Abschrift: Xxxxx
Łódź, den 1.2.1998

An die Leiterin des Foschungsprojektes.

Dies sind meine Worte: Ich arbeitete in der Fabrik, in der Weberei. Von der Arbeit holte man mich 1942 ab. Zunächst schleppte man uns von einem Arbeitsamt zum anderen, bis man uns endlich nach Siemensstadt brachte, wo man uns Baracken und später die Arbeit zuteilte. Leute mit Gewehren und Hakenkreuzen bewachten uns, und es war die Gestapo. Es waren Siemensbetriebe. Ich arbeitete beim Verpacken der Ersatzteile, aber ich erinnere mich nicht, was für Ersatzteile es waren. Das Essen war sehr dürftig: ein Kastenbrot für zwei Tage und auf vier Personen verteilt. Es mußte reichen. Zum Glück schickten mir meine Mutter und meine Schwestern Lebensmittelkarten in den Briefen mit.

Dann wurde ich woanders hingebracht. Es war Finsterwalde, wo ich in der Weberei arbeitete. Es waren die Hoswig-Betriebe(?), die in zwei Abteilungen geteilt waren. Das Essen war dort unmöglich. Wenn man es abholte, da stank es wie aus dem Klosett. Wir rebellierten und ließen alle Schüsseln auf den Tischen stehen. Der Lagerführer, der mit dem Fahrrad ankam, sah, daß wir das Essen zurückließen. Er trieb alle zurück in die Kantine. Dann ließ er uns in die Reihe antreten und suchte 10 Mädchen aus. Ich war dabei. Insgesamt waren wir 45 Mädchen und 5 Männer. Also ließen wir nicht zu, daß sie sich einmischen. Wir wurden unter Bewachung von der Gestapo abgeführt. Sie jagten uns wie die Hunde und sperrten uns in einer Zelle ein. Um 4 Uhr früh führten sie uns in den Baderaum und dann abermals in die Kantine, in der es das Frühstück gab. Aber wir schütteten das Essen draußen aus. Und wir begannen mit der Arbeit überhaupt nicht, da wir hungrig waren. Wir standen nur an den Webstühlen. Und keine der Polinnen arbeitete. Das war meine größte Sorge, daß alle dabei sind. Der Chef ging vorbei und sah, daß die Polinnen nicht arbeiten. Er holte den Dolmetscher und fragte, warum wir nicht arbeiten. Der Dolmetscher sagte ihm, die Polinnen seien hungrig. Der Chef fragte, wie es mit dem Mittagessen und überhaupt mit der Verpflegung ist. Dann sagte er, wir sollten uns an die Arbeit machen. Und er fuhr mit dem Fahrrad zur Kantine. Die Suppe im Kessel war noch da. Dann sagte uns der Chef, wir bekommen das Mittagessen im Betrieb, das aus der Lagerküche gebracht wird. Er werde das prüfen. Dann wurde das Essen ein wenig besser. Der Chef sagte auch zum Dolmetscher, wäre jemand anders an seiner Stelle gewesen, wären wir alle ins Konzentrationslager geschickt worden.

Später wurde der Betrieb liquidiert und man versetzte uns in einen Metallbetrieb. Mir wies man die Arbeit mit der Stanzmaschine zu. Es war eine große Maschine, mit der ich Flugzeugteile aus dem Aluminium ausschnitt.

Ich war krank. Zweimal schnitt man mir den Finger ein, dabei bekam ich eine Narkose. Nach einer Weile tat mir ein Bein weh, es war angeschwollen. Man kam damit nicht zurecht, obwohl ich ständig Umschläge machte. Man sagte mir, das Bein muß amputiert werden. Aber ein Arzt sagte, man soll es mit der Lampenbestrahlung versuchen. Und das half mir. Dann hatte ich drei große Eiterbeulen. Und die eine gleich über der Pflaume (verzeihen Sie bitte den Ausdruck). Und ich hatte wieder eine Operation unter Narkose. So habe ich unter vielen Schmerzen gelitten.

Es gab auch viele Alarme, die Bomben fielen, und man mußte in den Bunker. Ich hatte einen Freund, mit dem ich lange ging. Nach einem halben Jahr wurde ich schwanger. Am Anfang fühlte ich mich sehr schlecht, dabei arbeitete ich 12 Stunden, nur in der Nacht. Ich erbrach sehr oft und war dazu sehr schwach. Einmal, als ich aufs Klo ging, beschmutzte ich den ganzen Weg. Der Gestapo-Mann schubste mich ganz heftig. Als ich wieder an meiner Maschine war, arbeitete ich eine Weile, und dann schlossen sich meine Augen ganz von alleine. Der Vorarbeiter begoß mich mit Wasser. Und so blieb ich bis zum Morgen. Meine Kolleginnen sagten meinem Verlobten Bescheid, daß ich in der Tagschicht arbeiten sollte. Wir warteten bis 7 Uhr ab, bis der Leiter kam. Und mein Verlobter konnte sehr gut Deutsch, da er auf eine Schule mit deutscher Sprache gegangen war. Er bekam eine Rüge von dem Leiter; seinen Namen weiß ich nicht mehr. Wäre mein Mann noch am Leben, hätte er das gewußt, und ich könnte das hinschreiben. Und an den Namen des Vorarbeiters, der auf mich Wasser ausgeschüttet hat, kann ich mich auch nicht erinnern. Ich weiß nur, daß wir ihn „Flachnase“ nannten, da er überhaupt keine Nase hatte, nur die Löcher. Und der Meister hieß xxxxx xxxxx und war blond. Jedenfalls ging mein Verlobter mit mir zum Gynäkologen. Und ich wurde in die Tagschicht versetzt. Ich arbeitete an einem Tisch zusammen mit deutschen Frauen, aber sie waren sehr gut zu mir. Packte ich eine Kiste voll, so stellten sie sie selber herunter.

Mein Verlobter wurde nach Eisenach geschickt und er nahm mich mit, da er es mit dem Leiter regelte. Dort sind wir aber nicht lange geblieben, weil es dort keine Kinderkrippe gab. Man wollte mich nach Hause schicken, aber mein Verlobter war damit nicht einverstanden. Da er gut Deutsch konnte, bat er, uns eher zurück nach Finsterwalde zu schicken. Und dort war ich bis zum Ende und gebar meinen Sohn. Nach der Geburt schickte mich der Lagerführer zum Ausheben der Schützengräben. Aber ich war noch nicht ganz gesund und dazu stillte ich den Sohn. Aber mein Verlobter gab nicht auf, ging zum Arzt und ich mußte nicht mehr diese Schützengräben ausheben.

Nach Polen kehrten wir mit meinem Verlobten am 18. Mai 1945 zusammen zurück. Mein Sohn wurde im Januar 1945 geboren. Mit meiner Familie hatte ich sehr guten Kontakt, ich schrieb ihnen Briefe. Mein Sohn wurde in der Kirche der Mater Dolorosa getauft. Ich schicke Ihnen die Kopie meines Bildes. In die Kirche ging ich einmal im Monat.

Ich habe Schlimmes durchgemacht und viel gelitten. Ich habe kein anders Foto, denn wenn die Luftangriffe kamen, lief man davon, nahm das Kind mit, mein Verlobter zusammen mit uns, und ab in den Bunker, ohne an etwas zu denken. Alles ist dort geblieben: mein Ausweis und andere Papiere und Fotos, und ich hatte viele Fotos. Verzeihen Sie bitte meine Fehler. Auf Wiedersehen.
Xxxxx

Meine ganze Familie hat Schlimmes durchgemacht. Einer meiner Brüder saß in Dachau, Majdanek und Auschwitz, und der zweite war auch im Lager. Beide leben nicht mehr.
(unter dem Foto: Frau xxxxx geb. am 19. August 1920)

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DZSW 1445
Kurzbeschreibung

Die Zwangsarbeiter in der Weberei in Finsterwalde, zu denen auch Michalina K. gehörte, beschlossen aus Hungersnot zu streiken. Die Verhältnisse in der Weberei waren besser als in anderen Betrieben, denn sie kehrte dorthin zurück, um ihren Sohn zu gebären.

 

Herkunftsland: Polen

Geburtsjahr: 1920

Angaben zur Zwangsarbeit

© Dokumentationszentrum NS-Zwangsarbeit / Slg. Berliner Geschichtswerkstatt

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