Abschrift: xxxxx
Jhrg.1922 (?)
xxxxx
Ukraine


Geehrte Gisela!


Ich habe Ihren Brief im August bekommen und antworte erst jetzt, d.h. Ende Dezember 1997. Das hat seine Gründe.

Und jetzt zur Sache. Ich wurde im Schtschorski Rayon, Tschernigowskaja Oblast, geboren. Vor dem Krieg schaffte ich es, eine zweijährige Schule für Krankenschwestern abzuschließen, aber da ich noch nicht 18 Jahre alt war und bei der Militärbehörde nicht gemeldet war, wurde ich nicht mobilisiert. Im August 1941 wurde das Gebiet, in dem ich wohnte, okkupiert, und im Mai 1942 landete ich in der Liste für die Verschleppung nach Deutschland. Es waren meistens Mädchen und junge Frauen ohne Kinder. Wir wurden in Güterwaggons mit Bewachung transportiert. In einem Verteilungslager in Berlin wurden wir von den Fabrikbesitzern und Bauern „gegriffen“ (wenn man das so ausdrücken kann). Ich landete in einem Lager, das sich in Köpenick (einem Vorort Berlins) befand. Das Lager war mit Stacheldraht umzäunt, von der Polizei bewacht, so als ob wir Verbrecher wären. Im Lager befanden sich 1 500 Frauen. Alle bekamen das „OST“, und versuch mal, das nicht anzumachen, gleich wirst du geschlagen.

Zur Arbeit wurden wir mit dem Schiff unter Polizeibegleitung gebracht. Beim Ein- und Aussteigen wurde man genau gezählt. Ich arbeitete im Werk AEG. Jeder von uns wurde an einer Werkzeugmaschine eingewiesen, wo der Vorarbeiter ein Deutscher war. Die Deutschen waren alle älter. Eine besondere Missachtung uns gegenüber haben sie nicht geäußert. Ich hatte persönlich viel Glück (für die damaligen Verhältnisse), dass ich bei einem deutschen Kommunisten landete, wie er mir das später eingestanden hat. Er unterstützte mich moralisch und materiell wie er konnte. Er teilte mit mir, dabei riskierte er auch etwas. Sein Familienname war xxxxx. In meiner Seele bin ich ihm immer noch dankbar. Sie fragen, wie das Essen war. Im Lager gab es Leute mit unterschiedlichen Begabungen, sie schrieben u.a. Gedichte. In einem von ihnen gab es solche Worte: „Bei uns heißt das nicht Suppe, sondern Balanda.“ Und das heißt Steckrüben und Wasser. Manchmal tauchten auch Kartoffeln auf.

Im ersten Jahr hat man uns aus dem Lager nirgendwohin hinausgelassen. Später hat man uns in einer Gruppe zu etwa 10 Leuten in Begleitung eines Polizisten nach Berlin gelassen, und ungefähr ab Ende 1943 konnte man ohne Polizisten aus dem Lager. Ich und meine Freundin nutzten diese Möglichkeit auf den Rat dieses deutschen Kommunisten aus. Im Mai 1944 flohen wir aus dem Lager und landeten in der Stadt Kolberg. Aber schon unter anderem Familiennamen. Dort wurden wir von den sowjetischen Truppen befreit. Dort habe ich einen Zyklus von Überprüfungen durchlaufen, danach arbeitete ich in einer Garnison. Ich kam erst 1951 nach Hause. Die Fotos, die ich hatte, musste ich bei der Flucht vernichten. In der Heimat gab es für mich keine Probleme.

Ich habe zu schreiben vergessen, dass in unseren Baracken je 20 Personen lebten. Die Pritschen waren zweistöckig. Die Freizeit verbrachte jeder wie er wollte: der eine weinte, der andere sang, der dritte lag einfach auf seiner Pritsche. Briefe bekamen wir nicht und von uns in die Heimat haben wir auch keine geschickt, obwohl das Schreiben erlaubt war (zum Schein).

Ich habe keinen Briefwechsel und habe keine Adressen (von Mitgefangenen), es ist doch schon so viel Zeit vergangen, und ich bin 75 Jahre alt.
Das war alles, was ich Ihnen mitteilen konnte.


Auf Wiedersehen. Unterschrift

PS.: Ich gratuliere Ihnen zum Neuen Jahr 1998. Ich wünsche Ihnen gute Gesundheit


Dokumentationszentrum NS-Zwangsarbeit / Slg. Berliner Geschichtswerkstatt

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DZSW 1337
Kurzbeschreibung

Die 1922 geborene Tatjana M. A. stammt aus der Ukraine, wo sie im Mai 1942 festgenommen und im Güterzug nach Berlin zur Zwangsarbeit verschleppt wurde. Dort war sie im Werk der AEG tätig.

 

Herkunftsland: Ukraine

Geburtsjahr: 1922

 

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Angaben zur Zwangsarbeit
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