Abschrift: Xxxx

Als Antwort auf den Aufruf von Frau Gisela Wenzel, betreffend Erlebnisse aus der Zeit des Aufenthaltes in Deutschland und der Zwangsarbeit in den Jahren 1940-1945, möchte ich einige Repressionen schildern, denen ich während des Krieges ausgesetzt wurde.
Mein Name ist xxxx Geboren wurde ich am 6. Juni 1926 in Łódź, bin polnischer Nationalität. Der Ausbildung nach, die ich nach der Befreiung erlangte, bin ich Techniker und Technologe der Spinnindustrie. Ich möchte gleich vorwegnehmen, dass ich nicht direkt in Berlin war. Man wies mich in die Landwirtschaft ein, und ich arbeitete bei dem Bauern xxxx xxxx im Dorf Bölkendorf. Die nächsten Städte waren Argemünde (Angermünde - Anm. d. Ü.) und Eberswalde-Finow bei Berlin. Zur Arbeit wurde ich gezwungen, als ich 13 war.
Die Repressionen begannen für mich noch in Łódź, der Stadt, in der ich geboren wurde und in der ich zusammen mit meinen Eltern lebte. Mitte November 1939 bekam ich eine Vorladung vom Arbeitsamt mit dem Hinweis, dass ich mich dort sofort melden soll. Mein Vater begleitete mich dahin. Vom Arbeitsamt ließ man mich nicht mehr nach Hause. Am selben Tag abends wurde ich zusammen mit anderen Festgenommenen unter Bewachung von SS-Männern in die Lipowa-Straße gebracht, wo sich ein provisorisches Durchgangslager befand. Dort blieb ich ungefähr zwei Wochen. Von dort führte man uns, ebenfalls unter Bewachung von SS-Männern, zum Bahnhof Łódź Kaliska, und wir wurden nach Berlin gebracht. In Berlin gab es wieder ein Lager, in dem ich einige Tage blieb. Der ganze Transport, mit dem ich ankam, wurde dort in einer der Hallen untergebracht. Die Halle war sehr lang. Die Fenster waren ganz oben an der Decke. An den Wänden lag auf dem Fußboden Stroh ausgebreitet. Das war unser Schlaflager. In der Halle wurde jeder von uns einer individuellen Besichtigung unterzogen. Jeder musste sich ausziehen und vor die Kommission antreten. Ärztliche Untersuchung gab es nicht.
Von Berlin wurde ich zum Arbeitsamt in Eberswalde-Finow bei Berlin gebracht. Von dort holte mich ein deutscher Bauer ab und fuhr mich zu seiner Landwirtschaft. Es war bereits sehr spät, alle Arbeiten auf dem Hof waren schon verrichtet, daher führte er mich gleich zu meiner Unterkunft, in der ich wohnen sollte. Das Zimmer war sehr klein, befand sich auf dem Dachboden und hatte schräge Wände. In dem Raum war es so kalt, daß man sich überhaupt nicht ausziehen konnte, und die Wände waren mit Rauhreif bedeckt.
Am nächsten Tag morgens zwang man mich zur Arbeit. Der Bauer befahl mir, Mist aus dem Kuhstall auf den Schubkarren zu laden und ihn wegzubringen. Der Schubkarren war so schwer, dass ich ihn überhaupt nicht hochheben konnte. Ich versuchte mit zwei Händen einen Griff hochzuheben. Der Schubkarren kippte ein wenig, und der Mist wurde ausgeschüttet. Als der Bauer das sah, ließ er mich meine Sachen zusammenpacken und fuhr mich zum Arbeitsamt in Eberswalde-Finow zurück.
Vom Arbeitsamt holte mich ein anderer Deutscher ab, fuhr mich zur Station Hersprung (Herzsprung - Anm. d. Ü.)und übergab mich einem anderen Deutschen, mit dem ich nach Bölkendorf kam, das von Hersprung 3 km entfernt war. In Bölkendorf arbeitete ich beim Bauern xxxx als Landarbeiter. Die mir zugeteilte Unterkunft befand sich über den Pferdestall. Das Zimmer war klein, ohne Ofen, mit schräger Decke. Ich bewohnte es zusammen mit einem anderen Arbeiter. Zusammen mit mir arbeiteten dort fünf Personen, drei Männer und zwei Frauen. Die Arbeit begann im Morgengrauen und dauerte bis zur Abenddämmerung. Früh morgens und nach der Dämmerung musste man Pferde, Vieh und Schweine versorgen.
Das Essen war unterschiedlich: zum Frühstück immer Schwarzkaffe und Sirup aus Zuckerrüben als Brotaufstrich, zu Mittag dünne Suppen, Kartoffeln mit Mehlsosse ohne Fett, gekochte Steckrüben, gekochte Gurken usw. Die Arbeitsbedingungen waren, wie ich schon erwähnte, sehr schwer, da man vom Tagesanbruch bis zum Abend, egal ob Sommer oder Winter, arbeiten musste. Im Sommer gab es meistens Arbeiten auf dem Feld. Im Winter drosch man den ganzen Tag Getreide in der Scheune oder streute Mist auf den Feldern aus. Für die Arbeit, die ich ausführte, bekam ich keine Entlohnung. Nur wenn Feiertage kamen, gab mir der Bauer ein paar Mark fürs Bier.
Im Winter bekam ich von meinem Bauern holländische Holzschuhe. In diesen Schuhen ging ich auf das Feld, um Mist zu streuen. Zunächst war ich mit diesen Holzschuhen zufrieden, aber später, nach längerem Laufen begannen die Füße weh zu tun. Der Schmerz war schließlich so heftig, dass ich sie ausziehen musste und barfuß auf dem Feld lief. Den Rückweg ging ich ebenso barfuß.
Im Dorf gab es einen Gemeindevorsteher, einen stattlichen, gut gebauten Mann, der der Schrecken des ganzen Dorfes war. Eines Sommertages bemerkte einer der Polen den Gemeindevorsteher nicht und nahm die Mütze nicht ab. Er schlug ihn so stark ins Gesicht, dass der andere umfiel. Dann rief er ihn noch einmal, und schlug wieder zu. Beim dritten Mal lief der Pole davon, ohne sich dem Vorsteher zu nähern. Den Gemeindevorsteher holte auch mein Bauer, damit er die Leute zusammenschlug, die mit der Arbeit nicht schnell genug waren. Als wir einmal den Stall ausmisteten, schaffte es einer der Arbeiter nicht, den Mist schnell genug einzuladen (es gab drei Wagen und zwei Fuhrleute). Der Gemeindevorsteher schlug diesen Arbeiter so stark zusammen, dass dieser bewusstlos auf den Dung fiel. Kurz vor dem Ende des Krieges wurde der Gemeindevorsteher eingezogen.
Im Mai 1945, als die Offensive der sowjetischen Einheiten von der Oder her begann, also 7 km von Bölkendorf entfernt, kam der Befehl, das Dorf zu evakuieren. Der Bauer nahm mich des Nachts zwangsweise mit. Ich sollte den Pferdewagen lenken und Richtung Westen fahren. Eines Morgens, als wir in einer Kleinstadt angelangten, erfolgte ein Luftangriff. Es brach Panik aus, und ich konnte mich entfernen. Ich verstecke mich im Eingang eines Gebäudes. Als der Luftangriff vorbei war, wurde ich von einem deutschen Soldaten angehalten. Da ich keine Papiere hatte, führte er mich zu einem Gebäude, vor dem eine Wache stand, und ließ mich auf der Straße warten. Ich nutzte diese Gelegenheit und machte mich schnell aus dem Staub. Ich ging zurück. An diesem Tag begann nachmittags eine Schießerei. Ich versteckte mich in einem Graben neben der Straße und wartete bis zum nächsten Morgen ab.


Morgens sah ich drei sowjetische Soldaten, die zu Pferd die Straße entlang ritten. Eine Stunde später war die ganze Straße voll von den sowjetischen Soldaten. Zusammen mit anderen Landsleuten kehrte ich in die Heimat zurück. Nachdem wir die Grenze an der Oder passierten, gelang es mir, den längsten Teil des Weges auf den Puffern von Zügen zurückzulegen. So gelangte ich in meine Heimatstadt Łódź. Nach der Befreiung setzte ich die unterbrochene Ausbildung fort. Ich ergänzte die Grundschulausbildung, absolvierte die mittlere Schule und erlangte den Beruf des Technikers und Technologen der Spinnindustrie.
1988 besuchte ich Bölkendorf. Das Dorf liegt zwischen zwei Seen: vom Osten und vom Westen. Auch im Dorf selbst gibt es einen Weiher. Dort im Dorfe änderte sich viel. Die Familie des Bauern, bei dem ich arbeitete, ist ausgestorben (drei Personen). Das Gehöft wurde von einer Forschungsstation übernommen. Das Wohnhaus existierte nicht mehr. Der Pferdestall, Kuhstall und Hühnerstall wurden zu Wohngebäuden umgebaut. Der Platz, wo man Mist lagerte, wurde planiert und für die Vorgärten bestimmt. Der Gemeindevorsteher kam nicht aus dem Krieg zurück.


Łódź, den 28.12.1997 xxxx

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DZSW 1421
Kurzbeschreibung

Die Zwangsarbeit begann bei Mieczyslaw K. sehr früh, bereits mit 13 Jahren. Er war auf einem privaten Bauernhof tätig. Am Kriegsende soll er mit seinem deutschen Arbeitgeber Richtung Westen fahren, woraufhin er die Flucht ergriff.

 

Herkunftsland: Polen

Geburtsjahr: 1926

Angaben zur Zwangsarbeit

© Dokumentationszentrum NS-Zwangsarbeit / Slg. Berliner Geschichtswerkstatt

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