Abschrift: Antwort auf den Aufruf

Ich arbeitete in der Kammgarnspinnerei in Łódź in der Kątna-Straße 19/21. Am 18. November 1942, als ich bei der Arbeit ankam, sagte man mir, ich sollte nach Hause gehen, die persönlichen Sachen (Unterwäsche) zusammenpacken und zurück zum Betrieb kommen. Falls ich nicht zurückkehren sollte, würde mich die deutsche Polizei abholen. Als ich zurückkehrte, wurde ich noch am gleichen Tag in das Übergangslager in der Łąkowa-Straße geschickt. Dort verbrachte ich ein paar Tage.
Am 22. November wurden wir zur Station Łódź-Kaliska gebracht, in die Waggons geladen und nach Berlin gefahren. Am Ort befahl man uns, uns zu der Sammelstelle zu begeben, wohin ein Vertreter eines Rüstungsbetriebes kam. Von dem Transport suchte er 24 Polinnen aus (ich war eine von ihnen) und befahl, unsere Gruppe an die Adresse der Firma zu schicken: Hans Winhoff, Berlin-Neukölln, Siegra-Straße 21/31. Als wir da ankamen (es war ein geschlossenes Lager), wurden wir in den Fabrikbaracken untergebracht.
Der Kommandant des Lagers war der Lagerführer xxxxx. Wir wurden im Beruf Aluminiumschweißer geschult, u.a. vom Obermeister xxxxx, von xxxxx, xxxxx und Hase. Die Kühler für Flugzeuge mussten sehr genau geschweißt werden, da der SS-Mann xxxxx erklärte, wir werden ins Straflager geschickt, falls er nach der Kontrolle irgendwelche Mängel entdeckt. Und erst dann begann das Grauen. Wir arbeiteten 12 Stunden und bekamen kleine dürftige Essenzuteilungen. Zum Frühstück und Abendbrot bekamen wir 400 Gramm Brot und eine Margarine für acht Personen. Und zum Mittagessen gab es verschiedene Ersatzsuppen oder zerkochte Steckrüben. Manchmal retteten uns die Eltern, indem sie uns Pakete oder Lebensmittelkarten (Reisekarten) zuschickten. Für diese Karten konnten wir selber nichts kaufen, da der Eintritt zur Kantine für die Polen verboten war. Also baten wir die in der Fabrik arbeitenden Ausländer (Italiener, Holländer), die Rechte wie die Deutschen hatten. Und sie kauften für uns alles, was sie gegen diese Karten kaufen konnten und was uns zum Leben im Lager nötig war. Wollten wir in die Stadt ausgehen, so mussten wir den Lagerführer bitten, uns einen Passierschein auszustellen. Anders konnte man das Lager nicht verlassen.
Die Hygiene stellte ein zusätzliches Minus des Aufenthaltes dar. In den Baracken gab es kein Bad, sogar keinen Waschraum. Wir wuschen uns in kleinen dazu bestimmten Schüsseln. Alle drei Monate wurden wir ins Bad geführt und dann führte man die Entlausung durch. Während wir im Bad waren, wechselte man die Holzspäne in den Matratzen und führte eine Desinfektion durch, die das Ungeziefer ausrotten sollte. Aber nach ein paar Tagen spazierten die Wanzen und anderes Ungeziefer wieder an den Wänden. Wenn man 18 Jahre alt ist, fällt es schwer, solche Bedingungen hinzunehmen.
Mein Mädchenname ist xxxxx. Im Lager sprach uns niemand mit Namen an. Jede Person hatte ihre zugeteilte Lagernummer (meine war 5006), die auf dem Appell vor der Arbeit aufgerufen wurde. Alle Gebrauchsgegenstände, wie die Schüssel, der Topf oder das Besteck waren ebenfalls mit dieser Nummer gekennzeichnet.
Die Zeit von 1942 bis 1945 war furchtbar. Während der schrecklichen Luftangriffe nahmen wir eilig unsere Sachen und flüchteten in die Lutzschutzgräben. Wenn der Luftangriff am Tag erfolgte, mußten wir den verlorenen Arbeitstag in der Nacht nachholen. Die grauenvollsten Momente kamen am Ende des Krieges, als die Rote Armee im Ostteil Berlins einmarschierte. Man trieb uns aus den Baracken und befahl uns, zu Fuß nach Hause zu gehen.
Meine Geschichte ergänze ich mit zwei Lagerfotos:
1. ich bin die erste von rechts,
2. ich bin die vierte von rechts, gegenüber dem Lagerführer.
Damit schließe ich meine traurige Geschichte ab und bestätige sie mit der eigenhändigen Unterschrift.
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    Fotografie der ehemaligen polnischen Zwangsarbeiterin Henryka S.: Gruppenfoto mehrerer Frauen und zweier Männer

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DZSW 1482
Kurzbeschreibung

Henryka S. war zuerst in der Textilindustrie zwangsweise tätig, nach der Deportation nach Berlin stellte sie Flugzeugteile her. Nicht nur die Arbeit, auch die Unterkunfts- und Lebensbedingungen waren sehr schwierig für sie.

 

Herkunftsland: Polen

 

 

Angaben zur Zwangsarbeit
Weitere Objekte

© Dokumentationszentrum NS-Zwangsarbeit / Slg. Berliner Geschichtswerkstatt

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Fotografie der ehemaligen polnischen Zwangsarbeiterin Henryka S.: Gruppenfoto mehrerer Frauen und zweier Männer© Dokumentationszentrum NS-Zwangsarbeit / Slg. Berliner Geschichtswerkstatt