Abschrift: Xxxxx

Als Antwort auf das Schreiben von Frau Gisela Wenzel, die die Berliner Geschichtswerkstatt vertritt, sende ich Ihnen meine niedergeschriebenen Erinnerungen aus der Zeit des Aufenthaltes bei der Zwangsarbeit in Berlin in den Jahren 1942-1945.
Ich heiße xxxxx Ich wurde am 29. September 1923 in Łódź geboren, hier schloß ich auch die Grundschule ab. Ich wohnte zusammen mit meinen Eltern und Geschwistern in der Obywatelska-Straße 129. Als der Krieg 1939 ausbrach, war ich 16, und bereits im März 1942 wurde ich zur Zwangsarbeit nach Deutschland verschleppt. Zunächst wurden wir in Pappenberg in einer Gaststätte untergebracht, da die Baracken noch nicht vorbereitet waren. Erst als der Bau beendet wurde, wurden wir alle nach Hennigsdorf bei Berlin versetzt. Dort bekamen wir Passierscheine, die wir jedes Mal vorzeigen mussten, wenn wir am Wachhaus mit einem Werkschutzmann, der uns bewachte, vorbeigingen. Als Polinnen wurden wir mit dem „P“ gekennzeichnet. Das Abzeichen in Form eines Rhombus mussten wir an der Kleidung angenäht haben. Wenn der Gendarm (ich weiß noch seinen Namen: Müller) bemerkte, dass der Buchstabe fehlt, schlug er uns ins Gesicht. Ich erfuhr auch andere Beleidigungen: Deutsche Kinder, die uns von der Arbeit kommen sahen, schrien hinter uns her: „Polnische Schweine“.
In Hennigsdorf arbeitete ich in den AEG-Betrieben. Es waren Metallbetriebe. Ich bediente eine Maschine, die Schrauben herstellte. Die Produktion war für den Bedarf der Rüstungsindustrie. Die Arbeit erfolgte in zwei Schichten, und die Entlohnung war gering, so daß sie lediglich für die Bezahlung von der Verpflegung reichte. Die Kleider schickten uns die Eltern von Zuhause. Das Essen war schrecklich: zum Frühstück ein Viertel Brot, ein wenig Marmelade, Käse und Schwarzkaffee. Das musste auch für das Abendbrot reichen. Zu Mittag: Suppe aus Steckrüben oder Mohrrüben, vier Pellkartoffeln (und unter denen konnten z.B. zwei verfault sein, die man wegwerfen musste). Während der Freizeit trafen wir uns in der Kantine, um zu singen oder Gitarre zu spielen. Es war eine von den wenigen Unterhaltungen. Einmal im Monat gab es die heilige Messe für die Polen, und jeder, der wollte, konnte an ihr teilnehmen. Der Eintritt ins Kino war für uns verboten, und das nur deswegen, weil wir Polen waren. Oft (sowohl am Tag als auch in der Nacht) kamen die Luftangriffe, und man musste in die Bunker fliehen. Während eines Luftangriffs kamen fünf unserer Kolleginnen um. Wir waren bei ihrem Begräbnis, was auf dem beigefügten Foto festgehalten wurde. Ich übersende Ihnen auch ein paar Fotos, die während meines Aufenthaltes in Hennigsdorf aufgenommen wurden.
1944 nahmen die Luftalarme immer mehr zu. Die Flugzeuge warfen ununterbrochen, am Tage und in der Nacht Bomben auf die umliegenden Gebiete. Auch die AEG-Fabrik wurde bombardiert. Dann wurden wir zur Arbeit an den Eisenbahngleisen geschickt. Wir machten Ordnung auf dem Terrain, trugen und legten Eisenbahnschwellen, bis uns die Russen befreiten. Es war Ende April 1945.
Nach Polen kehrten wir durch die verbrannte Erde zurück, zu Fuß, bei Kälte und Hunger, weil es nichts zum Essen und auch keine Übernachtungsmöglichkeit gab. Berlin und seine Umgebung waren sehr zerstört: lauter Trümmer. Unterwegs trafen wir Kolonnen sowjetischer Soldaten, die zur Siegesparade am 9. Mai nach Berlin marschierten. Wir gingen zu Fuß bis Krzyże, wo die Züge bereitgestellt wurden, so daß wir schneller nach Hause, nach Łódź gelangen konnten.
Nun kurz von meinem weiteren Schicksal: Im Dezember 1945 heiratete ich Bolesław Bednarek. Er war ebenfalls zur Zwangsarbeit in Berlin, dort lernte ich ihn kennen. Mein Mann lebt nicht mehr, er starb am 29. Dezember 1988. Ich bin in Rente, lebe in Łódź in der Wohnsiedlung Retkinia in der Wyszyński-Straße 6 m. 33.





Ich schilderte hier in äußerster Kürze die Leidensjahre meiner Jugend. Es sind lediglich Bruchstücke von Erinnerungen, es sind doch 50 Jahre vergangen, aber mögen zumindest sie unvergessen bleiben.

Xxxxx

Beilagen:
I. Fotos
1. Ich im Jahre 1942,
2. Weihnachten 1943; ich bin die erste von links,
3. ich (links) mit meiner Kollegin während eines Spazierganges,
4. eine Jugendgruppe (ich bin in der Mitte, die dritte von links),
5. im Park in Hennigsdorf,
6. das Begräbnis unserer Kolleginnen, die während der Bombardierung umkamen (ich bin die vierte von rechts),
7. mein aktuelles Bild.
II. Die Kopie des Ausweises, den ich in Deutschland bekam


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    Dokument (Kopie): Betriebsausweis der ehemaligen polnischen Zwangsarbeiterin Aniela B., ausgestellt von der Allgemeinen Elektrizitäts-Gesellschaft (AEG)
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    1. Fotografie der ehemaligen polnischen Zwangsarbeiterin Aniela B.: Beerdigung ehemaliger polnischer Zwangsarbeiterinnen, vierte von re: Aniela B.; Beschriftung auf der Rückseite: "Begräbnis unserer Kolleginnen, die während der Bombardierung umkamen (ich bin die vierte von rechts)"; (Berlin, 1943)
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    2. Fotografie der ehemaligen polnischen Zwangsarbeiterin Aniela B.:
    Portrait auf einer Bank stehend im Park in Hennigsdorf; (Berlin-Henningsdorf, 1942)
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    3. Fotografie der ehemaligen polnischen Zwangsarbeiterin Aniela B.: Portrait
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    4. Fotografie der ehemaligen polnischen Zwangsarbeiterin Aniela B.: Zwangsarbeiterinnen zu Weihnachten 1943; erste von links ist Aniela B.
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    5. Fotografie der ehemaligen polnischen Zwangsarbeiterin Aniela B.: Gruppenbild mit Aniela B. (Mitte), zwei weiteren Frauen mit "P"-Abzeichen und drei jungen Männern; (Berlin, 1943)
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    6. Fotografie der ehemaligen polnischen Zwangsarbeiterin Aniela B.: Fotografie von Aniela Bednarek (links) und einer Kollegin mit "P"-Abzeichen bei einem Spaziergang
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    7. Fotografie der ehemaligen polnischen Zwangsarbeiterin Aniela B.: Gruppenbild auf Parkbank im Treptower Park; (Berlin, Treptower Park, 12.06.1943)
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    8. Fotografie der ehemaligen polnischen Zwangsarbeiterin Aniela B.: Passfotografie von Aniela B. ; (Berlin)
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DZSW 1459
Kurzbeschreibung

Schwere Bombardierungen im Jahr 1944 zerstörten die AEG - Fabrik in Berlin-Henningsdorf, in der Aniela B. seit zwei Jahren Zwangsarbeit leistete. Anschließend musste sie an Eisenbahngleisen arbeiten, bis die Befreiung durch die sowjetische Armee kam. In ihrem Brief hebt Aniela B. die Diskriminierung hervor, die sie als Polin mit dem Abzeichen „P“ ertragen musste.

Herkunftsland: Polen

Geburtsjahr: 1923

 

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Angaben zur Zwangsarbeit
Weitere Objekte

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1. Fotografie der ehemaligen polnischen Zwangsarbeiterin Aniela B.: Beerdigung ehemaliger polnischer Zwangsarbeiterinnen, vierte von re: Aniela B.; Beschriftung auf der Rückseite: "Begräbnis unserer Kolleginnen, die während der Bombardierung umkamen (ich bin die vierte von rechts)"; (Berlin, 1943)
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2. Fotografie der ehemaligen polnischen Zwangsarbeiterin Aniela B.:
Portrait auf einer Bank stehend im Park in Hennigsdorf; (Berlin-Henningsdorf, 1942)
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3. Fotografie der ehemaligen polnischen Zwangsarbeiterin Aniela B.: Portrait
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4. Fotografie der ehemaligen polnischen Zwangsarbeiterin Aniela B.: Zwangsarbeiterinnen zu Weihnachten 1943; erste von links ist Aniela B.
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5. Fotografie der ehemaligen polnischen Zwangsarbeiterin Aniela B.: Gruppenbild mit Aniela B. (Mitte), zwei weiteren Frauen mit "P"-Abzeichen und drei jungen Männern; (Berlin, 1943)
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7. Fotografie der ehemaligen polnischen Zwangsarbeiterin Aniela B.: Gruppenbild auf Parkbank im Treptower Park; (Berlin, Treptower Park, 12.06.1943)
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8. Fotografie der ehemaligen polnischen Zwangsarbeiterin Aniela B.: Passfotografie von Aniela B. ; (Berlin)
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