Abschrift: Xxxxx
Bezugnehmend auf den Aufruf von Frau Gisela Wenzel möchte ich meinen Zwangsaufenthalt in Deutschland kurz zusammenfassen.
Ich wurde am 19.11.1927 in Łódź geboren, habe mittlere Ausbildung. Zur Zwangsarbeit wurde ich im Oktober 1943 verschleppt. Ich war damals nicht einmal 16 Jahre alt. Zusammen mit einer großen Gruppe wurde ich unter polizeilicher Bewachung ins Übergangslager in Frankfurt an der Oder gebracht, wo man uns in verschiedene Gruppen teilte, nach Arbeitsbedarf. Zunächst landete ich in der Pulverfabrik „Kweis Kuppin“, wo man mich aber nach der Selektion zur Arbeit nicht aufnahm, weil ich zu jung war. Nach einem Monat schickte man mich ins Übergangslager zurück und von dort in die Hütte (Spandauer Stahlindustrie) in Berlin-Spandau. Dort wurde ich als Kranführer beschäftigt. Die Arbeit erfolgte in drei Schichten. Einen freien Sonntag hatten wir nur einmal im Monat, und da die Arbeit ununterbrochen vonstatten ging, arbeiteten dann die übrigen 12 Stunden. Die Arbeitsbedingungen waren schwer: Luftzug, Rauch und Staub, die von den Öfen und der Gießerei ausgingen, erschwerten das Atmen. Es fehlte warme Kleidung. Einmal im Jahr wurden Drillichkleider und Holzschuhe ausgegeben. Die Entlohnung war ebenso sehr niedrig, da sie 25 Mark monatlich betrug. Dazu gab es Unterkunft und Verpflegung. In den Baracken waren Etagenbetten, Matratzen mit Holzspänen und jeweils zwei dünne Decken ohne Überzug. Die Grundnahrung in der ersten Periode: Suppe aus Steckrüben und schwarzer, bitterer Kaffee zweimal täglich.
1943 bekamen wir 3 kg Brot, 250 g Schmalz, 100 g Wurst, ein Stückchen Schichtkäse und 250 g Margarine, sowie schmierige Seife und ein Päckchen Waschpulver. Brot und andere Produkte bekamen wir einmal in der Woche, Seife und Waschpulver einmal im Monat. Im Dezember 1944 wurden die Lebensmittelzuteilungen reduziert: Es gab nur 1 kg Brot und 100 g Margarine. Während des ganzen Aufenthaltes bekamen wir Kartoffeln nur sonntags, 5 Stück pro Person, mit der Pelle. Dazu gab es so etwas wie Soße und ein Fleischkotelett. Damals begann der Hunger.
Es gab ärztliche Betreuung, aber wir hatten Angst, dahin zu gehen, weil der Arzt ein deutscher Offizier war. Hatte jemand kein hohes Fieber, konnte er anstatt der Krankschreibung einmal eine in die Fresse bekommen. Ich gebe ein Beispiel: Einer meiner Kollegen ging drei Tage lang nicht zur Arbeit, bekam dafür 8 Wochen Straflager. Als er zurückkam, hatte er offene Wunden an den Beinen und am Rücken, die ihm im Rahmen der Resozialisierung das Lagerpersonal zufügte.
Außer den dienstlichen hatten wir kaum Kontakte zu Deutschen. Im Betrieb gab es wenig Deutsche, vor allem waren es die Meister (ältere Männer) und der Bauleiter, der die Menschen zur Arbeit anzutreiben pflegte, indem er sie mit einem Knüppel auf den Rücken schlug. Dank der feindlichen Propaganda wandten sich die Deutschen von uns ab, um keiner freundschaftlichen Gefühle bezichtigt zu werden.
Das Lager war umzäunt, am Eingang gab es die Wache, der man bei jeder Gelegenheit den Passierschein vorzeigen musste. Die Polen mussten in Brusthöhe das Abzeichen „P“ tragen, daher wurden sie verachtet. Keiner von den Deutschen wollte mit ihnen sprechen. Und wir wussten genau, dass man für Kontakte mit deutschen Frauen im Straflager landet. Ein solches Lager war auf der Strecke zum Alexanderplatz. Gingen wir ins Kino oder auf den Rummelplatz, so nahmen wir den Buchstaben „P“ ab, um zu vermeiden, dass man zusammengeschlagen oder aus der Warteschlange vertrieben wird.
Ende 1943 begann man Berlin zu bombardieren. Zu Anfang waren es sporadische Fälle, aber 1944 begannen die großangelegten Bombardierungen, von denen ganze Stadtbezirke und vor allem die Zivilbevölkerung betroffen waren.
Dieser Rüstungsbetrieb, in dem ich arbeitete, und dort wurden Panzer, Geschütze und Geschosse hergestellt, umfasste ein großes Gelände. Dieses große Kombinat arbeitete mit voller Kraft bis zum Februar 1945. Damals wurden die Gaswerke in Brandenburg bombardiert, und erst dann wurde ein Teil des Betriebs stillgelegt. Unsere Baracken dagegen, die außerhalb des Fabrikgeländes standen, wurden bombardiert und niedergebrannt.
Meine Familie, d.h. meine Mutter und mein jüngerer Bruder, blieb in Łódź. Mein Vater kam während der Belagerung Warschaus um. 1940 wurden wir aus unserem Haus ausgesiedelt, und den ganzen Krieg lang wohnte die Familie in einem kleinen Zimmer auf dem Dachboden.
Nach meiner Verschleppung nach Deutschland blieben wir im brieflichen Kontakt. Sie konnten mir aber keine Pakete schicken, da sie selber nichts zum Essen hatten. Wie ich bereits erwähnte, wurde das Leben immer schwieriger. Andauernde Bombardierungen, schwere Arbeit und immer schlechteres Essen wirkten sehr deprimierend und verschlechterten die psychische Verfassung. Die einzige Lebenshoffnung war das nahe Kriegsende. Die Front näherte sich Berlin vom Osten und vom Westen. Und das bedeutete das Ende des Krieges. Hitler machte den Deutschen vor, er habe eine neue Wunderwaffe, aber immer wenigere glaubten daran.
Als die Hütte stillgelegt wurde, brachte man uns zum Bau der Befestigungen, die entlang eines breiten Ringes um Berlin und auch in Berlin selbst entstehen sollten. Von diesem Moment an gab es nur Hungerrationen. Einmal am Tag bekamen wir Wirsingsuppe und zweimal in der Woche 0,5 kg Brot. Wir wurden immer schwächer, und als man uns eines Tages aufforderte, schwere Bohlen zum Bau einer Barrikade dahin zu tragen, lehnten wir es ab. Wegen dieser Ablehnung machte man gegen uns eine Anzeige und wir landeten in der Untersuchungshaft am Alexanderplatz. Es war bereits der 19. März 1945.
Wozu war das nötig? Das war ein Horror. In einer Zelle, die für 20 Personen bestimmt war, pferchte man 60 Menschen zusammen. Man hatte keinen Platz, um sich hinzusetzen oder zu schlafen. Leute schliefen auf dem Betonfußboden, alle Fenster waren eingeschlagen, es fehlte Wasser. Das Essen lohnt sich gar nicht zu erwähnen. Bedenke ich, was man uns gab, so muss ich staunen, dass ich das überlebte, bis zum 20. April 1945. An diesem Tag ergriff das Gefängnispersonal die Flucht, da sie die Rache der Häftlinge befürchteten. Häftlinge brachen die Türe auf und so ging ich hinaus. Wir irrten durch verschiedene Keller und Luftschutzräume, bis uns die Gestapo erwischte. In einem Luftschutzraum in der Friedrichstraße prüften sie unsere Papiere und führten uns zu einer U-Bahn-Station in der gleichen Straße. Dort ließen sie uns warten.
Am 1. Mai 1945 marschierte in unserem Stadtbezirk die Rote Armee ein, was die Situation diametral änderte. Endlich aßen wir Mittagessen von der Militärküche, sowie ein anständiges Stück Fleisch. Dann konnte ich mich ruhig umsehen. Die Straßen sahen vollkommen anders aus. Dort, wo noch Häuser unversehrt blieben, hingen weiße Fahnen. Menschen verließen die Keller, Luftschutzräume. Ich sah auch ein paar geöffnete Lebensmittelgeschäfte. In Bäckereien wurde Brot gebacken, Menschen standen Schlange. Die Deutschen wurden zu dieser Zeit freundlicherer. Sie führten mich zu einem unterirdischen Lager, von dem sie Bescheid wussten. Dort konnte ich neue Unterwäsche und einen neuen Anzug anziehen. Sie versorgten mich auch mit Zigaretten.
Nach zwei Tagen verließ ich Berlin, ohne es zu bedauern. Mit einem zufällig getroffenen Militärwagen passierte ich die Oder. Von dort fuhren bereits polnische Züge. Am 9. Mai, am Tag der Beendigung des Krieges, kam ich zu Hause an. Begrüßungen und Erzählungen nahmen kein Ende. Seit September ging ich auf eine mittlere Schule, die ich nach schwerer Arbeit absolvierte. Die fünfjährige Pause im Lebenslauf eines jungen Menschen geht nicht ohne weiteres vorüber. Ich machte das Abitur an einer Abendschule, tagsüber arbeitete ich. Für weitere Bildung gab es weder Mittel noch Kraft. Ich litt unter Rückenschmerzen. Aber bei der Arbeit brachte ich es doch zu einer Führungsposition.
Die schweren Bedingungen während des Krieges, mein damals junges Alter, Unterernährung, verschiedene Krankheiten von damals, all dies beeinflusste meine Gesundheit negativ. Rheuma, Herz- und Magenkrankheiten waren die Ursache dessen, dass ich im Alter von 48 Jahren als Behinderter anerkannt wurde und eine Invalidenrente bekam.
Es ist nur kurz gefasst, was ich in 19 Monaten in Berlin erlebte. Falls Sie sich für Details interessieren, die in Ihrer Arbeit hervorgehoben werden sollten, bitte nehmen Sie mit mir Kontakt auf. Ich habe ein paar Fotos aus dieser Zeit, auf die ich aber ungerne verzichten würde, da sie für mich ein Andenken darstellen. Ich füge Ihnen lediglich die Fotokopie meiner Arbeitskarte bei, die man mir im Übergangslager in Frankfurt ausstellte.
Aleksander K. erhielt mit 16 Jahren die Zuweisung zum Arbeitseinsatz im Deutschen Reich. Für eine Beschäftigung in der Pulverfabrik „Kweis Kuppin“ war er zu jung, so dass er in der Spandauer Stahlindustrie als Kranführer eingesetzt wurde.
Herkunftsland: Polen
Geburtsjahr: 1927
© Dokumentationszentrum NS-Zwangsarbeit / Slg. Berliner Geschichtswerkstatt
© Dokumentationszentrum NS-Zwangsarbeit / Slg. Berliner Geschichtswerkstatt
© Dokumentationszentrum NS-Zwangsarbeit / Slg. Berliner Geschichtswerkstatt
© Dokumentationszentrum NS-Zwangsarbeit / Slg. Berliner Geschichtswerkstatt
1. Dokument in Kopie: Arbeitskarte des ehemaligen Zwangsarbeiters Aleksander K.; Firma Spandauer Stahlindustrie Berlin-Spandau; ausgestellt am 31.11.1943© Dokumentationszentrum NS-Zwangsarbeit / Slg. Berliner Geschichtswerkstatt
2. Dokument in Kopie: Arbeitskarte des ehemaligen Zwangsarbeiters Aleksander K.; Firma Spandauer Stahlindustrie Berlin-Spandau; ausgestellt am 31.11.1943 (Innenseite) © Dokumentationszentrum NS-Zwangsarbeit / Slg. Berliner Geschichtswerkstatt