Abschrift: xxxxx

Ich bedanke mich bei Frau Gisela Wenzel für das Schreiben, das ich bekam. Sofern mir mein Gedächtnis erlaubt, beschreibe ich Ihnen die Geschichte meines Lebens in der Kriegszeit.
Zu dem Betrieb, in dem ich in Lodz arbeitete, und es war eine Rüstungsfabrik, schickte man aus Deutschland, aus Berlin Leiter und Meister, damit die Beschäftigten berufsmäßig geschult wurden. Wir gewöhnten uns sehr an die Betriebsleitung und die Zusammenarbeit war gut. Aber im Juli 1943 kam ein Befehl, und wir, ein Dutzend Frauen und Männer wurden nach Berlin deportiert.
Nach dem Ankommen - eine Katastrophe: die Baracken, in denen wir wohnen sollten, brannten nach einem nächtlichen Luftangriff nieder. Wir wurden an verschiedenen Orten untergebracht. Mich xxxxx und einen 16jährigen Jungen, xxxxx) nahm Herr xxxxx zu sich nach Hause mit; er wohnte in Berlin, in der Gubener Straße 5, unweit vom Alexanderplatz. Dort wohnten wir alle. Die Ehefrau von Herrn xxxxx wurde zusammen mit zwei Kindern zu einem Bauern evakuiert, damit die Kinder vor den Bombardierungen geschützt wurden.
Zur Arbeit fuhren wir ziemlich lange mit der U-Bahn, S-Bahn und dem Omnibus, nach Mariendorf. Der Betrieb hieß Askania Werke. Die Arbeit war ziemlich schwer und verantwortungsvoll, 12 Stunden täglich. Die ersten Monate vergingen verhältnismäßig ruhig, da es die Bombardierungen nicht tagtäglich gab. Die arbeitsfreien Sonntage verbrachten wir unterschiedlich: Wir gingen mit der ganzen polnischen Gruppe in den Park, in den Zoologischen Garten, ins Kino. xxxxx begleitete und führte uns. Wir besichtigten Berlin. Und ich besuchte meine Tante und meinen Onkel, die bei einem Bauern, ziemlich weit von Berlin arbeiteten.
Aber alles Gute hat irgendwann sein Ende. Es kam Herbst, die Luftangriffe nahmen stark zu. Es waren schreckliche Bombardierungen. Eines Tages kam ein so großes Geschwader von Bombern angeflogen, so daß der helle Tag zu einer dunklen Nacht wurde. Schreckliche Brände, alles, die U-Bahn und die S-Bahn zerstört, viele Tote, eine schwierige Lage, fehlendes Essen. Aber dank guter Organisation wurde alles allmählich instand gesetzt. Wieder die Arbeit und wieder die Luftschutzkeller.
Es kam das erste Weihnachten. Wir alle feierten zusammen mit der xxxxx. Das waren rechtschaffene, edle Menschen. Zugleich sehnte sich jeder von uns nach dem Zuhause und wir wünschten, so schnell wie möglich dorthin zurückzukehren. Es waren aber nur Träume. Das Jahr 1944 kam. Nichts änderte sich, nur dass die Bombardierungen immer wieder in denselben Abständen kamen, einmal leichter, einmal wieder furchtbar. Der August 1944 war entsetzlich. Andauernde Bombardierungen, jedes zweite Haus zerstört, Brände, Hunger und Elend. Wir konnten nicht zur Arbeit gelangen. Die U-Bahn wurde zerstört, nichts funktionierte. Auf den Straßen standen Feldküchen. Gott sei Dank, wir bekamen ein wenig Suppe. Bei den xxxxx gab es keine Fenster mehr, die Gas- und Strominstallation war aus den Wänden ausgerissen. Ein völliges Chaos. Und dann die Evakuierung im September 1944: nach Helmstedt, 40 km von Magdeburg, zu den Buna-Werken, Werminstadt-Hildesheim. Das Lager, schreckliche Bedingungen, Hunger und die Arbeit in einem Bergwerk, 750 m unter Tage. Die Arbeit war die gleiche wie in Berlin und ebenso verantwortungsvoll. Ich arbeitete bei der Prüfung. Hätte ich einen Mangel übersehen, so drohte mir das Konzentrationslager.
In dem Bergwerk arbeiteten auch Menschen verschiedener Nationalitäten. Am schlimmsten war es im Winter und im Frühling. Es begann eine große Schlacht mit Bomben und Panzern. Wir versteckten uns in den Wäldern. Es war kalt. Es gab keine Arbeit mehr, da die schrecklichen Kämpfe andauerten. Die Amerikaner rückten näher. Es ist schwer, diese Hölle der Kämpfe zu beschreiben. Viele Menschen kamen um. Es herrschten Chaos und Lärm. Es war April 1945. Anfang Mai marschierten die Amerikaner ein. Es herrschte schreckliches Durcheinander. Jeder rettete sich, wie er nur konnte.
Wir vier Schiffbrüchigen gelangten mit Mühe nach Magdeburg. Wie viele andere Gruppen fanden auch wir keine Zuflucht. Es gab nichts zu essen, keinen Platz fürs Übernachten. Das waren schreckliche Momente. Endlich gelang es uns, eine Bahnstation zu erreichen. In Viehwaggons kamen wir nach Berlin zurück. Ich erkrankte schwer. Dank der Hilfe von den xxxxx, die einen Arzt holten, konnte ich zwei Woche lang im Bett liegen bleiben. Als es mir besser ging, begleiteten sie uns, d.h. mich, xxxxx zum Bahnhof. Wir verabschiedeten uns und bedankten uns für die Freundlichkeit. Mit dem Güterzug kamen wir in Szczecin an. Dort gab es eine Repatriierungsstelle. Wir blieben dort ein paar Tage, da es sehr viele Menschen gab. Wir bekamen einen Schein mit der Bestätigung, daß wir Deutschland verlassen und nach Polen zurückkehren. Es war bereits Sommer 1945.
Mein Name war xxxxx Mein erster Ehemann kam im Konzentrationslager Buchenwald um. Das ist alles.
Ich schicke Ihnen ein Foto aus Berlin, auf dem wir alle vier, von denen ich schrieb, zu sehen sind, und ein Foto xxxxx der es mir zur Erinnerung schenkte.

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    1. Fotografie der ehemaligen polnischen Zwangsarbeiterin Anna G.: Gruppenbild mit Anna G.und drei weiteren Frauen auf einer Geröllhalde

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DZSW 1427
Kurzbeschreibung

Aufgrund der niedergebrannten Lagerbaracken wurden die gerade neu angekommenen Zwangsarbeiter an unterschiedlichen Orten in Berlin einquartiert. Anna G. hatte Glück, denn sie erhielt eine Unterkunft bei einer sehr hilfsbereiten deutschen Familie.

 

Herkunftsland: Polen

 

 

Angaben zur Zwangsarbeit
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