Abschrift: Xxxxx


Es ist 1939 die Sommerferien sind vorbei und ich sollte eine Lehre als Schneiderin anfangen. Aber am 01.09. – Krieg, es war sehr schwer und man musste etwas machen also habe ich häkeln gelernt. Das war damals sehr nützlich und modern.
Im Mai 1941 irgendwo in Marysin (ein Bezirk von Lodz in der Vorstadt) fand eine Razzia statt, dort habe ich gewohnt.
Sehr früh am Morgen, sind zwei Gendarmen in unser Haus eingedrungen. Alle haben noch geschlafen, meine Eltern, mein Bruder (er war damals 12), nur ich mußte mich anziehen und mitgehen in ein verlassenes Fabrikgebäude. Es waren dort schon viele junge Frauen und Mädchen und in der Mitte stand ein großer Deutscher (Mann) und wählte die Frauen nach Rassen aus. Von der ganzen Gruppe hat er nur zwei Frauen bzw. Mädchen ausgewählt. Es war meine Freundin, die blonde Haare hatte und ich mit Dunkelblond. Wir waren an die Spormastr. gefahren dort war ein Lager für Reinrassige (Reinblutig).

Meine Eltern haben fieberhaft nach mir gesucht, jemand hat ihnen erzählt, daß ich an die Spormastr. ausgeliefert wurde und dort haben sie einen gefunden. Es war nicht weit von meinem Wohnort.

Ich war 16, war schon 3 Wochen im Lager. Es war nicht so Schlimm wie in den anderen. Es war Ende Mai, wir haben Unkraut gejätet, ich hatte schon alle Gesundheitsuntersuchungen hinter mir und wusste schon, dass ich nach Deutschland zu einer Frau mit drei Kindern fahren sollte, aber dann ist etwas geschehen.
Meine blonde Freundin Kalinka, hat mich gefragt, ob ich in Lodz bleiben möchte, natürlich wollte ich das, aber wir?
Sie sagte: “Ich habe eine Idee, aber du darfst es niemanden sagen (Heute kann ich es schon erzählen) meine Tante ist Apothekerin, Sie gibt uns Augentropfen, die nicht schädlich sind, aber unsere Augen werden tot sein”. Die Deutschen hatten schreckliche Angst vor Körnerkrankheit.

Und tatsächlich, unsere roten Augen haben sie erschreckt, wir mussten uns anziehen und schnell zurück ins Lager. Gott sei Dank. Es ist alles gut gelaufen, ich war damals 16 und noch naiv, ich konnte nicht ahnen, was mich hätte treffen können, wenn Sie das erfahren hätten dass es nur eine Vortäuschung war. Als meine Augen “geheilt” waren, habe ich eine Arbeit als Haushaltshilfe bei einer deutschen Familie bekommen. Dort habe ich 2 Jahre gearbeitet. Es war sehr schwer, ich musste von morgens bis abends arbeiten, obwohl in meinem Vertrag 8-Stunden-Tag stand. In der Familie waren 5 Erwachsene. Ich konnte nur einmal die Woche nach Hause fahren. Sonntags ab 14 Uhr hatte ich frei. Am schlimmsten war es im Winter. Ehe ich zu Hause war, war es schon finster und bis 20 Uhr musste ich schon zurück sein, weil ab 20 Uhr fing die Polizeistunde an. Es waren für mich sehr schwierige Zeiten, ich habe sehr viel geweint und konnte die ganze Welt nicht verstehen.
Dann wurde ich krank und die Frau hat mich zum Arbeitsarzt abgeführt und von dort mit anderen Mädchen sind wir an die Kopernikastr. gegangen. Da waren wir ca. 2 Wochen. Nach dieser Zeit Abtransport nach Berlin – ich war damals 18 Jahre alt. Die Reise war nicht schlecht, ich bin die erste mal mit dem Zug gefahren, wir haben was zum Essen bekommen, alleine die Reise hat nicht lange gedauert, aber im Vorort Berlins haben wir angehalten, um eine Quarantäne durchzuführen.

Wir wurden gebadet, unsere Haare wurden überprüft, dann Allgemeinmediziner und am Ende Frauenarzt. Wir waren alle junge Mädchen und die Deutschen waren sehr vorsichtig. Dann wurden Fotos mit Datum und Nummern gemacht. Meine Nummer war 3333. BLN 14.5.43.

Wir haben in Berlin – Treptow – Park gewohnt.

Und jetzt beschreibe ich wie wir wurden an die Arbeit aufgenommen. Firma AEG letzter Stock, ein großer Raum und in der Mitte stand ein großer sehr langer Tisch mit Stühlen. Wir mussten uns hinsetzen und Hände auf den Tisch legen. Ein paar Männer haben über uns Notizen gemacht und uns genau angeschaut. Später habe ich erfahren dass sie bestimmt haben wer wo arbeiten wird.

Ich habe eine gute Arbeit, an einer an einer Maschine, wo ich ein ganz dünnen Draht auf kleine Rollen einwickeln musste.
Ich kann mich noch erinnern wie ich das erste Mal an der Maschine saß, und ein Pedal betätigte, es war zu doll und dieser Draht zerriß. Ich habe mich erschrocken, aber der Meister war nicht sauer, er hat nur mit mit Ruhe alles erklärt und ich habe schnell begriffen. Im ersten Monat habe ich ganz alleine gearbeitet. Ich hatte niemanden mit dem ich sprechen konnte. Mein Meister musste mich Bedauern, weil nach einem Monat hat er mir eine Polin zugeteilt, sonst waren es nur deutsche Frauen. Später haben sie mit uns deutsch gesprochen und so konnten wir Deutsch lernen. Die Frauen waren zu uns sehr gut und verständnisvoll. Ich erinnere mich: ich hatte nur zwei weiße Blusen und die musste ich jeden Tag waschen. Eine ältere Frau hat sich gewundert, dass ich immer so sauber angezogen war. Da ist sie mit mir zu einem Altkleider-Lager gegangen. Dort musste ich ein Zettel mit Stempel, den ich von unserm Meister bekommen habe, abgeben um dafür eine solide dunkle Bluse zu kriegen. Ich war sehr froh und dankbar.

Und unter uns: die Deutschen in Deutschland waren viel besser, als die Deutschen in Polen. Das ist nicht nur meine Meinung gewesen.

Unser Meister hieß Herr xxxxx, ich bin nicht mehr sicher, auf jeden Fall stand es so ähnlich auf dem Namensschild auf seinem Schreibtisch. Er war groß, sportlich, blond, im mittleren Alter. Da war noch eine ältere Frau, die jeden Tag Bestellungen von uns gesammelt hat – was sie aus der Kantine mitbringen sollte. Ich habe auch jeden Tag etwas bestellt. Zwei Salzkuchen und fünf Gramm Leberwurst – es hat sehr gut geschmeckt. Ich hätte zwei solchen Portionen essen können, aber dann hätte ich nichts zum Essen für den nächsten Tag. Und wenn ich es heute sehe, dass die jungen Frauen so wenig essen nur um schlank zu bleiben, ich kann es nicht begreifen.


Ich habe 8 Stunden am Tag gearbeitet von 6 Uhr bis 14 Uhr und ich war sehr froh darüber, ich betrachtete das als Befreiung. Ich beschreibe jetzt, wie wir in Treptow – Park gewohnt haben. Es war ein einstockiges Haus (vor dem Krieg könnte es ein Cafe gewesen sein), oben wohnte die Besitzerin mit der Tochter (der Mann war im Krieg) und wir unten. Es war sehr angenehm und sauber, jeder hatte ein eigenes Bett und wir hatten es nicht weit zur Arbeit.

Leider hat die Idylle nicht lange gedauert. Nach 3-4 Monaten, nachts, wurde bombardiert und unser Haus wurde zerstört. Alles verbrannte, aber wir hatten trotzdem Glück, dass keiner getötet wurde, nur meine Schuhe sind verbrannt und hatte nichts zur Arbeit anzuziehen. Eine Französin, die bei mir arbeitete, hat mir Pantoffeln gegeben. Ich freute mich sehr, aber ich konnte nicht in ihnen laufen, ich habe mir meine Knöchel verletzt, und meine Mutter hat mir neue Schuhe geschickt. Danach wohnten wir in Schöneweide, in Baracken, dort war es schon anders, wir waren mehrere. Das ganze Gebiet wurde umzäunt, Fremden war der Zutritt verboten, was sehr gut war. Wir mussten uns ausweisen. Wir waren 12 auf unserer Stube. Wir hatten eine große Küche und an den Wänden kleine Gaskocher. Wir bekamen Töpfe und konnten kochen.

Als ich von der Arbeit zurückkam, hatten wir schon Lebensmittelkarten. Daneben, in einem anderen Raum gab es Duschen, so daß man für die persönliche Hygiene sorgenkonnte, obwohl wir nur ganz wenig Seife hatten. Jede bekam zwei Decken, was für den Sommer ausreichte, aber im Winter war es kalt. Ich weiß nicht, wie es meine Freundinnen empfanden, aber ich ging hungrig schlafen und es war mir kalt im Winter, und wenn ich endlich einschlief, dann weckten mich die Flöhe auf, keine wurde so gepiekt wie ich, und schon gar nicht zu sprechen von den Luftschlägen, von denen ich noch 15 Jahre lang nach der Besatzung geträumt habe. Es gab noch eine Krankenstube in der anderen Baracke, aber ich habe sie nicht in Anspruch genommen.

Jetzt möchte ich beschreiben, wie ich meine freie Zeit verbracht hatte. Also verschieden, eigentlich durften wir uns nicht weit entfernen, aber wenn wir den Buchstaben “P” unter der Mantelklappe versteckten (der Buchstabe musste angenäht, nicht angesteckt werden), dann konnten wir Berlin besichtigen. Ich war in einem Museum, auf der -Unter den Linden- Straße. Wir waren auch im Kino, als junge Deutsche anfingen uns den Hof zu machen, sind wir dort nicht mehr hingegangen. Im Sommer gingen wir meistens ans Flussufer. In Treptow gab es einen Luna-Park, ich benutzte dort alle Geräte, inklusive der Bergbahn. Sie fuhr über den hohen Bäumen. Wir gingen auch zum speziell für Polen organisierten Tanz, in Grünau, wie ich mich erinnern kann. Wir schrieben Briefe nach Polen, besichtigten Friedhöfe, wo Polinnen, die während der Bombardements ihr Leben verloren hatten, begraben liegen. 1944 habe ich Urlaub bekommen. Es ging so, wenn jemand vom Urlaub nicht zurückgekommen ist, konnte die nächste nicht fahren, da gab es viel Gejammer. Ich durfte fahren und kam natürlich zurück. Das Leben in Berlin im Jahre 1943 war tagsüber normal, es gab Luftanschläge, aber noch nicht so häufig.

Sehr oft wurden die von Bomben zerstörten Stellen sofort umzäunt und repariert, nur gegen Ende des Krieges war es nicht mehr möglich. Ich kann mich erinnern, wenn ich nachts zum Schutzbunker lief, hörte ich Kinder weinen, die mit ihren Müttern auf dem Weg zum Bunker waren. Der Krieg war furchtbar für alle. 1944 sollten in unsere Baracke russische Frauen kommen, wir sollten nach oben umziehen, und sie sollten unsere Stellen in Parterre annehmen. In unserer Stube oben gab es ein kaputtes Fenster, so haben zwei Mädels dieses herausgenommen und nach unten gebracht und dafür eine ganze Scheibe bei uns eingesetzt. Eine Zeit lang ging es gut, aber dann hat unser Lagerführer davon erfahren, und fragte wer es gemacht hatte. Wir antworteten solidarisch, dass wir es alle gemacht hatten (wir waren 12 auf der Stube), aber er glaubte uns nicht. Wenn alle, sagte er, dann müssten alle in den dunklen Raum eingesperrt werden. Es gab nämlich eine Stube unten mit verschlossenen Fensterläden für die “Nicht” artigen. Ich kann mich nicht erinnern, ob dort jemals jemand gesessen hat. Dort saßen wir die ganze Nacht und den ganzen Tag, nur mit einem Stück trockenen Brot und Wasser. Zuerst erzählte jede etwas, aber nach einer Zeit ging uns das Thema aus und es war uns langweilig. Eine ältere Frau, die mit uns saß, sagte, dass wir zugeben müssen wer es war und darauf taten es die zwei Mädchen. Sie mussten noch eine Nacht sitzen. Es war für uns eine Lehre, dass wir nicht lügen durften. Aber einmal ist es noch passiert. In unseren Baracken kamen russische Frauen, die sehr arm waren. Anstatt Röcke trugen sie Säcke mit einer Schnur befestigt. Die Beine hatten sie mit Lappen umwickelt, sie hatten keine Schuhe, trugen Kopftücher Sommer wie Winter. Wir waren auch arm, aber nicht so, unser Leben war anders, ganz anders.
Ich kann mich erinnern, als die Lagerführerin einmal Suppe mit unserer Hilfe gekocht hatte, da hätte sie kein Hund gegessen (und ich spreche nicht von jetzigen Hunden). Das erste Mal im Leben habe ich wirklich begriffen, was Hunger bedeutet. Ich hatte auch sehr oft Hunger, aber so ein Kleister, hätte ich nie gegessen. In einem großen Kessel hat uns die Lagerführerin befohlen, Wasser voll zugießen. Es hat lange gedauert bis es gekocht hatte. Als es endlich kochte, hat sie etwas wie ein dunkles Mehl hineingeschüttet bis ein dunkler Kleister entstanden ist. Die russischen Frauen umstellten den Kessel und haben das heiße Zeug gegessen. Ich konnte nicht mal zu gucken und ich lief weg. Sie waren sehr hungrig. Im Mai 1944 lernte ich einen Jungen kennen, der fast 50 Jahre lang mein Mann war (es fehlten uns 5 Monate bis zum Jubiläum).

Im März 1945 hat man unsere Fabrik zerbombt und uns hat man in Schützengräben umgesiedelt, ich kann mich nicht mehr erinnern in welche Ortschaft. Es war ein Dorf und wir wohnten in Scheunen, es war furchtbar kalt, nichts zu Essen, Schnee auf den Feldern und wir mussten Gräben graben, bewacht von mit Gewehren bewaffneten Deutschen. Zum Glück näherte sich die Front. Eines Tages hat man uns aus diesem Dorf auf ein Bahnhof abtransportiert und in einen Güterzug gesetzt. Wir fuhren die ganze Nacht, hielten nur während der Bombardements an. Früh am Morgen hielt der Zug an, wir schafften es noch nicht einmal auszusteigen, als die Flugzeuge ankamen und bombardierten. Ich kann es nicht mal beschreiben was passierte, wir liefen in alle Richtungen weg, sind in irgend ein Haus reingerannt, dort waren deutsche Soldaten, die Stabspläne auf dem Tisch liegen hatten. In diesem Moment als wir reingeplatzt sind, schlug eine Bombe auf diese Stelle ein, wo wir ein paar Sekunden zuvor waren, so dass der Putz von den Wänden zerbröselte, und das hinter dem Fenster stehende Pferd tot war. Wir fingen an zu weinen, ich war wie betäubt und hatte nichts gehört. Die deutschen Soldaten geben uns was zu essen, es war ein Wunder, daß wir nicht umkamen. Danach gingen wir soweit wie möglich von den Gleisen entfernt und sahen alle paar Schritte getötete Russinnen liegen. Sie fuhren auch mit demselben Zug wie wir. Nirgendwo sah man lebendige Menschen (die Stadt war evakuiert worden). Die ganze Stadt Prenzlau stand in Flammen, die deutsche Front war dicht neben uns. Ich weiß nicht wieviel Stunden vergangen sind, als wir zu viert gegen Abend gingen und Hufschläge auf dem Asphalt hörten. Wir kamen am Tor an und sahen russische Patriotinnen. Wir gingen weiter bis zur Stadtgrenze und da fing das Feuer auch an. Wir sind in ein Einfamilienhaus reingegangen, wo keiner da war. Es kam die Nacht und der Krach ging erbarmungslos weiter, unterbrochen nur durch kurze Pausen, so dass wir Zeit hatten zu beten. Es war ein Inferno. Die Deutschen waren weg und die russische Front näherte sich. Ich kann mich erinnern, dass wir früh morgens, als es noch dunkel war, mit leiser Stimme beteten, aber die Russen schossen. Wir wussten, dass es Russen waren, weil wir ein paar Bruchstücke der russischen Sprache hörten. Mit uns zusammen war eine Jüdin, Irka (damals wussten wir noch nicht, daß sie Jüdin war), die in der Feuerpause kurz vor die Tür ging, und auf Russisch schrie: “Nicht schießen, weil hier Polinnen sind”. Als sie das hörten, da kann ich mich noch erinnern, schrien sie “Hurra” und kamen zu uns rein. Sie waren etwas betrunken, aber sie freuten sich, und wir auch. Sie fragten uns, wo die Deutschen seien, und wir sagten, dass man die ganze Stadt evakuiert hatte. Wie gut, dass Irka sie gerufen hat, weil sie wahrscheinlich geplant haben, dieses Haus zu zerstören. Gleich danach kam die russische Führung und breitete ihre Stabspläne auf dem Tisch aus; sie schossen nicht mehr, und wir sagten uns, “noch gestern deutsche Pläne, heute schon russische”. Jetzt hatten wir keine Angst mehr vor den Kugeln, die Front war vorbei, nur von der anderen Seite waren wir noch bedroht, von welcher, ist nicht schwer zu denken. Die einfachen Soldaten bewachten die Türen und die älteren mit höherem Rang amüsierten sich und waren glücklich. Die Jüdin Irka hat uns sehr oft gerettet, sie sagte uns, daß sie eine Jüdin sei erst als die Russen kamen, und davor arbeitete sie mit uns in der AEG. Sie war älter als wir, und schlau, das muss man zugeben. Da sie Russisch konnte, hatte sie manchmal sogar damit gedroht, zu dem Stadtkommandanten zu gehen, um zu fragen, ob dieses oder jenes erlaubt war. Dieses hat meistens gewirkt, obwohl man auf uns öfter mit Gewehren gezielt hatte, in den Rücken oder in die Stirn. Ich habe keine Angst das zu schreiben, weil meine Freundin, mit der ich zurückkehrte, und die auch noch am Leben ist, das gleiche erlebte. Man hat sie sogar mit dem Kolben am Kopf geschlagen und bis heute hat sie damit Schwierigkeiten. Sie hört nicht mit diesem Ohr, sie wurde auch operiert und man hat ihr einen Knochen eingesetzt. Wir gingen also zu viert in der Stadt Prenzlau. Ich kann mich erinnern, als ein russischer Offizier kam und uns befahl, in ein Krankenhaus reinzugehen.

Wir sind reingegangen und er sagte uns, dass zwei von uns Kartoffeln schälen und zwei die Säle sauber machen sollten, auch den Operationssaal, weil man gleich Verletzte von der Front mitbringen wollte. In einem Saal, kann ich mich erinnern, als wenn ich es noch vor Augen hätte, saß auf dem Stuhl eine junge hübsche Frau, mit einer Hand den Kopf stützend und ein Bein auf das andere haltend. Sie war wie der liebe Gott sie schuf und sah aus wie eine Statue – sie lebte nicht. Als wir mit dem Aufräumen fertig waren, hat man gerade die Verletzten von der Front zurückgebracht. Wenn ich mich daran erinnere, dann wird mir noch heute schlecht. Es waren zwei große Lastwagen mit einer Plandecke zugedeckt und in der Mitte lag einer auf dem anderem, hoch und bis zum Rand. Das Blut floss aus dem Wagen, man hörte Stöhnen, dass man es nicht mal beschreiben kann, und es gab keinen, um wenigstens diese von oben zu retten, weil diejenigen, die ganz unten lagen, längst erstickt waren. Wir konnten keinen finden, obwohl wie überall suchten. Endlich fanden wie eine junge Russin, die Decken für die Verletzten vorbereitete. Wir sagten ihr, dass da so viele Verletzte waren, denen man schnell helfen sollte und sie antwortete: “Gut, gut”. Dann sagte sie noch etwas auf Russisch, aber sie hatte es sich nicht ins Herz genommen. Bis heute, wenn ich noch daran denke, sehe ich ihre Arme voll mit Uhren behangen, bis zu den Achseln. Dann kamen die Ärzte und Pfleger und wir gingen weiter.
Die Wiederkehr

Jetzt bereiten wir uns auf das Zuhause vor, was für eine Freude, wir lebten. Wir betraten irgendein deutsches Haus, überall alles leer. Wir wuschen uns, zogen uns an und begaben uns selbstverständlich zu Fuß nach Hause. Nach einer Weile habe ich ein altes Fahrrad ohne Schläuche gefunden. Ich band meine Koffer daran und setzte mich hin. Das Rad fuhr. Ein russischer Soldat, der es sah, und der auch ein Fahrrad hatte, aber ein gutes, nur er konnte sich nicht auf ihm halten, weil er ganz einfach nicht fahren konnte, kam zu mir und sagte, ich sollte mit ihm tauschen. Ich sagte nichts, band meine Koffer los und gab ihm mein Fahrrad. Ich setzte ich mich schnell auf sein Fahrrad, damit er es sich nicht anders überlegen konnte, weil er auf meinem Fahrrad noch öfter umkippte. Leider fuhr ich nicht weit, einem anderen Russen gefiel mein Rad so, dass ich es abgeben musste (gut, dass er nur an meinem Fahrrad Gefallen hatte). Wir gingen weiter, wurden aber sehr oft von den Russen belästigt. Die Jüdin Irka sagte, “Mädels, macht euch an irgendwelche Polen rann, damit es sicherer wird”. Wir trafen auch Polen, aber sie wollten nicht mit uns gehen. Einer sagte, dass vor kurzen ein Pole sogar erschossen wurde, weil er sein Mädchen nicht freigeben wollte, obwohl er sagte, dass sie seine Frau war. Wir gingen weiter alleine, nur der Hunger begleitete uns. Ich weiß nicht, wie lange wie schon gegangen sind und nachts irgendwo übernachtet haben, bis wir an die Oder kamen. Aber wie sollten wir rüber? Wir gingen am Ufer der Oder, bis wir eine Hüte sahen, davor einen russischen Soldat, der uns befahl die Koffer zu lassen und auf die andere Seite der Hüte zu gehen, aber die Jüdin Irka merkte etwas und sprach zu ihm auf Russisch, dass wir weiter gehen müssen, weil wir unsere Freundinnen treffen müssen. Der Russe erlaubte uns weiterzugehen. Danach haben wir erfahren, dass man Polen alles abnahm. Wir gingen weiter am Ufer der Oder. Wir sahen eine Pontonbrücke, durften jedoch nicht passieren, weil sie nur für Militärfahrzeuge war. Die schlaue Jüdin Irka sagte, “ wir legen uns auf die Erde, und wenn ein Auto kommt, dann stehen zwei von uns auf und winken”. Es war so. Wir lagen eine Weile, bis ein Militärwagen kam. Zwei von uns standen auf und winkten, und dann sprangen wir alle vier herein. So kamen wir über die Oder. Jetzt waren wir schon fast zu Hause. Wir bedankten uns und gingen weiter, aber ohne besondere Abenteuer, es war sicherer. Es begleiteten uns Polen aus Warschau, die dafür sorgten, dass wir kein Hunger mehr hatten. Ich kann mich erinnern, dass wir zu der Stadt Gniesno ankamen, wo viele Züge aller Art standen, die für die aus Deutschland wiederkehrenden Polen bestimmt waren. So kamen wir glücklich in Lodz an.
Ich bin jetzt 73 Jahre alt, schlank und ziemlich groß.
Xxxxx
Kann sein, dass ich zu viel erzählt habe, aber ich bin von Natur aus genau und ich wollte, dass diese Erinnerungen auch so genau beschrieben werden. Ich weiß nicht, ob meine Beschreibung nützlich sein wird, auf jeden Fall, schrieb ich das, was ich erlebte und sah. Ich hatte sowieso mehr Glück, als diejenigen Polen, die über die östliche Grenze verbracht wurden.

Hochachtungsvoll

Xxxxx

P. S.
Für meine Fehler bitte ich um Entschuldigung

Diesen Bericht hatte ich schon vor einem halben Jahr fertig gehabt, hatte jedoch keinen Mut ihn abzuschicken, weil ich dachte, wenn sie Entschädigungen zahlen, dann bekomme ich keine wegen meiner Sünden.

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    Fotografie der ehemaligen polnischen Zwangsarbeiterin Irena K.: Fotografie von Irena K. vor einem Denkmal; (Berlin, 27.10.1943)

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DZSW 8412
Kurzbeschreibung

1941 wurde Irena K. während einer Hausrazzia festgenommen. Um eine Ausfuhr nach Deutschland zu vermeiden versuchte sie, die Körnerkrankheit zu simulieren. Trotzdem entkam sie der Zwangsarbeit nicht und musste als Haushaltshilfe arbeiten. Nach zwei Jahren kam sie nach Berlin, wo sie für die AEG tätig war.

 

Herkunftsland: Polen

Geburtsjahr:

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Fotografie der ehemaligen polnischen Zwangsarbeiterin Irena K.: Fotografie von Irena K. vor einem Denkmal; (Berlin, 27.10.1943)© Dokumentationszentrum NS-Zwangsarbeit / Slg. Berliner Geschichtswerkstatt