Abschrift: Xxxxx

Bezugnehmend auf den Aufruf von Frau Gisela Wenzel, betreffend die Zwangsarbeit der Polen in Deutschland, möchte ich über meinen Aufenthalt in Berlin schreiben. Die ganze Geschichte begann in November 1941. Damals lebte ich zusammen mit meinen Eltern in Sokolniki, Kreis Łęczyca. Ich ging mit meiner Mutti auf der Straße in Ozorków. Zwei deutsche Gendarmen gingen auf uns zu, der eine nahm mich mit. Es gab Geschrei und Verzweiflung. Meine Mutti wurde zusammengeschlagen und getreten. Mich brachte man in ein Kino, wo sich eine Menschenmenge befand: Kinder, Jugendliche unterschiedlichen Alters. Es gab keinen Platz, bequem zu stehen. Nach einer Stunde brachte man uns mit der Straßenbahn nach Łódź zum Arbeitsamt. Dorthin kam auch mein Vater mit einem deutschen Bekannten, um mich frei zu bekommen. Leider gingen sie alleine zurück (solches Gefallen fand man an einer Vierzehnjährigen). Stellen Sie sich bitte die Verzweiflung meines Vaters und der übrigen Familienmitglieder vor: meiner Mutter, Schwester und meines Bruders. Ich war die jüngste.
Vom Arbeitsamt wurden wir in die Kopernik-Straße 55 getrieben: zu einer alten Fabrik, die mit Stacheldraht umfriedet war. Im Inneren waren nur leere Wände, sitzen und schlafen konnte man nur auf dem Fußboden. Es war November, es war sehr kalt, es fiel Regen mit Schnee. Morgens wurden wir auf den Hof ausgetrieben, wo wir den ganzen Tag verbrachten. Die Ernährung: einmal täglich einen Becher (0,5 l) schwarze Flüssigkeit (Kaffee), ein Stückchen Schwarzbrot. Am vierten Tag - das Haarschneiden. Es war für mich wieder ein Schock, da ich sehr schöne lange blonde Zöpfe hatte. Ich weinte schrecklich, schrie, dass ich keine Läuse habe. Und dank eines guten Deutschen wurde mein Haar gerettet.
Am sechsten Tag fuhren wir mit einem Zugtransport nach Deutschland. Zum Bahnhof Łódź-Kaliska wurden wir wie Verbrecher getrieben, auf den beiden Seiten gingen Gendarmen mit Hunden. Morgens erreichten wir ein Wäldchen. Dort war eine Verteilungsstelle. Ich hatte furchtbare Angst, was jetzt kommt, da drei meiner Cousins. von der Gestapo bei lebendigem Leibe in einem Wohnhaus verbrannt wurden. 45 Personen im Alter von 18-40 Jahren kamen dabei um. Niemand wusste, wohin wir gebracht werden. Nach zwei Tagen brachte man mich in ein Lager. Den Ortsnamen weiß ich nicht mehr. Am zweiten Tag begann ich die Arbeit im Gummiwerk Fr. M. Daubitz, in Berlin-Rudow, Kopernikus-Straße. Zur Arbeit fuhr man uns mit einem Lastwagen.
Die Arbeit war sehr schwer. Ich nahm die Gummihandschuhe von den Formen ab. In der nächsten Halle standen Öfen, in dem die Handschuhe und andere Gummigegenstände gebrannt wurden. Wurde der Ofen aufgemacht, öffnete man auch die Tür zu unserer Halle. Der Gestank war unglaublich. Alle litten unter Kopfschmerzen und Erbrechen.
Nach drei Wochen wurden wir in ein anderes Lager in der Nähe von der Fabrik versetzt. Das war wieder eine Katastrophe. Die Baracken waren alt, zuvor wohnten dort die französischen Sklaven. Dreck und unmöglicher Gestank, auseinanderfallende Betten, zerrissene Matratzen usw. Mit Weinen und Geschrei protestierten wir: In solchem Dreck werden wir nicht wohnen. Es kamen die Betriebsvertreter mit xxxxx und beschlossen etwas. Wir sollten zunächst zur Arbeit gehen. Nach der Arbeit bekamen wir eine neue Unterkunft: in den Baracken in der Kopernikus-Straße 44, die von unserem Betrieb gebaut wurden. Am nächsten Tag ging eine Gruppe zur Betriebsleitung, um sich bei ihr zu bedanken.
Zur Arbeit gingen wir in Begleitung von einem Wachmann. Wir alle wurden mit dem Buchstaben “P” gekennzeichnet. Um ausgehen zu können, mussten wir einen Passierschein bekommen. Wir arbeiteten 12 Stunden täglich, von 6 bis 18 Uhr. In einer Stube wohnten wir 22 Frauen unterschiedlichen Alters, von 14 bis 40 Jahren, aus verschiedenen Gegenden Polens. Wir liebten uns sehr und halfen uns gegenseitig. Wir waren wie eine Familie. Die Ausstattung der Stube: alles neu, Etagenbetten, ein Tisch, Bänke, kleine Schränkchen, ein Waschbecken für die ganze Baracke. Die Ernährung: um fünf Uhr morgens gab es eine weiße Suppe, manchmal mit Würmern drin. Gleich gab es Proteste. Der Betrieb machte eine Kontrolle und die Sache wurde positiv erledigt. Eine Brotscheibe, 20 g Margarine oder ein Stückchen Marmelade. Das Mittagessen gab es nach 18 Uhr, es waren verschiedene Suppen, keine schmeckte wie zu Hause. Oft hatten wir Hunger.
Helena, die in unserer Stube wohnte, konnte Deutsch, was uns bei verschiedenen Angelegenheiten im Lager und im Betrieb nützlich war. Nach einem Monat kam zu mir der Leiter xxxxx und sagte (was Helena dolmetschte): “Du gehst jetzt zur Arbeit im zweiten Stock, hier ist die Arbeit zu schwer für dich.” Daraufhin fragte ich, ob dort Polinnen arbeiten. Wenn nicht, wollte ich nicht dahin. Am nächsten Tag kam er wieder und sagte: “Du wirst zusammen mit meiner Frau und zwei polnischen Kolleginnen arbeiten, die als Gehilfinnen zweier anderen Frauen eingesetzt werden.” Ich bedankte mich mit Tränen in den Augen. Das war ein Mensch, der ein wirklich gutes Herz und Verständnis für das Schicksal unschuldiger Kinder und Erwachsener hatte. Die Frauen halfen uns, als wir traurig waren. Sie unterstützten uns mit belegten Broten, aber so, dass die anderen davon nicht wussten. Sie taten das, obgleich sie selber auch Lebensmittelkarten bekamen und die Rationen nicht sehr groß waren. Ihnen gilt unser herzlicher Dank, denn es waren Menschen guten Willens. Ich würde heute so gerne xxxxx und seine Tochter sehen.
Ich erinnere mich, es war Ende 1944. Ein Jude (er war 20) kam auf mich zu und sagte: “Zunächst wir, dann ihr.” Ich fragte, was das bedeutet. Er darauf hin: “Morgen werden wir deportiert und hingerichtet. Lebe wohl, Magdalena.” Ich war zutiefst erschrocken. Das lässt sich nicht beschreiben, das muss man überlebt haben.
In unserer Fabrik arbeiteten Leute verschiedenen Alters und unterschiedlicher Nationalität: aus Belgien, Holland, Frankreich, es waren auch Juden und Polen da. Die medizinische Versorgung hatten wir im Betrieb. Es war 1944, als sich die Bombardierungen und Luftangriffe drei Mal am Tag zu wiederholen begannen. Während der Arbeit gingen wir in den Betriebsluftschutzkeller, in der Nacht blieben wir im Lager. Die Luftangriffe nahmen zu. Keine von uns glaubte daran, jemals nach Hause zurückzukehren. Es war schrecklich.
Am 15. April 1945 rückte die Front näher. Die Fabrik hörte auf zu funktionieren. Wir drei blieben dort, um sauberzumachen. Den Rest der Belegschaft trieb man irgendwohin, um Panzerschutzgräben auszuheben. Und so gingen wir auseinander. Marian, ein Junge aus dem Lager für Männer, erfuhr, dass wir dort alleine geblieben sind, und nahm uns mit. Wir waren 30 Personen zusammen, haben Schreckliches erlebt, Bombardierungen und die Front. Nach zwei Tagen kam Marian mit einem Brot und schrie: “Der Krieg ist zu Ende. Wir haben überlebt! Vor dem Tor stehen unsere Truppen!” Wir liefen dahin, um unsere polnischen Truppen zu sehen, aber es waren die Russen. Traurig kehrten wir in unsere Stube zurück. Abends, als die Front weiterzog und der Beschuss leiser wurde, gingen wir schlafen. Es war nicht erlaubt, das Licht anzumachen und die Tür abzuschließen. Und plötzlich eine Überraschung: zwei Soldaten mit Taschenlampen kommen herein. Wir dachten, jetzt beginnt es. “Dwie diewoczki, charaszo (russ.: Zwei Mädchen, sehr gut. - Anm. d. Ü.), sagten sie und kamen auf uns zu. Marian, der Russisch konnte, wusste sofort, worauf sie hinauswollten. Er begann mit ihnen zu sprechen. Aber das Gespräch schien ihr Vorhaben nur zu verschieben. Ich betete, damit die Mutter Gottes uns rettete. Plötzlich ging die Tür auf, man hörte eine Stimme. Es war der Leutnant, der einen Befehl mitteilte: “Wir brechen auf, Berlin zu erobern.” Auf diese Weise wurden wir nicht vergewaltigt.
Am nächsten Morgen brachen wir auf. Wir gingen zu Fuß. Am dritten Tag unseres Marsches brachten uns die Russen hinterlistig dazu, ihren Wagen zu besteigen. Sie bringen uns bis zur Grenze, hieß es. Unterdessen fuhren sie uns zurück nach Berlin. “Aussteigen”, schrien sie. Sie nahmen uns alles weg. Aber wir ließen uns nicht entmutigen und gingen zu Fuß weiter. Am vierten Tag gelangten wir in Rzepin an. Dort machten wir uns ein Fest. Wir waren hungrig, erschöpft und dreckig. Die Jungs trieben irgendwo Mehl auf und wir backten uns Plätzchen auf der Herdplatte, ohne Fett, nur mit Wasser. Sie schmeckten uns hervorragend. Abends kam der Zug, wir stiegen auf die Plattform. In sechs Stunden legten wir 24 km zurück. Die Lok wurde abgekoppelt und wir blieben stehen. Am Morgen erreichten wir die nächste Station. Abends stiegen wir in einen normalen Zug ein und um 11 Uhr waren wir in Poznan. Die Freude war groß: wir waren auf polnischem Boden. Es kam der Abschied. Wir alle fuhren heim. Nur wir drei sind geblieben, da es keinen Zug gab und wir warten mußten. Die polnischen Eisenbahner nahmen uns in ihre Obhut. Sie nahmen uns zu sich mit, gaben uns die Schlüssel. Das erste Bad in einem Badezimmer! Sie brachten uns Dosen mit Erbsen, Fleischkonserven. Es gab ein Festessen. Jasia und ich kochten einen Topf Erbsensuppe. Nach dem Essen gingen wir schlafen. Die Polen sind liebenswürdig und hilfsbereit. Morgens gaben uns die Eisenbahner Brot und Konserven für die Reise. Sie begleiteten uns zum Bahnhof. Wir waren ihnen für ihre Gastfreundschaft unsagbar dankbar.
Abends bestiegen wir den Zug und um 3 Uhr 45 waren wir in Łódź. Es läßt sich nicht beschreiben, was wir damals fühlten. Sind wir tatsächlich an demselben Bahnhof Łódź-Kaliska, unversehrt und gesund? Kaum zu glauben! 5 Uhr früh. Die letzten drei verabschieden sich. Das Ende unseres Herumirrens. Um 7 Uhr 30 bin ich nach einer langen Trennung wieder heim, bei meinen Nächsten. Umarmungen, Tränen, große Freude. Meine mit Liebe erfüllte Familie begann von neuem zu leben. Uns ist es gelungen zu überleben.
Es kam die Zeit des neuen Anfangs. Im Juni bereitete ich mich für die Schule vor. Im September bestand ich die Prüfung. Nach drei Jahren schloss ich die Mittelschule ab. Ich ging zur Arbeit, weil mein Vater krank war. Dazu trug die Gestapo bei. Mein Vater sorgte brieflich für meine Erziehung, er schrieb sehr oft an mich.
Xxxxx
Xxxxx
Nun meine große Bitte. Ich möchte xxxxx sehen. Ich bitte Sie, mir - wenn es möglich - zu schreiben, wie und wo sie leben. Ich würde ihnen so gerne noch einmal für ihre Güte in dieser schlimmsten Zeit meines Lebens danken. Die Angaben, an die ich mich erinnere: Es war ein mittelgroßer Mann, Betriebsleiter; seine Frau, mit der ich arbeitete, war blond; ihre Tochter war damals etwa 10 Jahre alt. Sie wohnten in einem Einfamilienhaus mit Garten in der Nähe der Fabrik. Der Fabrikdirektor hieß xxxxx.
Bitte haben Sie Verständnis für meinen unbeholfenen Versuch, meine Erlebnisse zu beschreiben, aber ich schreibe, wie ich es kann, von den wahren Begebenheiten.
Ich grüße Sie ganz herzlich und bitte um eine Antwort. Mein Foto füge ich bei. Mein Mädchenname ist xxxxx.

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DZSW 1490
Kurzbeschreibung

Mit gerade 14 Jahren sollte Magdalena K. an einem Ofen in einem Gummwerk Zwangsarbeit leisten. Dank der Gutmütigkeit ihres Meisters wurde sie in eine andere Abteilung versetzt.

 

Herkunftsland: Polen

Geburtsjahr: 1927

Angaben zur Zwangsarbeit
Weitere Objekte

© Dokumentationszentrum NS-Zwangsarbeit / Slg. Berliner Geschichtswerkstatt

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