Abschrift: Xxxxx
Ich möchte Sie an meinen Erinnerungen aus der Kriegszeit teilnehmen lassen, die mich oft in den Alpträumen und im Alltagsleben heimsuchen.
Alles begann am 22. Oktober 1943, als ich aus Polen nach Deutschland zur Zwangsarbeit verschleppt wurde. Am Ausreisetag wurde ich zusammen mit anderen Menschen am Bahnhof Łódź-Kalinska in einen Personenzug gesteckt und unter Militärbewachung direkt nach Berlin gefahren. Ich fuhr zwei Tage lang, am Abend war ich am Ziel: im Ortsteil Schöneweide. Dort gab es eine Flugzeugfabrik. Uns brachte man im Lager auf dem Fabrikgelände, wo Baracken für jeweils 30-40 Frauen standen unter. Ich erinnere mich, daß ich nur eine Stofftasche bei mir hatte, und darin ein paar persönliche Sachen, d. h. Unterwäsche und Strümpfe. Es war meiner Mutter gelungen, mir diese Sachen vor der Abreise zu überreichen.
Am ersten Abend nach unserer Ankunft kam zu uns der Wachmann, ein Soldat in deutscher Uniform, und sagte auf Polnisch, wir sollten uns zum Schlafen nicht ausziehen, da wir es sonst nicht schaffen, uns wieder anzuziehen. Nach dem Abendbrot gingen wir schlafen, aber ganz kurz, denn nach einiger Zeit hörten wir Sirenen heulen und den Wachmann schreien, wir sollten in den Bunker fliehen. Der Bunker lag auf dem Fabrikgelände. Nach jedem solchen Luftangriff gingen wir nach der Arbeit zum nahen Flugplatz um Splitter in riesige Körbe zu sammeln.
Die Arbeit in der Fabrik lief in drei Schichten. Ich machte alles, wozu man mich aufforderte: ich bohrte, schliff, sägte, schraubte Schrauben. Arbeitspausen gab es nicht. Gab es keine Luftangriffe, so bekam ich das Essen dreimal täglich. Die Mahlzeiten waren sehr miserabel, typisches Lageressen: meistens Steckrüben. Einmal fiel in den Suppenkessel eine Katze hinein, der Koch nahm nur das Fell heraus, und alle aßen auch diese Suppe auf. Fast immer war ich hungrig und ich weiß bis heute, was der Hunger bedeutet. Jedes Stückchen Brot war mir heilig.
Bombardierungen gab es nachts - und tagsüber. Ich weiß nicht mehr, wie viele es waren, bestimmt aber sehr viele. Zu dieser Zeit zogen wir uns nicht aus und wuschen uns nicht. Die Läuse plagten alle. In den Baracken gab es viele Mäuse und Ratten, aber alle gewöhnten sich an sie und niemand machte sich etwas aus ihnen. Es herrschte allgemeines Chaos, aber auch die ständige Angst um das eigene Leben. Während des letzten gefährlichsten Luftangriffs brannte die ganze Fabrik nieder. Ich war während dessen im Bunker. Die Explosion einer Bombe verschüttete den Ausgang. Dank der Hilfe der Männer, die wie wir als Zwangsarbeiter arbeiteten, konnten ich und meine Kommilitoninnen hinaus. Die Männer gruben einen Tunnel und das war unsere Rettung. Jeder versteckte sich, wohin er nur konnte, um irgendwie bis zum Morgen durchzuhalten. Ich erinnere mich, ich stand an irgendeiner Wand. Am Morgen kamen Lastwagen und man brachte uns in die Henschel-Flugzeugwerke in Schönefeld, Kreis Teltow. Hier arbeitete ich vom 2. bis zum 31. Januar 1944, und dann, am 1. Februar brachte man uns nach Teltow. Hier arbeitete ich in den Elektrooptischen Betrieben. Ich machte hier das Gleiche wie früher.
Alle Polinnen waren unter der Obhut eines grauhaarigen, älteren Herren, des deutschen Meisters, der zu mir sehr gut war. Oft gab er mir heimlich ein Stückchen Brot, umwickelt mit Papier, und ließ mich das schnell aufessen. Der Meister hatte in seiner Kammer eine Hausapotheke, in der es ein wenig Verbandmaterial gab. Darüber hinaus gab es keine medizinische Versorgung. Zu dieser Zeit bekam ich aus der Heimat zwei Lebensmittelpakete von meiner Mutter. Eines verbrauchte ich, das zweite wurde aber während der Bombardierung verbrannt.
In Teltow war das Leben ebenfalls schrecklich: Dreck, Läuse, Wanzen, ständige Bombardierungen. Aufgrund des Fehlens von Vitaminen fielen mir die Zähne aus, das Zahnfleisch tat weh. Mein Rücken wurde von der schweren Arbeit ganz gebeugt, so dass er im Alter von 40 Jahren wie bei einer 70 jährigen Frau aussah. Der Krieg nahm mir meine Gesundheit weg.
Von Teltow fuhren uns die Deutschen mit einem Personenzug, nachts, nach Rielasingen, Kreis Konstanz, wo ich vom 5. Juni 1944 bis zum April 1945 in der elektrotechnischen Werkstatt arbeitete. Hier war es ruhiger, es gab keine Bombardierungen, aber man hörte Flugzeuge, die in Richtung Berlin flogen. Auch das Leben war hier besser. Zur Kantine führten uns die Deutschen in einer Kolonne. Dort bekamen wir dreimal täglich zu essen. Auf dem Weg begegneten wir älteren deutschen Frauen, die weinten, als sie uns, noch Kinder, weggerissen von den Familien und vom Zuhause, sahen, und manchmal gaben sie uns heimlich etwas zu essen, ein bisschen Brot, einen Becher Milch. Wir schliefen hier in den Lagerbaracken, wie gewöhnlich auf primitiven Pritschen. Aber hier konnte man sich waschen. Wir arbeiteten in Schichten in der Schlosserei, ohne Entlohnung. Nach der Arbeit gingen wir zu den Baracken zurück und jede von uns konnte sich mit sich selbst beschäftigen, d. h. wir machten Wäsche, schrieben Briefe, flickten die Kleider. Vom Zuhause hatte ich keine Nachrichten. So ging es bis zum Frühling.
Ich beobachtete, daß seit einiger Zeit unter meinen Kommilitoninnen alle paar Tage zwei, drei Mädchen fehlten. Wie sich herausstellte, schmuggelte ein Pole ( er hieß Pietras ) die Kommilitoninnen über die Grenze in die Schweiz. Und dies geschah unter dramatischen Umständen. Gewöhnlich in der Nacht, wenn es regnete und die Grenzsoldaten in ihren Wachhäuschen saßen. Eines Nachts kam ich an die Reihe. Wir waren fünf Mädchen, wir sollten uns an den Händen halten, denn sollte sich eine verirren, hätte niemand nach ihr gesucht. Wir hatten nichts mit. Ich ging so, wie ich da stand. Ich erinnere mich, wir gingen durch den Wald, überall war es nass, glitschig, dunkel, und ich hatte große Angst. Wir gingen schweigend etwa eine Stunde lang bis zur Grenze, wo das Wachhäuschen stand. Der schweizerische Soldat rief irgendwohin an, es kam ein Wagen und man nahm uns, dreckig, verängstigt, mit. Damals wusste ich nicht, wohin. Der Pole, unser Führer, kehrte zurück, um die nächste Gruppe zu holen, und wir fuhren eine Stunde lang zu einer Stelle, wo es ein Lager gab und wo uns schweizerische Frauen empfingen.
Als allererstes gingen wir ins Bad. Endlich konnten wir uns ordentlich waschen. Wir gaben unsere dreckigen und abgetragenen Kleider ab. Auf dem Hof waren saubere Sachen vorbereitet, d. h. Kleider, Hemdchen usw. Jede wählte etwas für sich. Die dreckigen und verlausten Sachen wurden verbrannt. Nach diesen Vorbereitungen schickte man mich zur Arbeit zu einem Bauer, der eine große Gärtnerei in Basel hatte. Dort arbeitete ich vom Frühjahr bis zum Herbst. Die ganze Wirtschaft führte die Frau von dem Bauern. Ich arbeitete von 5 bis 23 Uhr beim Obstauslesen, Kartoffelschälen, auch als Küchenhilfe. Nach dem Besuch von irgendwelchen Beamten, ich vermute, von der Polnischen Botschaft, musste uns die Wirtin alle freien Tage geben, die uns zustanden, sowie einen ganzen Stapel von Schokoladentafeln, die wir von ihr regelmäßig hätten bekommen sollen. Nach diesem Besuch verschlechterte sich das Verhältnis der schweizerischen Wirtin zu uns.
Das Ende des Krieges erlebten wir in der Schweiz. Die Lautsprecher verlasen Kommuniqués, es fahren Transporte nach Polen, man sagte auch wann und um wieviel Uhr an. Ungeachtet dessen, dass ich dort hätte bleiben, lernen und ein besseres Leben einrichten könnte, packte ich mein bescheidenes Hab und Gut zusammen und ging mit einer Freundin zur Sammelstelle. Viele Menschen waren dort. Am Fluss wartete ein Schiff, der uns zum Bahnhof beförderte, wo ein Personenzug stand. Ich reiste zwei Wochen lang.
Unterwegs verschwanden immer wieder einige Menschen, denn manche verzichteten auf die Rückkehr. Uns begleitete eine Feldküche, die uns mit Essen versorgte. Ich fuhr über Österreich bis Dziedzice, der polnischen Grenze. Hier übergaben uns die Schweizer den polnischen Behörden. Ich bekam die Fahrkarte für die weitere Fahrt und ein wenig Kleingeld. Jeder fuhr in seine Richtung.
Nach Hause kam ich am 4. Dezember zurück. Ich traf dort Armut und Elend an. Mein Vater lebte nicht mehr, er ist während des Krieges umgekommen. Es war sehr schwer, also musste ich gleich zur Arbeit gehen, um der Mutter und den Geschwistern zu helfen. Die Arbeit in den Baumwollbetrieben nahm ich bereits im Dezember 1945 auf. Nach dem Krieg xxxxx dafür verlor ich aber meine Gesundheit. In meinem Gedächtnis sind nur die schwere Arbeit und die Kriegserinnerungen geblieben. Ich kann diese Erinnerungen an die Zeit in Berlin und die danach nicht teilen. Für mich ist diese Zeit ein unzertrennbarer Teil meines Lebens. Möge sie den Historikern dienen, sowie allen, die sich für das alltägliche Leben der polnischen Kinder während ihrer Zwangsarbeit interessieren.
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Dokumentationszentrum NS-Zwangsarbeit / Slg. Berliner Geschichtswerkstatt
Der mit 16 Jahren zur Zwangsarbeit verschleppten Anna F. gelang ein Fluchtversuch in die Schweiz. Sie kam bei einem Landwirt unter. Ihre Lebenssitutation verbesserte sich dadurch jedoch nicht.
Herkunftsland: Polen
Geburtsjahr: 1927
Dokumentationszentrum NS-Zwangsarbeit / Slg. Berliner Geschichtswerkstatt
© Dokumentationszentrum NS-Zwangsarbeit / Slg. Berliner Geschichtswerkstatt
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dzsw1407.2: Fotografien in Kopie von Anna F. aus der Zeit der Zwangsarbeit
Dokumentationszentrum NS-Zwangsarbeit / Slg. Berliner Geschichtswerkstatt© Dokumentationszentrum NS-Zwangsarbeit / Slg. Berliner Geschichtswerkstatt