Abschrift: xxxxx
Jhrg. 1924
xxxxx
Ukraine


Es schreibt Ihnen xxxxx

Nachdem xxxxx Ihren Brief gelesen hat, hat er sehr geweint.

Guten Tag, geehrte Gisela Wenzel!

Ihren Brief haben wir erhalten. Vor allem Ihnen vielen Dank! Wir beeilen uns, Ihnen und Ihren Kollegen zum Neuen Jahr 1998 zu gratulieren. Wir wünschen Ihnen gute Gesundheit, Erfolge in Ihrer Arbeit und alle guten irdischen Güter. Wir waren sehr froh, als wir Ihren Brief bekommen haben. Den Brief schreibt Ihnen die Ehefrau von xxxxx. Ich habe persönlich früher als xxxxx (mit dem Enkel) geschrieben, aber warum der Brief Sie nicht erreicht hat, ist nicht klar.

Ich wurde 1924 in der östlichen Ukraine in der Nähe der Stadt Konotop im Dorf xxxxx, geboren. Nach dem Abschluss der 8.Klasse bin ich auf eine Feldscher/Hebammen-Schule in der Stadt Konotop gegangen. 1941, nach dem Abschluss des 2. Studienjahres war ich wegen der Ferien im Dorf und bereits im Monat August wurden wir von den Deutschen besetzt, und bis Mai 1942 blieb ich im Dorf in meiner Familie, und am 29. Mai 1942 (als der Flieder stark aufgeblüht war) wurden wir zur Zwangsarbeit nach Deutschland verschleppt. Wir wurden wie Vieh in Güterwaggons abtransportiert. Aber wie die Jugend ist, man schluchzte, sang Klagelieder. Ich erinnere mich heute noch an ein Lied.

Leb wohl, mein Heimatland
Leb wohl, Ukraine
Leb wohl, mein sprießender Garten
Leb wohl, mein Mädchen.

Aber der Krieg war lang... (?) In der „Nitritfabrik“ arbeiteten auch noch gefangene Polen und Franzosen. Wir kamen im Verteilungslager Wilhelmshagen im Südosten Berlins an. Und von dort wurden wir zu den Arbeitsorten gebracht. Ich landete in einer Fabrik zur Arbeit an Maschinen (es gab 4 Maschinen und an jeder waren 5 Spulen, die nach der Einschaltung der Maschinen Fäden aufwickelten). Die erste Zeit wurden wir im Lager eingesperrt, und es gab Wächter (beim Pförtner). Zur Arbeit wurden wir durch bewaffnete Polizei geführt. Wir arbeiteten 12 Stunden (manchmal auch 18). Das Essen war sehr schlecht. Viele unserer Kameraden wurden aus dem Lager weggebracht, wohin wussten wir nicht (einige von ihnen waren sehr schwach, abgemagert, und sie konnten sich nicht einmal bewegen). Ein Mädchen aus Weißrussland hat sich ertränkt, weil sie das alles nicht aushalten konnte. Medizinische Hilfe gab es im Lager so gut wie nicht. Unsere Fabrik hieß Schiringa (Schering?). Der Chef in der Fabrik konnte gut russisch (die Deutschen sagten, dass er ein russischer Emigrant sei). Unsere Chefin im Lager war eine Deutsche mit dem Namen xxxxx. Stundenweise konnten wir die Stadt mit Polizei besuchen (aber sehr selten), und ab Frühling 1943 für einige Stunden allein. Wir begegneten auf den Straßen Berlins einer Gruppe Burschen. Sie erzählten uns, dass sie aus der Westukraine seien, und wir erzählten, dass wir aus der Ostukraine waren. Sie kamen mit uns zu unserem Lager, und so begann auch meine Bekanntschaft mit xxxxx. Keiner dachte damals an Liebe. Er brachte aus seinem Lager seine Klamotten zum Waschen. In seinem Lager waren zu der Zeit die Lebensbedingungen wesentlich besser als bei uns. Er leistete Schwerstarbeit, aber er bekam zusätzlich Schwerarbeiterkarte (Butter und Brot zusätzlich, aber wie viel kann ich mich nicht erinnern). Von seiner Ration gab er mir etwas ab. Im Herbst 1943 schrieb er einen Brief nach Hause und teilte den Deutschen mit, dass er sich verheiraten werde. Ich wusste nichts davon. Dann sprach er mit dem Lagerführer, dass er mich als Ehefrau in sein Lager mitnehmen möchte. Und der Lagerführer, wir nannten ihn Chef, entschied diese Frage und half uns, das gesetzlich zu machen (es wurde in irgendeiner ukrainischen Verwaltung entschieden). Eines schönen Tages, daran erinnere ich mich gut, kurz vor den Oktoberfeiertagen, fuhren wir mit dem Lagerführer in irgendein Amt, an das ich mich nicht erinnern kann. Dort wurden wir gefragt, ob wir einverstanden seien, Mann und Frau zu werden, und irgendein Mann las uns aus irgendeinem Buch die Gesetze des Familienlebens vor, und bald bekam ich einen „Ausweis“ auf den Namen xxxxx (und der Ausweis auf den Namen xxxxx wurde mir von unserer Lagerführerin weggenommen).

Im neuen Lager arbeitete ich in der ..... (das ist so eine Abteilung, die Salben für Furunkel, Karbunkel und andere Krankheiten herstellte). Und so lebten wir bis zu dem Tage, als die Russischen Truppen uns am 24. April 1945 befreiten. Und an einem sonnigen Morgen haben wir uns verabschiedet (das war am 26. April), und xxxxx ging zur Armee, und ich fuhr per Anhalter, wie ich dachte nach Hause, landete aber in der Stadt Schwibus in einem Sammellager. Und ich arbeitete in einem Hospital (da ich einen ukrainischen Pass, gültig bis 1946 hatte, in dem eingetragen war, dass ich 1941 bereits im dritten Studienjahr gewesen war). Der ukrainische Pass galt auch zu Hause bis 1946. Ich schrieb einen Brief nach Hause und fragte, ob ein Brief von meinem Mann, xxxxx, gekommen sei, und meine Schwester antwortete, dass einer gekommen war und schickte mir seine Adresse. Er war zu der Zeit in Berlin und danach in Halle, und an die anderen Städte kann ich mich nicht erinnern. Im Herbst 1945 kam ich nach Hause in mein Heimatdorf. Am 14. November habe ich einen Sohn geboren, und im Frühling 1946 bin ich auf Einladung seiner Eltern in die Westukraine umgezogen. Ich wohnte bei ihnen bis zu seiner Rückkehr aus der Armee. Er kam im November 1947 von der Armee zurück. Wir bauten ein Häuschen auf freiem Felde und wohnten so bis 1965 und hatten zwei Söhne und eine Tochter, und 1965 bauten wir uns (man nannte das damals eine Finnhütte), 8x10 Meter, und legten uns eine Hauswirtschaft zu. Wir arbeiteten im Kolchos bis zur Rente. Alle Kinder wohnen in unserem Dorf. Ich bekomme die minimale Rente -xxxxx, und xxxxx xxxxx. Er arbeitete die ganze Zeit schwer. In Deutschland machte er Gipsplatten mit einem Gewicht von einem Zentner, aus Zement, der er Kalk und Schlacke hinzufügte, und dann brachte er sie per Hand zum Trockenplatz. Im Kolchos arbeitete er das ganze Leben lang auf dem Traktor „Diesel“. Wir haben 12 Enkel und 10 Urenkel. Sie haben eigene Familien und eigene Haushalte, und wir blieben zu zweit. Es ist schwer zu leben (jetzt für diese Rente), aber man kann nichts machen, man muss irgendwie weiterleben. Wir bekamen von Ihnen eine Antwort, schreiben Sie, was Sie noch interessiert. Wir werden antworten. Jetzt ist xxxxx schwach, er kann nicht mehr arbeiten, die Kinder und Enkel helfen etwas. Auf Wiedersehen, wir warten auf Ihren Brief.

Neujahrskarte: Sehr geehrte Gisela und Ihre Kollegen. Wir gratulieren Ihnen zum kommenden Jahr 1998, wir wünschen Ihnen gute Gesundheit, Glück, Erfolge in Ihrer Arbeit und das Allerbeste.


Dokumentationszentrum NS-Zwangsarbeit / Slg. Berliner Geschichtswerkstatt

  • 1 von 5 Seiten
  • 2 von 5 Seiten
  • 3 von 5 Seiten
  • 4 von 5 Seiten
  • 5 von 5 Seiten
DZSW 1333
Kurzbeschreibung

Tatjana S. T. wurde 1942 in einem Güterzug nach Berlin zur Zwangsarbeit verschleppt. Sie musste bis zu 18 Stunden am Tag arbeiten. Tatjana hat in Berlin ihren zukünftigen Ehemann kennengelernt und 1943 in Deutschland geheiratet.

 

Herkunftsland: Urkaine

Geburtsjahr: 1927

 

Dokumentationszentrum NS-Zwangsarbeit / Slg. Berliner Geschichtswerkstatt

Angaben zur Zwangsarbeit

© Dokumentationszentrum NS-Zwangsarbeit / Slg. Berliner Geschichtswerkstatt

© Dokumentationszentrum NS-Zwangsarbeit / Slg. Berliner Geschichtswerkstatt

© Dokumentationszentrum NS-Zwangsarbeit / Slg. Berliner Geschichtswerkstatt

© Dokumentationszentrum NS-Zwangsarbeit / Slg. Berliner Geschichtswerkstatt

© Dokumentationszentrum NS-Zwangsarbeit / Slg. Berliner Geschichtswerkstatt