Abschrift: Xxxxx

Lubin, den 29.6.1998

Sehr geehrte Frau Gisela,

Da ich Ihre Adresse von meiner Cousine bekam, erlaube ich mir, mich an Sie mit einer großen Bitte zu wenden. Schon seit ein paar Jahren bemühe ich mich erfolglos, irgendeine Spur von meinem Aufenthalt in Deutschland in den Jahren 1943-1945 zu finden. Ich schrieb nach Arolsen, an Herrn Helmut Kohl und an das Ministerium für Inneres in Bonn. Das Sekretariat von Herrn Kohl leitete mein Schreiben an das Ministerium weiter, das Ministerium schickte es nach Arolsen. Und so endete mein Briefwechsel. Ich schrieb noch eine Beschwerde an Herrn Kohl, aber die Sache nahm den gleichen Lauf. Nun will ich noch einen Versuch unternehmen.
Im August 1943 wurde ich aus Wilna (heute Litauen) über Allenstein (heute Olsztyn) verschleppt und nach Berlin gebracht. Dann transportierte man mich nach Teltow bei Berlin ab. Dort wurde ich in der Deutschen Reichspostfabrik beschäftigt. Leider, weiß ich die Straße nicht mehr. Anfangs wurde ich dort als Elektriker beschäftigt, dann als Platzarbeiter(im Original auf Deutsch - Anm. d. Ü.). Ich wurde auch als Dolmetscher unserer Gruppe tätig. Wir beschäftigten uns dort mit dem Transport von Materialien, mit dem Bau eines Luftschutzraumes auf dem Fabrikplatz und dem Bau der Gleisanlagen auf dem Fabrikgelände. Untergebracht wurden wir anfänglich im Keller der Fabrik (Männer). Die Frauen schliefen in einer Baracke. Als die Frauen in ein großes Lager in dieser Stadt versetzt wurden, verlegte man uns in diese Baracke. Die Mittagessen aßen wir in der Betriebskantine, meistens Eintopf (im Original auf Deutsch; Anm. d. Ü.). Es war eine dickflüssige Suppe, die aus Kartoffeln, Steckrüben und einem Gänsefuß bestand. An weitere Zutaten erinnere ich mich nicht. Wir bekamen Lebensmittelkarten, auf denen das Weißbrot ausgestrichen war. Ich bekam sogar den Bezugsschein (im Original auf Deutsch - Anm. d. Ü.) für Schuhe, die leider nicht besonders solide waren. Ich bekam auch Pakete von Zuhause, meistens mit Tabak und Speck. Das waren die Waren, die man zum Tausch brauchte, die aber auch für die Regelung anderer Sachen nützlich waren.
1944 (den Monat weiß ich nicht mehr) wurde ich zusammen mit einer Gruppe von Deutschen, Holländern und Polen nach Rielasingen bei Singen gebracht, in das deutsch-schweizerische Grenzgebiet. Dort wohnten wir in einem großen Saal, im ersten Stock eines Gasthauses (im Original auf Deutsch - Anm. d. Ü). Von dort wurde ich, nach einem Besuch von der Gestapo, zusammen mit zwei Kollegen nach Volkertshausen gebracht. Dort arbeitete ich als Hilfsarbeiter des Zimmermanns beim Umbau einer Scheune, aus der ein Wohnhaus für den Hauptingenieur und andere Angestellte des Betriebs werden sollte, der seinen Sitz in Aachen hatte. In diesem Betrieb wurden irgendwelche Anlagen für die Bomben V-1 und V-2 produziert. Wir bekamen dort Lohn und ich verdiente 200 Mark im Monat. In Volkertshausen wohnte ich in der Nähe von einer Fabrik, in der Gewehre und Maschinenpistolen produziert wurden. Im April 1945 stellte man eine große Gruppe von Ausländern zusammen und transportierte uns zu der schweizerischen Grenze ab. In dieser Region hingen an den Rüstungsbetrieben schweizerische Fahnen, und in Singen standen bereits französische Truppen. Auch mein Meister wurde zu Arbeiten bei Befestigungen der Siegfried-Linie eingesetzt, es war der Meister aus Berlin, xxxxx. Er redete mir zu, ich sollte nicht mit dieser Gruppe gehen, sondern am Ort bleiben. Für April 1945 bekam ich keine Entlohnung mehr, obgleich es schon die letzten Apriltage waren.
xxxxx, geb. am 3.8.1924 in Łódź, wohnhaft bis 1943 in Wilna.
Hochachtungsvoll
Xxxxx

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DZSW 1512
Kurzbeschreibung

Edward D. war zunächst für die Deutsche Reichspost als Elektriker und am Bau tätig. Nach der Versetzung nach Volkertshausen war er Gehilfe eines Zimmermanns, der für den Bau von einem größeren Wohnhaus und von Anlagen, in denen V-1 und V-2 Bomben hergestellt wurden, zuständig war.

 

Herkunftsland: Polen

Geburtsjahr: 1924

Angaben zur Zwangsarbeit

© Dokumentationszentrum NS-Zwangsarbeit / Slg. Berliner Geschichtswerkstatt

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