Abschrift:

xxxxx
Jhrg. 1919
xxxxx
Ukraine



Guten Tag, liebe Gisela Wenzel und allen Ihren Mitarbeitern und Freunden!

Ich habe Ihren Brief erhalten, für den ich Ihnen herzlich danke und auch für Ihre Arbeit. Meine Liebe, ich nehme Ihnen Ihr langes Schweigen nicht übel, machen Sie es so, wie sie es schaffen.
Liebe Gisela, Sie schreiben, dass Sie vielleicht nach Moskau kommen werden. Ich bitte Sie, dann zu mir zu kommen. Ihr Zug fährt durch Korosten, der Zug Moskau-Berlin, in Korosten hält er. Ich wohne drei Kilometer von der Station entfernt, man kann ein Taxi nehmen, und dann kommen sie zu mir. Ich wohne allein im Haus, es ist langweilig, ich habe keine Kinder, ich habe nur einen Rundfunkempfänger, mit dem ich die christlichen Sender höre, und ich freue mich und weine. Ich stärke mich durch Gott, ich hoffe, dass er mich nicht im Stich lässt. Ich bin jetzt Christin, ich habe mich 1988 bekehrt in meinem Herzen. Ich gehe jetzt in die evangelische Baptistenkirche. Jetzt hilft mir der Herr in allem und stärkt mich. Es tut mir leid, dass ich Gott nicht früher erkannt habe, als ich gesünder war, jetzt bin ich alt, habe viele Krankheiten. Im Januar werde ich 79 Jahre alt. Ich weiß nicht, wie Sie es betrachten, ob Sie an Gott glauben, dass es Gott gibt.

Der Herr sagte, liebet einander, wie ich Euch liebe. Liebe Gisela, ich liebe Sie, ich bitte, schicken Sie mir ein Foto von sich, schreiben Sie, wie alt Sie sind. Ich möchte Ihnen schreiben, dass uns, als wir nach Deutschland gebracht wurden, die Pässe abgenommen wurden und Fingerabdrücke genommen wurden für spezielle Karten. Vielleicht ist das alles irgendwo erhalten, wenn es nicht verlorengegangen ist. Sie schreiben über diese Jüdin, dass sie bei Spindler gearbeitet hatte. Außer unserem gab es kein Lager bei Spindler, und sie war bestimmt bei uns im Lager. Ich schicke Ihnen ihr Foto, sie sieht genau einer Jüdin ähnlich. Sie hieß Tosja, an den Familiennamen kann ich mich nicht erinnern. Sie war immer so traurig, arbeitete in der Fabrik, sie stopfte Gardinen.

Liebe Gisela, ich gratuliere Ihnen und allen Ihren Mitarbeitern zum Neuen Jahr 1998. Ich wünsche Ihnen Gesundheit, Glück, viele Jahre Leben, Erfolge in der Arbeit. Ich gratuliere zum hellen und fröhlichen Feiertag, Christi Geburt. Ruhm sei Gott und Friede auf Erden den Menschen und ein Wohlgefallen. Meine Liebe, ich schicke Ihnen mein Foto mit einer Freundin, das 1943 in Deutschland gemacht wurde. Ich habe eine gepunktete Bluse. Jetzt bin ich unschön, die Haare sind grau, Zähne habe ich nicht mehr und Falten im Gesicht. Die Jahre und das Unglück und die Krankheiten wirken sich aus.
Ich bitte, meine Liebe, entschuldigen Sie, dass ich so analphabetisch schreibe, ich sehe schlecht, die Hände zittern. Ich ging nur wenig in die Schule, ich habe im Kolchos Vieh gehütet. Aber ich hoffe, Sie können es lesen.

Damit ende ich. Ich küsse Sie alle, auf Wiedersehen, xxxxx.

13.12.1997
Aufschriften auf den Fotos: 23. 2 (?). Zum Andenken. Vera, ich schenke Ihnen dieses Foto, damit Sie sich von Zeit zu Zeit an Lusja (?) erinnern. .....

Zum Andenken für Gisela Wenzel von xxxxx. Das Foto wurde 1943 aufgenommen.
12.12.1997



Dokumentationszentrum NS-Zwangsarbeit / Slg. Berliner Geschichtswerkstatt

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DZSW 1329
Kurzbeschreibung

Vera I. L. wurde 1919 in der Ukraine geboren. Sie wurde zur Zwangsarbeit nach Deutschland gebracht, wo sie in der Wäscherei W. Spindler gearbeitet hat.

 

Herkunfsland: Ukraine

Geburtsjahr: 1919

 

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© Dokumentationszentrum NS-Zwangsarbeit / Slg. Berliner Geschichtswerkstatt

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