Abschrift: xxxxx
Jhrg. 1924
xxxxx
Ukraine



Guten Tag, liebe Leute, die allen Gutes, Wohlergehen und Frieden wünschen. Ihr Brief hat mich tief betroffen und hat mich an vieles erinnert. Es hat mir sehr gefallen, und ich unterstütze es, dass Sie für Ihr Volk Frieden wollen, damit niemals die damalige finstere und schreckliche Zeit wiederkommt, die Millionen unschuldiger Menschen das Leben gekostet hat und Faschismus hieß. Ich, xxxxx, Geburtsjahr 1924, wurde im Dorf xxxxx, xxxxx, geboren und wohnte dort bis 1941, bis zum Krieg. Der Krieg brach aus. Die deutschen Truppen näherten sich uns schnell. Und dann wurden alle, die es konnten, zum Bau von Schützengräben und Panzersperren mobilisiert. Die Front näherte sich, und wir waren gezwungen, uns zurückzuziehen. Dann wurden wir im Kriegskommissariat des Rayons nach Altersgruppen aufgeteilt....

Wir gingen zu Fuß und wurden deshalb innerhalb von zwei Wochen eingekreist, und wir mussten zurück nach Hause ins okkupierte Territorium. Am 4. Mai 1942 wurde ich direkt vom Feld, auf dem wir mit dem Spaten gearbeitet haben, verschleppt und nach Charkow geschickt und von dort aus weiter in Waggons ohne Wasser, Essen und ohne die Möglichkeit, uns zu erleichtern, wie Vieh, 50-60 Menschen in einem Waggon. Und so wurden wir transportiert, ca. 3mal 24 Stunden. Irgendwo in Polen wurden wir desinfiziert, und einmal mit irgendeiner Balanda aus Trockengemüse gefüttert. Dann wieder in den Zug, und in Berlin wurden wir ins Verteilungslager gebracht. Dort waren wir 5 Tage. Viele starben an Entkräftung, obwohl uns schon 200 Gramm Brot gegeben wurde, aber sonst nichts. Dann wurde eine große Gruppe ins Lager Karow gebracht. Die Frauen wurden losgeschickt, um Waggons sauberzumachen.

Kräftigere Männer zur Eisenbahn. Die schwachen Männer blieben noch zwei Wochen im Lager zur Quarantäne, weil von dieser Gruppe an einem Tag 7 Menschen starben. Wir 30 Leute wurden zum Bau in ein Lager am Stadtrand von Borgsdorf gebracht. Das ist scheinbar die dritte oder vierte Station von Gesundbrunnen in Richtung Oranienburg. Im Lager bekamen wir morgens 200 Gramm Brot und Kaffee, und abends nach der Arbeit 0,7 Liter Suppe, meistens aus Gemüse. Wir arbeiteten gemeinsam mit deutschen Arbeitern, meistens älteren, und in der ersten Zeit gab es noch eine Gruppe Juden, aber bald verschwanden sie. Die Deutschen waren gut zu uns, aber während des Mittagessens sperrten sie uns in einem Waggon ein. Später trauten sie uns allmählich und erlaubten uns sogar, am Waldrand Pilze und Beeren zu sammeln, und das war ein Zusatz zu unserer Ration.

Eines Tages waren mein Freund und ich versehentlich in einen falschen Zug eingestiegen, nicht nach Oranienburg, sondern nach Bernau, und dort fanden wir ein paar Zigarettenkippen. Obwohl ich nicht rauchte, war auch das ein Zusatz zur Ration, da sie gegen Brot bei einem Raucher eingetauscht werden konnten. Und dann wurden wir an einer S-Bahn-Station von der Polizei bemerkt, wurden zum Revier gebracht und als Flüchtlinge wurden uns 25 Schläge mit Ruten auf das Gesäß verabfolgt. Das Lager wurde verständigt. Es kam die Lagerwache, sie nahm uns mit, und abends wurden noch 25 Schläge hinzugefügt, so hatten wir an einem Tag 50 Schläge bekommen. Im September 1942 wurde eine Gruppe von 50 Mann ausgewählt und zur Arbeit zur Eisenbahn geschickt, eine sehr schwere Arbeit. Unser Essen wurde ergänzt, mal Beeren, die neben dem Bahndamm wuchsen, mal Kohl, Kohlrabi oder Steckrüben. Unser Lager bestand aus zwei Baracken. Zur Arbeit wurden wir mit einem Arbeitszug gebracht. An die Stadt, wo sich das Lager befand, kann ich mich nicht erinnern, ich weiß nur, dass neben uns eine Zuckerfabrik war. Vom Bahndamm aus war sehr gut eine große Industriestadt zu sehen, man sagte, das sei Magdeburg. Zu Silvester wurden wir alle ins Lager Kaulsdorf bei Berlin, drei Kilometer von Köpenick entfernt, gebracht. Wir wurden gründlich durchsucht und wenn jemand irgendetwas Essbares hatte (eine Zuckerrübe oder Steckrübe) wurde alles weggenommen. Strengstes Regime. Morgens unter Bewachung mit Hunden nach Wuhlheide-Warschauer Straße (?) zum Reichsbahn-Ausbesserungswerk. Transport-"Sonderzug", wie Vieh, ein S-Bahn-Zug ohne Sitzmöglichkeit.

Dort arbeitete ich als Zimmermann in der 12. Werksabteilung, meine Personalnummer war 12236. Das Essen war schlecht, 200 Gramm Brot von sehr schlechter Qualität, wie Lehm und mit Sägemehl paniert. Abends Suppe, meistens aus Gemüse. Zum Werk kamen Güterwaggons vom Schlesischen Bahnhof, und da fanden wir Reste von Gemüse oder Korn, das war auch eine zusätzliche Essensration. Im Werk arbeiteten nur Deutsche, meistens ältere, und Ostarbeiter, und erst nach Stalingrad brachte man auch unsere Kriegsgefangenen zu uns. Die Deutschen benahmen sich uns gegenüber nicht schlecht, und es gab sogar welche, die mit uns heimlich befreundet waren. Besonders Willi, der für die Kriegsgefangenen aus der deutschen Werkskantine Suppe brachte, natürlich die Reste. Und während der Bombardierungen ging er nie in den Luftschutzkeller und war mit uns zusammen unter den Waggons im Laufgraben. Wenn er Flugblätter fand, las er sie und erzählte es uns und verbrannte dann das Flugblatt. Bald nach Stalingrad wurde die Disziplin schwächer, eine harte Bewachung und Schäferhunde gab es nicht mehr, und man begann, uns zweimal Suppe zu geben. Es wurde ein wenig leichter, und es entstand die Hoffnung, dass wir überleben würden. Nach den Bombenangriffen auf Berlin brannte auch ein Teil unseres Lagers aus, und viele blieben ohne "Ausweis", darunter auch ich. Ein Teil der Jungen und Mädchen wurde in andere Lager überwiesen, und für uns wurde auf dem Dachboden des Werks ein Wohnheim eingerichtet. An einem freien Tag fuhr ich zu meinem Freund in ein anderes Lager. Das ist von Ostkreuz die dritte S-Bahn-Station in Richtung Süden auf dem S-Bahn-Ring. Gegen Abend begann ein Bombenangriff, die Verkehrsmittel fuhren nicht mehr, und wir blieben im Lager, um zu übernachten, und am frühen Morgen wurde das Lager von einem SS-Kommando umzingelt, eine totale Kontrolle, und da wir 15-20 Leute ohne Ausweis in einem fremden Lager gelandet waren, wurden wir ins Gefängnis Hamburger Straße 26 gebracht. Dort gab es Vernehmungen und Prügel und dann Straflager - eine echte Hölle. Als ich mit dem Arbeitszug von der Arbeit zurückkam, warf ich einen Zettel aus dem Fenster für Mädchen, die an einem Schlagbaum standen, damit sie meinen Freunden mitteilten, wo ich war. Der Wachmann hat es bemerkt, dass ich einen Zettel geworfen hatte und teilte es der Lagerverwaltung mit. Nach dem Appell wurde ich zur Bestrafung geholt. Ich wurde nackt ausgezogen, mir wurde eine Eisentonne gegeben, damit musste ich rund um ein Wasserbecken laufen (eine Betongrube, 15-18 Meter lang und 2,5 Meter tief und mit Wasser gefüllt). Etwa 40 Leute, alle mit abgeschnittenen Gummischläuchen, und jeder versucht, dich schmerzhafter zu schlagen. Ich fing an zu laufen, da war der Lagerführer xxxxx mit zwei Schäferhunden. Wenn sie einen laufenden nackten Menschen sehen, zerreißen sie ihn, bis er zu Boden fällt. Genau das passierte mit mir, ich wurde sehr stark gebissen, ich fiel zu Boden und wurde ins Bassin geworfen und von dort aus über einen Baumstamm gelegt und wurde geprügelt, bis ich in Ohnmacht fiel. Man verletzte mir einen Hoden, dann wieder ins Wasserbecken, und dann in den Karzer. Dann brachten sie noch drei Leute herein, und so blieben wir, geschlagen und nass und nackt, bis zum Morgen im Karzer. Am Morgen sind zwei Menschen gestorben, und wir zwei anderen wurden in eine Scheune gebracht Und da war ich 10 Tage lang. Nach einer Frist von 56 Tagen wurde ich wieder ins Gefängnis gebracht. Wieder Vernehmungen. Einer der Vernehmenden fragte mich, ob ich jemanden von den Meistern kennen würde. Ich nannte einen Obermeister xxxxx. Er lächelte und antwortete, dass das sein Freund sei. Und er sagte noch, er würde sich mit ihm in Verbindung setzen, und wenn er eine positive Charakteristik abgeben würde, dann käme ich vielleicht zurück ins Werk aber inzwischen für einen Monat ins KZ Sachsenhausen.

Ich traute ihm natürlich nicht, hatte aber doch Hoffnung. Nach einem Monat wurde ich wieder ins Gefängnis gebracht, und derselbe Untersuchungsführer sagte mir, dass ich das meinem Obermeister verdanke. Er möge mich als guter Arbeiter. Dann kam ein Wächter aus dem Lager und holte mich zurück. Und so arbeitete ich weiter im Werk. An einem Feiertag zu Ehren des Führers sah ich meinen Obermeister in einer braunen Uniform, er war schweigsam, immer streng, aber gerecht. Ich bin ihm heute noch dankbar.

Am 21. April 1945 wurden wir befreit, überprüft und zur Armee eingezogen. An Kriegshandlungen habe ich nicht teilgenommen, aber ich habe den Status eines Kriegsveteranen, habe Vergünstigungen, kostenlose Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel und 50% Rabatt bei den Wohnungs-Betriebskosten.

Ich diente in Berlin in der Garnison, in Bernau, in Aachen, Wismar, Schönebeck, Strausberg. Dann Russland. 1947 wurde ich demobilisiert. Ich kam nach Hause, und zuhause gab es nichts, nur eine Erdhütte. Das ist so eine Art Keller, nur mit Ofen, und dort wohnten Vater, Mutter und die Schwester. Und so mussten wir das Leben von vorne beginnen. Ein Haus bauen, heiraten, ich arbeitete im Kolchos als Brigadier, und dann ging ich nach Charkow ins Traktorenwerk. Ich arbeitete als Meister, dann als Obermeister in einer Pressenabteilung, schloss ein Technikum ab. War Chef des Büros für Werkzeug in derselben Werksabteilung.

Ich arbeitete mehr als 30 Jahre im Charkower Traktorenwerk. Dann zeigten sich die Folgen von Straflager und KZ, und schließlich bin ich nach xxxxx lebenslang Invalide der zweiten Kategorie. Ich habe eine Tochter, verheiratet, die Enkel sind alle Jungen. Sehr oft spreche ich im Schlaf deutsch, aber man vergisst alles, und wenn ich nicht die passenden Worte finde, wache ich auf. Vielen Dank Ihnen, dass es Sie gibt und dass Sie eine nützliche Sache machen im Namen des Friedens. Wie gern möchte ich Berlin besuchen, aber ich denke, es ist unmöglich wegen der finanziellen Probleme. Wenn Sie eine Möglichkeit haben, kommen Sie zu uns zu Besuch, ich werde mich sehr freuen. Leben Sie lange und arbeiten Sie im Namen des Friedens auf der Erde und Ihres Volkes. Ich stehe der heutigen Zeit positiv gegenüber, obwohl man unsere Führer beschimpft wegen des Zerfalls der UdSSR, aber mir gefällt Gorbatschow sogar jetzt. Natürlich würde ich, wenn Sie bei mir wären, Ihnen einen Traum erzählen zum Schicksal Gorbatschows und alles, was mit ihm verbunden ist.
Ich entschuldige mich sehr, dass ich den Brief nicht mit der Schreibmaschine tippen lassen konnte, weil das für mich sehr teuer ist. Ich hoffe auf künftigen Briefwechsel und erzähle Ihnen mehr.

Meine Adresse: Ukraine
xxxxx

Da meine Frau 1994 gestorben ist und die Kinder von mir getrennt leben, wohne ich jetzt mit einer anderen Frau in deren Wohnung.
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Ich warte auf Ihren Besuch, küsse Sie.
Unterschrift



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DZSW 1326
Kurzbeschreibung

Der aus der Ukraine stammende Pawel P. T. wurde im Mai 1942 nach Deutschland  zur Zwangsarbeit gebracht. In seinem Brief geht er auf seinen Aufenthalt im Gefängnis, im Straflager und im KZ Sachsenhausen ein.

 

Herkunftsland: Ukraine

Geburtsjahr: 1924

 

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Angaben zur Zwangsarbeit

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