Abschrift:
Xxxxx
Ich wurde am 18.8.1922 in Chabielice Kreis Piotrków Trybunalski, Wojewodschaft Łódź geboren. Ich habe mittlere Ausbildung (mit Abitur Anm. d. Ü.). In Deutschland arbeitete ich zwangsweise vom März 1940 bis zum 5. Mai 1945. Als ich 17 Jahre alt war, begann ich meine erste Arbeit bei dem Gärtner xxxxx in Berlin-Buchholz, Gartenstraße 19. Ich arbeitete dort in einem Treibhaus. Es war März. Auf dem Feld gab es noch keine Arbeit, erst im April ging ich auf den Acker. Im Sommer arbeitete ich von 5 bis 20-22 Uhr, als Gemüse gepflanzt und Unkraut gejätet wurde. Viel Arbeit gab es auch, wenn der Chef Gemüse nach Berlin abliefern sollte. Meine Entlohnung betrug 5-10 Mark wöchentlich.
Was die Unterkunft betrifft, sie war annehmbar. Ein Zimmer und Küche für vier Personen. Auch über das Essen kann ich nicht klagen, es war gut. Unsere Lebensmittelkarten gaben wir ab und die Chefin mit ihrer Tochter kochten für uns. Xxxxx war eine sehr nette und menschliche Person. Ich würde sie gerne wiedersehen und mich mit ihr unterhalten. Ihre Eltern leben bestimmt nicht mehr, aber vielleicht lebt sie immer noch in Berlin.
Wir hatten auch medizinische Betreuung in dem Revier, zu dem auch unsere Arbeitgeber gehörten. Eines Tages, als ich krank wurde, übernahm die Chefin selbst mit ihrer Tochter die Betreuung. Sie brachten mir heißen Tee und ich bekam eine Pille, die mir sehr geholfen hat. Am nächsten Tag war ich wieder gesund.
Sonntags hatten wir Zeit, Briefe an die Familien zu schreiben oder spazieren zu gehen. Wir durften die katholische Kirche besuchen, da der Chef uns das nicht verbot. Einmal fragte er: Was gibt es in dieser Kirche? Eine von uns antwortete, dass wir dort den Glauben und die Kraft bekommen, den Krieg zu überleben. Meiner Meinung nach war es die richtige Antwort. Wir alle vier kehrten heim.
Im Winter hatte der Gärtner keine Arbeit für vier Personen, und man schickte uns auf den Gutshof Berlin-Buch. Dort arbeiteten wir im Winter von 7 bis 16-18 Uhr. Im Sommer von 6 bis 20 Uhr. Die Arbeit war sehr schwer. Es war Akkordarbeit: das Legen und Graben von Kartoffeln. Ich machte das zum ersten Mal, daher blieb ich ganz am Ende, wobei ich beim Kartoffelgraben Hügel und Gruben hinterließ. Andere Frauen lachten mich aus. Unser Chef hat aber Erbarmen mit der Kleinen (mir) und half mir, die anderen einzuholen.
Es gab große Körbe, in die man Kartoffeln schüttete. Dann wurden sie auf einen hohen Wagen ausgeschüttet, so dass ich auf den Zehenspitzen stehen musste, um das mit Mühe zu schaffen. Ich war zu klein für diese Arbeit. Kraft hatte ich auch nicht viel. Während der Kartoffelernte wurde ich an den Nieren krank. Ich ging zu einem Arzt, der mir sehr geholfen hat, obwohl ich eine Polin war. Für eine Woche wurde ich krankgeschrieben. Ich bekam ein Pflaster, das ich an die schmerzende Stelle aufkleben sollte. Die ganze Woche lang lag ich im Bett. Dann war ich wieder arbeitsfähig.
Ich beschloss, die Arbeit zu wechseln. Ich ging zum Arbeitsamt und bat um eine leichtere Arbeit. Sie wollten mich aber gar nicht hören und schickten mich zurück. Da ich es nicht wollte, holten sie die Polizei, die mich ins Gefängnis in Spandau für zwei Wochen abführte. Die Bedingungen dort waren wie eben in einem Gefängnis, furchtbar. In einer kleinen Zelle saßen sehr viele Frauen. Es gab keine Pritschen oder Betten, nur Matratzen, die man zum Schlafen auf dem Boden ausbreitete. Wir schliefen sehr eng aneinander. Tagsüber lagen sie gestapelt in einer Ecke. In einer anderen Ecke der Zelle gab es das Klosett für alle. Die Luft war unerträglich dick. Das Essen wie eben im Gefängnis: eine Brotscheibe, schwarzer ungesüßter Ersatzkaffee, zu Mittag eine Kelle irgendeiner Art Suppe. Ich überstand diese zwei Wochen. Aber als ich nach zwei Wochen immer noch darauf bestand, nicht auf den Gutshof zurückkehren zu wollen, zeigte mir der Gefängniswächter den Polizeiknüppel und sagte, ich bekomme 10 Knüppelschläge, wenn ich nicht zurückgehe. Ich wusste, was das hätte bedeuten können. Ich hätte Krüppel werden können. Ich war also zur Rückkehr gezwungen.
Nach zwei Jahren schwerer Arbeit auf dem Gutshof schickte man mich für den Winter in die Fabrik Siemens in Berlin Schöneberg. In der Fabrik arbeitete ich in drei Schichten. Unser Lager befand sich in Tempelhof, von wo wir mit der ganzen Schichtgruppe und niemals einzeln, mit der Straßenbahn zur Arbeit fuhren. Zu Anfang waren die Mittagessen in der Fabrik annehmbar. Aber von dem Moment an, wo die englischen und amerikanischen Luftangriffe auf Berlin zunahmen, verschlechterten sich die Bedingungen wesentlich. Für die ganze Woche bekamen wir einen Brotlaib, einen Löffel Marmelade und Margarine. Die Mittagessen waren noch schlimmer. Ich konnte sie nicht ertragen, und mein Magen schmerzte. Eines Tages kriegte ich einen Ausschlag am Gesicht, auch der Magen setzte mir zu. Der Leiter schickte mich zum Betriebsarzt, der mir Medikamente verordnete, die Besserung brachten. Am nächsten Tag verzichtete ich auf das Mittagessen, blieb lieber hungrig. Dann folgten die nächsten Hungertage. Die Luftangriffe kamen immer öfter, und es war sehr schwer, etwas zum Essen aufzutreiben. Überall herrschte Hunger. Das Antlitz Berlins änderte sich zunehmend. Von einer schönen großen Stadt wurde es nach den Luftangriffen zu einem Schutthaufen.
Für immer behalte ich in meiner Erinnerung den grauenvollen Luftangriff auf die Bezirke Tempelhof und Schöneberg, der von Mitternacht bis zu drei Uhr nachts andauerte. Ich sah nur Brand und Rauch, kein Himmel war zu erblicken. Es fielen Brand-, Spreng- und Phosphorbomben. Rund herum brannte alles, sogar der Rasen. Unser Lagerführer sagte: „Ihr Polinnen steht in Gottes Gunst.“ Denn nur unsere Baracke blieb unversehrt. Eine Bombe fiel durch das Dach in das Bett meiner Kollegin hinein, aber Gott sei Dank, es war ein Blindgänger. Zwei Wochen lang schlief sie auf einer Brandbombe und wusste nichts davon!
Nach diesem Luftangriff wurde die Fabrik Siemens zum Teil nach Zittau, an der tschechischen Grenze verlagert. Mich und andere Personen versetzte man zu einem anderen Stadtbezirk, in die Grüntaler Straße 63, wo sich auch eine Siemens-Fabrik befand. Dort arbeitete ich bis zum Kriegsende. Die Zeit der Befreiung war für mich das Schlimmste. Ich hatte kein Obdach, nichts zu essen, ich fürchtete mich, auf die Straße auszugehen, wo noch Schießereien andauerten und Unmengen von sowjetischen Soldaten waren.
Was die Kontakte mit der deutschen Bevölkerung anbelangt, ich persönlich habe keine neuen Bekanntschaften gemacht. Ich blieb in Kontakt nur mit der ersten Familie, bei der ich arbeitete, d.h. mit der xxxxx in Buchholz. Nach der Befreiung beschloss ich, sie zu besuchen. Als die Chefin hörte, ich habe kein Obdach und nichts zu essen, schlug sie mir gleich vor, zu ihnen zu ziehen. Ihre Tochter überließ mir ihr Zimmer. So war ich in Sicherheit und nicht mehr hungrig. Die Chefin war eine sehr gute Frau, wie auch ihre Tochter xxxxx Ich konnte mich mit der Familie leicht verständigen, weil der Chef Polnisch konnte. Ich half ihnen im Garten, Tomaten zu begießen, und im Haushalt. Alle waren zufrieden.
Eines Tages, es war wohl Juni oder Ende Mai, lud mich die russische Kommandantur vor. Der Kommandant sagte mir, ich muss heimkehren und am Aufbau Polens teilnehmen. Ich hatte vor, später zurückzukehren, wenn die Züge normaler fahren würden. Aber man sagte mir, sie fahren mich bis zur Grenze mit einem Auto, dann sollte ich mit dem Zug weiterfahren. Mein Rückweg nach Polen dauerte eine ganze Woche. Ich ging zu meiner Schwester, die in Falenica bei Warschau wohnte. Warschau war vollständig zerstört, niedergebrannt. Meine Mutter und meine Brüder wurden ebenso verfolgt. Nach einer langen Zeit traf ich meine ganze Familie wieder. Es war ein großer Augenblick voller Freude darüber, daß alle überlebt hatten und gesund sind. Es gab kein Ende beim Erzählen. Dabei flossen auch die Tränen.
Nach der Rückkehr begann ich auf dem Postamt zu arbeiten. Nach ein paar Jahren ging ich zur Arbeit in die Sparkasse in Łódź. Ich heiratete, xxxxx
Auf Ihre Bitte hin füge ich mein aktuelles Foto und andere Bilder (insgesamt 6 Stück) bei.
Xxxxx
Ich grüße herzlich Frau Wenzel.
Hochachtungsvoll
Xxxxx
Jozefa Irena L. kehrte am Kriegsende Schutz suchend zu ihren ersten Arbeitgebern zurück. Hier wurde sie sehr freundlich empfangen und durfte bleiben, bis sie von der sowjetischen Armee aufgefordert wurde, nach Polen zurückzukehren.
Herkunftsland: Polen
Geburtsjahr: 1922
© Dokumentationszentrum NS-Zwangsarbeit / Slg. Berliner Geschichtswerkstatt
© Dokumentationszentrum NS-Zwangsarbeit / Slg. Berliner Geschichtswerkstatt
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1. Fotografie der ehemaligen polnischen Zwangsarbeiterin Josefa K.: Fotografie eines Wohnhaus in Berlin-Buchholz, Gartenstr. 19; (Mai 1945)© Dokumentationszentrum NS-Zwangsarbeit / Slg. Berliner Geschichtswerkstatt
2. Fotografie der ehemaligen polnischen Zwangsarbeiterin Josefa K.: Gruppenbild der Familie Piiel; (Berlin, Mai 1945)© Dokumentationszentrum NS-Zwangsarbeit / Slg. Berliner Geschichtswerkstatt
3. Fotografie der ehemaligen polnischen Zwangsarbeiterin Josefa K.: Gruppenbild von Landarbeitern auf dem Feld; (Landgut Berlin-Buch, März 1943)© Dokumentationszentrum NS-Zwangsarbeit / Slg. Berliner Geschichtswerkstatt
4. Fotografie der ehemaligen polnischen Zwangsarbeiterin Josefa K.: Passfoto von Josefa K. im Alter von 19 Jahren; (1942)© Dokumentationszentrum NS-Zwangsarbeit / Slg. Berliner Geschichtswerkstatt