Abschrift: Xxxxx

Bezugnehmen auf den Aufruf von Frau Gisela Wenzel, der Leiterin des Forschungsprojektes der Berliner Geschichtswerkstatt, anerkannt als gemeinnütziger Verein, schildere ich meinen Aufenthalt und meine Arbeit in Berlin, bei der AEG. Meine Schilderung ist kurzgefasst, basiert auf Fakten, enthält sich Kommentare und Beschönigungen. Man kann sich anhand dieser Schilderung ein Bild machen, wie die Arbeit und das Leben eines Zwangsarbeiters bei der AEG in Berlin aussah. Bei der Schilderung der Tatsachen ließ ich mich von keinen Emotionen leiten. Falls Sie Ergänzungen meiner Schilderung benötigen, wenden Sie sich bitte erneut an mich.
Ich wurde am 28. Juni 1921 in Łódź, in einer gebildeten Familie geboren. Bis zum Ausbruch des Krieges schloss ich die Grundschule ab und absolvierte zwei Klassen des Gymnasiums. Zur Zeit der Verschleppung war ich 21 Jahre alt. Mitte Juni 1942 wurde ich nach Berlin deportiert, wo ich bei der AEG (Allgemeine Elektrizitätsgesellschaft), Brunnenstraße 107, arbeitete. In diesem Betrieb arbeitete ich bis zum 27. Januar 1944. Bei der Aufnahme bekam ich eine rote Armbinde mit der darauf aufgeschriebenen Nationalität. Ich war verpflichtet, bei der Arbeit im Betrieb diese Armbinde auf dem linken Arm, über dem Ellenbogen zu tragen. Solche Armbinden hatten alle Ausländer. Darüber hinaus bekam ich das Abzeichen „P“, das ich, an der linken Seite angenäht, überall und immer zu tragen verpflichtet war. Ich bekam auch einen unbefristeten Passierschein mit meinem Foto, Vornamen und Namen, der mir als Ausweis diente und den ich dem Werkschutz bei Betreten und Verlassen des Betriebs vorzeigen musste. Dieses Kennzeichnen mit dem Buchstaben „P“ war für mich sehr demütigend, ich fühlte mich erniedrigt gegenüber den Deutschen und auch allen Ausländern, die nicht derart gekennzeichnet waren. Dafür, dass ich das Abzeichen „P“ nicht trug, wurde ich von der Polizei mit einer Geldbuße, in Höhe von 9 Mark und 50 Pfennigen bestraft.
Was die Arbeit betrifft: Ich hatte einen sogenannten Vorarbeiter (einen Deutschen), der mir bestimmte Arbeiten zuteilte und deren Ausführung prüfte. War der Vorarbeiter gut, so war auch die Arbeit besser, und war er schlecht, fiel die Arbeit schwerer. Die Arbeit dauerte 9 Stunden täglich, so arbeiteten alle. Ich arbeitete ausschließlich unter den Deutschen. Ich bekam nie eine Erlaubnis, in Urlaub zu fahren, daher konnte ich meine Familie nicht besuchen.
Die Lebensbedingungen waren für mich sehr schwer, besonders in der ersten Arbeitszeit. Ich bekam Lebensmittelkarten für eine bescheidene und nie ausreichende Zuteilung von Lebensmitteln. Auf diesen Karten gab es auch Abschnitte, die als ungültig gestempelt waren, was meine Lage noch verschlimmerte. An dieser Stelle möchte ich hinzufügen, dass die anderen Ausländer keine Karten mit ungültigen Abschnitten bekamen. Aufgrund der unzureichenden Ernährung hungerte ich. Doch zum Glück bekam ich die ganze Woche lang, außer an Sonntagen und Feiertagen, Mittagessen in der Betriebskantine. Große Schwierigkeiten hatte ich auch mit der Hygiene, da sanitäre Einrichtungen fehlten.
Für die Arbeit bekam ich etwas Geld, alle zwei Wochen. Diese Löhne waren niedrig, aber ich kann mich nicht mehr erinnern, wie viel es war (es ist 55 Jahre her).
Die ärztliche Hilfe war meistens oberflächlich. Es gab zwar einen Lager- und einen Betriebsarzt, aber es gab keine wirksame Behandlung.
Das, was mich am meistens bedrückte, war die Demütigung und Verachtung der Menschenwürde und der nationalen Gefühle. Heute betrachte ich das als eine tragische Vergangenheit, die sich niemals wiederholen sollte.
Untergebracht wurde ich zunächst, für eine kurze Zeit, in der Ackerstraße, in der Nähe von AEG-Betrieben, dann in der Borsigwalde-Trift-Straße. Dort standen Baracken für die Polen. Das Lager war umzäunt, und am Tor gab es eine Werkschutzwache. Die Bedingungen waren hier sehr schwer. Es gab keine Möglichkeit, sich etwas zum Essen zuzubereiten und die Hygiene zu bewahren. Von dort fuhr ich mit der S-Bahn zur Arbeit, von Borsigwalde bis Gesundbrunnen (Brunnenstraße), und zurück. Hier blieb ich am längsten, wobei die Lebensbedingungen unerträglich waren. Auf der anderen Seite von der Triftstraße, in der sich unser Lager befand, gab es noch ein Lager, „Ost“, umzäunt und bewacht.
Nach einer Weile brachte man mich in die Voltastraße 19, gegenüber der AEG. Man bildete eine Bereitschaftsgruppe, die in jedem Moment, auch sonntags und an Feiertagen geholt werden konnte, falls z.B. eine Kohlenlieferung kam. Solche Lieferungen von Kohlen oder anderem mussten sofort aus den Waggons ausgeladen werden, damit die Betriebsgleise frei bleiben konnten. Wir waren verpflichtet, diese Arbeit auf der Stelle auszuführen, abgesehen von den normalen täglichen Tätigkeiten. Hier wurde ich krank und ging daher zum Arzt. Ich vermute, aus diesem Grunde wurde ich von dem Betrieb strafversetzt: zur AEG Hennigsdorf. Drei Monate lang musste ich auf den Betriebsgleisen Kohle und anderes aus den Waggons ausladen oder auf die Waggons laden. Es war in der Zeit vom November 1943 bis zum 27. Januar 1944 (die Winterzeit). Das war eine sehr schwere und dreckige (Kohlenstaub) Arbeit. Zu dieser Zeit wurde ich in einer Baracke in der Spandauer Allee (Hennigsdorf) untergebracht. Das war ein Lager am See für die Polen, umzäunt und vom Werkschutz bewacht,. Die Bedingungen hier waren sehr schwer, ähnlich wie in der Borsigwaldestraße, oder vielleicht noch schlimmer wegen der Arbeit bei den Kohlen und des schrecklichen Drecks. Ich konnte mich nicht richtig waschen oder die Wäsche machen (es war im Winter).
Nach drei Monaten wurde ich von dort nach Treptow, zur AEG in der Hoffmannstraße 15-20 versetzt, wo ich bis zum Ende arbeitete. Dort arbeitete ich etwa 12 Stunden täglich, in zwei Schichten, am Tag und in der Nacht. Untergebracht wurde ich in der Neuen Krugallee 33. Im Treptower AEG-Betrieb waren die Lebens- und Arbeitsbedingungen ein bisschen besser als zuvor in der Brunnenstraße und in Hennigsdorf. Dennoch nahmen zu dieser Zeit die Luftangriffe zu. Sie kamen immer öfter, waren stärker und dauerten länger. Man führte die sogenannten teppichartigen Bombardierungen durch (man warf die Bomben ganz dicht auf ganze Gebiete). Die Lage wurde gefährlich und für mich erschöpfend.
Mitte Februar 1945 gelang es mir nur mit Mühe, eine solche Bombardierung zu überstehen. Als ich zu meiner Unterkunft zurückkehrte, fand ich dort nur Trümmer und eine Brandstätte vor. Alles, was ich besaß (Kleider, Essen etc.) war verbrannt. Mir blieb nur das, was ich anhatte. Ich hatte nichts zum Wechseln. Und doch hatte ich Glück, denn wäre ich dort gewesen, so wäre das mein Ende gewesen. Von diesem Moment an hatte ich ein paar Tage lang keine Unterkunft. Ich hielt mich in der Nähe auf und schlief auch dort (und es war Februar 1945). Das erinnerte an Frontbedingungen. Nach ein paar Tagen wurde ich abgeholt und im Lager in der Mannteufelstraße (an die Nummer kann ich mich nicht mehr erinnern) untergebracht. Von dort ging ich zu Fuß durch Trümmer zur Arbeit in die Hoffmannstraße. Diese Situation dauerte eine Zeit an.
Im März 1945 wurde ich vom Betrieb zum Ausheben der Schützengräben am östlichen Rand Berlins und auch außerhalb von Berlin geschickt. Wir wurden auf einem Grundbesitz, im ersten Stock des Gebäudes für das Hilfspersonal untergebracht. Einmal am Tag, abends nach der Arbeit bekamen wir Suppe als einzige Nahrung, Den ganzen Tag waren wir bei der Arbeit, aßen nichts und hungerten. Wir bekamen keine Entlohnung. Zur Arbeit holten uns die Militärs ab, die uns abends zurückbrachten. Das Ausheben der Schützengräben wurde vom Militär geleitet.
Gegen Ende April 1945 gab es einen Alarm und keine Entwarnung mehr. Eines Tages sah ich während der Aushebung der Gräben Panzer in unsere Richtung fahren. Die Kanonen donnerten, und die Truppen rückten näher. Als ich das sah, entschloss ich mich, gen Osten zu fliehen. So gelangte ich nach Gorzów Wielkopolski (Landsberg - Anm. d. Ü.), und von dort fuhr ich mit einem Zug nach Poznań und dann nach Łódź, nach Hause. Zu Hause warf ich alle meine Kleider weg, da sie voller Insekten waren. Oben schrieb ich, ich hatte nur das, was ich anhatte, aber es war nicht alles.
Nach einer Zeit stellte sich heraus, daß ich eine schwere Krankheit mitbrachte. xxxxx
Jetzt bin ich über 76 Jahre alt und Rentner. Meinen schlimmen Kriegserlebnissen habe ich zu verdanken, xxxxx
Das sehe ich als die Tragödie meines Lebens.

Ich möchte auch hinzufügen, daß meine ganze Familie während des Krieges schwer gelitten hatte. Mein Vater wurde gleich am Anfang des Krieges, d.h. am 9. November 1939, festgenommen und ins Konzentrationslager in Radogoszcz (Stadtbezirk von Łódź - Anm. d. Ü.) gesteckt. Dann verschleppte man ihn nach Pölitz, von wo er nie zurückkehrte. Was mit ihm geschah, wissen wir nicht, da wir keine Benachrichtigung bekamen. Ich suchte intensiv nach ihm, sowohl in Polen, als auch über das Internationale Rote Kreuz. Erfolglos. Mein Vater war 57 Jahre alt. Meine Schwester wurde im Mai 1940 nach Braunschweig zur Zwangsarbeit verschleppt. Sie kehrte im März 1946 heim. Wegen ihrer schlimmen Erlebnisse starb sie im Alter von 54 Jahren. Meine Mutter blieb alleine zu Hause, krank und ohne Mittel. So sieht ungefähr das Leiden unserer Familie während des Krieges aus.
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    1. Fotografie des ehemaligen polnischen Zwangsarbeiters Tadeusz H.: Gruppenbild mit Tadeusz H. und weiteren Männern; (Berlin-Treptow, 08.05.1944)

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    2. Fotografie des ehemaligen polnischen Zwangsarbeiters Tadeusz H.: Fotografie von Tadeuzs H. in einer Männergruppe im Treptower Park; (Berlin-Treptow, 08.05.1944)

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    3. Fotografie des ehemaligen polnischen Zwangsarbeiters Tadeusz H.: Gruppenbild mit Tadeusz H. und 4 weiteren Männer im Treptower Park; (Berlin-Treptow, 27.08.1944)

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    4. Fotografie des ehemaligen polnischen Zwangsarbeiters Tadeusz H.: Fotografie einer Männergruppe mit Zieharmonika im Treptower Park; (Berlin-Treptow, 27.08.1944)

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    5. Fotografie des ehemaligen polnischen Zwangsarbeiters Tadeusz H.: Männergruppe mit Zieharmonika im Treptower Park; (Berlin-Treptow, 27.08.1944)

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    6. Fotografie des ehemaligen polnischen Zwangsarbeiters Tadeusz H.: Porträtfoto eines Mannes im Treptower Park; (Berlin-Treptow, 27.09.1944)

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DZSW 1431
Kurzbeschreibung

Tadeusz H. war an mehreren Standorten für die AEG-Betriebe als Zwangsarbeiter tätig. Kurz vor dem Kriegsende wurde seine Baracke durch Luftangriffe zerstört, so dass er alles verlor.

 

Herkunftsland: Polen

Geburtsjahr: 1921

 

 

Angaben zur Zwangsarbeit
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1. Fotografie des ehemaligen polnischen Zwangsarbeiters Tadeusz H.: Gruppenbild mit Tadeusz H. und weiteren Männern; (Berlin-Treptow, 08.05.1944)© Dokumentationszentrum NS-Zwangsarbeit / Slg. Berliner Geschichtswerkstatt

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