen konnte niemand meiner Schwester helfen. Eine einsame Frau konnte ihr Leid nicht mehr sehen und hat gesagt: "Irotschka, komm mal zu mir, wenn man mich erschießt, ist es egal, ich bin schon alt." Sie hat sie gewaschen und ihr zu essen gegeben. Die Schwester war bei ihr, bis man mich aus dem KZ nach Deutschland verschleppte, und ich wurde zusammen mit der Schwester verschleppt. Man brachte uns in ein Verteilungslager. Dort waren wir nicht lange. Danach brachte man uns nach Berlin-Köpenick, Grünauer Str. (?) 17. Dort befand sich eine Wäscherei, bei der wir als Wäscherinnen gearbeitet haben. Die Wäscherei gehörte Frau xxxxx, und gewohnt haben wir in derselben Straße bei Herrn xxxxx (?). Er hatte eine Bierstube und auf dem Hof stand eine Baracke, in der wir gewohnt haben. xxxxx hat uns auch bewacht. In der Wäscherei haben nur Mädels aus Polen, Rußland, Belorußland, Bulgarien gearbeitet. Die älteste von uns war Frau xxxxx (?). Sie war nicht mehr jung. Sie gibt es sicher schon nicht mehr, obwohl das sehr schade ist. Sie war sehr gutherzig, verhielt sich uns gegenüber menschlich. Manchmal kaufte sie für ihre Pfennige Tschumisa (?), gesalzene Kohlrabi, Möhren, Steckrüben, und hat uns jedem einen voll Löffel gegeben. Sie hat uns nie als "russische Schweine" beschimpft. Wir erinnern uns an sie als an einen guten Menschen, und wie man bei uns Russen sagt: "Das Himmelreich ist ihr sicher."
Sehr viele Deutsche waren gute Menschen, die SS-Nazis waren schlechte. Und alle anderen waren so, wie die eben Menschen sind. Auch bei uns trifft man unterschiedliche.

Ernährt wurden wir schlecht: Suppe, Steckrüben, Kohlrabi, einmal am Tag einen Kanten Brot und einen Becher heißes Wasser - so war eben das Essen. Sonntag war freier Tag, wir gingen nirgendwohin, und wohin hätten wir auch gehen können, Bekannte hatten wir nicht, viermal innerhalb 24 Stunden wurde Berlin bombardiert, es blieben nur Ruinen. Geld hat man uns nicht gezahlt, und wozu hätten wir es auch gebraucht. Kaufen konnten wir dafür nichts, alles war rationiert und nur für die Deutschen.

Und unsere Mutter, xxxxx, wurde am 2. Juli 1944, als die Deutschen sich zurückzogen, zusammen mit denen, die sich im KZ befanden, in ein Auto geladen und nach Trostinez gebracht, das ist 12 Kilometer von Minsk entfernt. Dort befand sich ein Todeslager. Die Autos wurden zu einer großen Scheune gefahren, man hat die Menschen dort hineingejagt, und dann ratterte ein Maschinengewehr. Dann fuhr das nächste Auto vor, wieder hat man die Menschen auf die Getöteten gejagt, vielleicht waren auch nicht alle tot, wieder das Rattern, bis die Scheune bis oben gefüllt war. Und danach hat man sie angezündet, und alles brannte. Am 3. Juli wurde Minsk befreit, und den Menschen fehlte nur ein Tag bis zur Befreiung, aber sie haben noch lange gebrannt.

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DZSW 1349
Kurzbeschreibung

Jewgenia S. P. hielt Verbindungen zu Partisanen, weshalb sie mit ihrer Mutter im März 1944 verhaftet und ins Konzentrationslager gebracht wurde. Sie wurde anschließend mit ihrer minderjährigen Schwester nach Berlin-Köpenick deportiert, wo sie in einer Wäscherei Zwangsarbeit leistete.

 

Herkunftsland: Ukraine

Geburtsjahr: 1925

Angaben zur Zwangsarbeit
Weitere Objekte

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