Abschrift: Xxxxx

Im Büro des Verbandes der vom 3. Reich Geschädigten Polen las ich Ihren Aufruf. Nun möchte ich Ihnen über meine Erlebnisse schreiben.

Ich, xxxxx wurde am 4.9.1924 in Łódź geboren. Dort blieb ich bis zum Zeitpunkt der Verschleppung nach Deutschland zur Zwangsarbeit. 1940, als ich 16 Jahre alt war, zwang man mich zur Arbeit in der Textilfabrik in Łódź. Dort wurde ich als Arbeiterin bis zum 17. November 1942 beschäftigt. An diesem Tag wurde ich bei der Arbeit festgenommen und zu einer Sammelstelle gebracht, wo man einen Transport zusammenstellte. Zwei Wochen lang saß ich in Łódź in der Kopernik-Straße. Zweimal wurden wir ins Bad geführt. Als der Transport vollständig war, wurden wir in Zügen in verschiedene Richtungen weggebracht. Ich und ein paar Mädchen aus Łódź landeten in Berlin-Zehlendorf, in der Fabrik von Telefunken. Die Adresse: Großlager Berlin-Zehlendorf, 4 Ring Goenallee. Dort blieb ich bis zum Kriegsende, d.h. bis April 1945. Nach Łódź kehrte ich am 6. Mai 1945 zurück. Mit einer Gruppe von Mädchen brachen wir am 29.4.1945, nach dem Einmarsch der sowjetischen Truppen, nach Hause auf. Wir gingen zu Fuß zwei Wochen lang.

Selbstverständlich mussten wir irgendwo übernachten: bei einem Bauern in der Scheune oder in einem verlassenen Haus, da man in der Nacht nicht weitergehen durfte. Rundherum tobte noch die Front. Wir gingen Richtung Frankfurt an der Oder. Manchmal hielten wir uns irgendwo zwei Tage lang auf, da die Front in der Nähe war, und den Zivilisten war es nicht erlaubt, sich frei zu bewegen. Auf diese Weise gelangten wir in der Stadt Rzepin an, von wo der erst Zug nach Poznań ging, und dann weiter, nach Łódź. Dieser Rückweg war schrecklich. Ständig waren wir unter Beschuss, die Front bewegte sich auf Berlin zu, und wir gingen in die umgekehrte Richtung. Und unterwegs sahen wir unzählige Leichen, Brandstätten. Ein furchtbarer Anblick.

Nun möchte ich kurz von meinem Aufenthalt im oben erwähnten Lager schreiben. Wir wurden in Lagerbaracken untergebracht. Unsere Baracke war aus Holz, mit Kanalisation, in einem der Räume gab es Waschbecken und die Toilette. Wir wohnten zu sechzehnt in der Stube, in der jeweils acht Etagenbetten standen. Jede bekam zwei Decken und einen Strohsack, den man mit Sägespänen (mit der sogenannten „Holzwolle“) ausstopfen musste. Jedes von den Mädchen bekam die Arbeit zugeteilt. Viele wurden in die Fabrik von Telefunken geschickt, die sich in der Nähe von den Baracken befand. Dort arbeiteten sie von 7 bis 17 Uhr. Ich landete bei der Hofkolonne, die Ordnung auf dem Lagergelände machen sollte. Außer unserer Baracke gab es dort noch zwei andere. In einer wohnten französische, in der anderen italienische Kriegsgefangene. Jede Baracke war mit Draht umzäunt. Das ganze Gelände ebenso. Es gab dort noch eine Baracke, wo sich die Küche und Lebensmittellager befanden und wo die Deutschen angestellt waren.

Zu unserer Arbeit gehörte, verschiedene Produkte, wie Kartoffeln oder Steckrüben, in die Küche zu bringen. In der Winterzeit warf man Kartoffeln, Kohl und Steckrüben direkt aus den Waggons auf einen Haufen. Alles lag auf dem Lagergelände, das sehr groß war. Wir machten auch in den Büros Ordnung und hielten das ganze Gelände sauber. Nach Bombardierungen wurden wir manchmal zu dritt zum Hause eines der hohen Funktionäre geschickt, um dort zu putzen. Unsere Gruppe bestand aus 12 Mädchen. Wir hatten einen Leiterwagen zur Verfügung, nur ohne Pferd. Manchmal, wenn größere Mengen Ware zu transportieren waren, luden wir alles auf den Wagen und fuhren es hin. Zwei spannten sich vorne an, zwei gingen auf beiden Seiten und zwei schoben ihn von hinten. Oft fuhren wir so durch die Straßen Berlins.

Was die Berliner betrifft, gab es verschiedene Haltungen. Manche bemitleideten uns, andere spuckten uns an und schimpften. Der Chef von unserer Gruppe war ein älterer Herr namens xxxxx Er war behindert, hatte seine rechte Hand verloren. Es war ein guter Mensch. Manchmal, wenn es draußen besonders kalt war, regnete oder schneite, durften wir uns sogar bei ihm im Büro verstecken,, damit wir nicht in der Kälte draußen stehen mussten. Er selber passte auf, ob der Lagerführer nicht kommt. Der Lagerführer war sein Vorgesetzter. Er war ein Militär von der Wehrmacht, Invalide nach dem Krieg, jung, etwa 45 Jahre alt, namens xxxxx Er war nicht schlecht. Aber über allen stand der Oberführer in der Gestapo-Uniform. Seinen Namen weiß ich nicht mehr, aber alle hatten Angst vor ihm.

Nach der Arbeit gab es bis 20 Uhr Freizeit. Man konnte die Baracke verlassen, aber um 20 Uhr wurde kontrolliert, ob alle da sind. Der Lagerführer ging mit einem Wachmann durch die Stuben und prüfte, ob alle anwesend sind. Fehlte jemand, so konnte die ganze Baracke zur Strafe das Lager nicht verlassen. Wie ich schon erwähnte, waren alle Baracken einzeln umzäunt, wie auch das ganze Gelände. Am Haupteingang stand ein Wachmann. Wenn jemand das Lager verlassen wollte, musste er den Buchstaben „P“ fest angenäht haben. Und der Wachmann prüfte es nach.

Was die Entlohnung betrifft: Wenn ich mich richtig erinnere, bekamen wir jeden Monat ein paar Mark für Briefpapier, Briefmarken, Hygienemittel. Das waren keine großen Summen, aber immerhin etwas. Kontakte mit den Familien in Polen konnten wir brieflich halten. Von Zeit zu Zeit durften wir Pakete von der Familie mit Lebensmitteln oder Kleidern bekommen.

Das Essen wurde von der Küche nach der Arbeit ausgegeben. Meistens Kartoffeln mit Steckrüben. Abendbrot und Frühstück machten wir uns selber. Einmal in der Woche bekamen wir trockenen Proviant, d.h. Brot, Marmelade, ein wenig Zucker und meistens Schmelzkäse. Für Franzosen, Italiener und für uns Polinnen gab es drei gesonderte Küchen. Franzosen bekamen viel besseres Essen, besser als wir oder die Italiener. Überhaupt wurden Franzosen viel besser behandelt.

Die medizinische Versorgung sah so aus, dass einmal in der Woche eine Krankenschwester, eine ältere Dame, zu uns kam. Sie hieß xxxxx, konnte ein wenig Polnisch und beriet uns bei gesundheitlichen Problemen. In ernsthafteren Fällen brachte sie die Kranke ins Krankenhaus.

Das religiöse Leben bestand darin, dass an jedem ersten Sonntag des Monats in der Kirche im Stadtbezirk Treptow die heilige Messe auf Polnisch gehalten wurde. Die Kirche war nicht weit von uns entfernt. Man ging über die Brücke über den Kanal. Wir gingen dahin mit der ganzen Gruppe, vorausgesetzt, es gab keine Strafe.

Die Bombardierungen Berlins begannen 1943. Unsere Baracken brannten zweimal. Während des Luftangriffs mussten wir die Baracke verlassen und zwangsweise in den Luftschutzraum in der Fabrik gehen. Die Deutschen gingen dagegen in die besonderen Luftschutzräume, dorthin gingen für die ganze Nacht auch Frauen mit Kleinkindern. Wenn es uns gelang, versteckten wir uns in den Luftschutzräumen am Rande der Straße. Dort war es sicherer. Von den Flugzeugen wurden Flugblätter abgeworfen, in denen auf Polnisch stand, wir sollten große Objekte möglichst meiden und in kleinen Bunkern Versteck suchen, weil die größeren Objekte bombardiert werden sollten. Es kam vor, dass man während einer Nacht etliche Male in den Luftschutzraum flüchtete. Als unsere Baracken niederbrannten, baute man nach ein paar Tagen neue auf.

Wir hatten keine besonderen Kontakte zu der deutschen Bevölkerung, nur bei der Arbeit. Es waren Zivilisten, die Lagerverwalterin, die Chefin der Küche. Es gab noch einen Herrn namens xxxxx, der für die Versorgung verantwortlich war. Oft schickte er mich zu sich nach Hause, wo ich etwas erledigen sollte. Er hatte zwei ältere Schwestern, die zu mir immer freundlich waren. Sie befragten mich über meine Familie, manchmal boten sie mir etwas an oder gaben etwas zum Mitnehmen, was ich mit den Kolleginnen teilen konnte. So wie ich schrieb: Es gab Menschen und Menschen, wie überall. Gegen Ende des Krieges war Berlin sehr zerstört, die deutsche Bevölkerung verließ ihre Häuser und flüchtete vor der Front. Das war ein sehr bedrückender Anblick.

Nach dem Krieg, als ich nach Łódź zurückkehrte, musste ich das Gymnasium absolvieren. 1946 heiratete ich, und da mein Mann Berufsoffizier war, wurde er nach Szczecin versetzt. Und so bin ich hier. Kinder hatten wir nicht, xxxxx

In Szczecin und auch in Lódź habe ich Familie, mit der ich in sehr engem Kontakt bin. Ich habe auch sehr nahe Freunde. Ich füge ein paar Fotos aus der Kriegszeit bei, die während meines Aufenthalts im Lager gemacht worden sind: drei Fotos von meinen Kolleginnen mit Widmungen für mich, sowie mein letztes Foto aus dem Jahr 1996.

Ich grüße Sie ganz herzlich.
xxxxx

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    1. Fotografie der ehemaligen Zwangsarbeiterin Maria K.: Porträtaufnahme einer jungen Frau, vermutlich Marta K.; (Berlin-Tempelhof, 04.04.1945)

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    4. Fotografie in Kopie der ehemaligen Zwangsarbeiterin Marta K.: Gruppenfotografie

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    7. Fotografie in Kopie der ehemaligen Zwangsarbeiterin Marta K.: Gruppenfotografie vor einem Grab, in dem gefallene Zwangsarbeiter nach einem Bombenangriff beerdigt wurden

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DZSW 1432
Kurzbeschreibung

Maria K. leistete in ihrer Heimatstadt Łódź in einer Textilfabrik Zwangsarbeit, bis sie am 17. November 1942 nach Berlin verschleppt wurde. Mit 12 weiteren Mädchen war sie zuständig für die Ordnung auf dem Lagergelände. Der gutmütige Lagerführer unterstützte sie.

 

Herkunftsland: Polen

Geburtsjahr: 1924

Angaben zur Zwangsarbeit
Weitere Objekte

© Dokumentationszentrum NS-Zwangsarbeit / Slg. Berliner Geschichtswerkstatt

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