Abschrift: Xxxxx

Im Zusammenhang mit dem Schreiben von Frau Gisela Wenzel, das ich über die Stiftung „Deutsch-Polnische Versöhnung“ bekam, entschloss ich mich, auf den Aufruf zu antworten und Ihnen meine Erinnerungen aus der Kriegszeit in Berlin zukommen zu lassen. ...
Ich wurde am 26.Mai 1925 in Łódź geboren. Als am 1. September 1939 der Krieg ausbrach, war ich 14. Ich wohnte zusammen mit meinen Eltern und meinem Bruder in einem dreistöckigen Wohnhaus, in dem wir eine Wohnung von 60 Quadratmetern hatten. Mein Vater arbeitete bei Geyer, in der Fabrik. Meine Mutter führte den Haushalt. Den Bruder, der die Grundschule abgeschlossen hat, schickten meine Eltern nach Warschau, zur Fachschule für Telekommunikation. Ich ging nach der Grundschule zum Gymnasium in Łódź. Nach den Ferien, die er zu Hause verbrachte, konnte mein Bruder nicht mehr nach Warschau. Der Krieg unterbrach die Ausbildung und vereitelte alle Pläne. Mein Bruder begann in Łódź zu arbeiten. Er war bereits volljährig. Und ich ging auf dieses Gymnasium nur ein halbes Jahr lang, da die Deutschen nach dem Einmarsch alle polnischen Schulen und alle Kirchen schlossen. Es begannen Repressionen gegen die Polen. Zunächst wurden Zuteilungskarten für alles eingeführt: für Lebensmittel, Kleider, Schuhe, Reinigungsmittel. Und die Rationen waren sehr niedrig. Es begannen auch die Aussiedlungen der Polen. Die Gestapo kam gewöhnlich in der Nacht, holte die Menschen vom Zuhause ab und verschleppte sie. Wohin, wusste man nicht. So wurden die Besitzer des Hauses, in dem wir wohnten, verschleppt, und es gab von ihnen keine Spur mehr. Ich erinnere mich bis heute an das Geräusch der Schritte von schweren Offiziersschuhen, als sie in der Nachtstille die Treppe heraufgingen. Viele Nächte schliefen wir gar nicht und horchten, ob dieses Geräusch nicht wieder kommt, ob sie auch uns noch abholen werden.

Es gab auch Umsiedlungen. Die Polen wurden aus ihrem eigenen Haus ausgesiedelt und bekamen eine schlechtere Wohnung. In ihr Haus zogen dann die Deutschen ein. Die Menschen mussten manchmal ihr ganzes Hab und Gut hinterlassen und dorthin gehen, wohin man ihnen befahl. Damals begannen auch die Straßenrazzien. Man nahm Menschen auf der Straße oder in der Straßenbahn fest. Übrigens, die Polen durften nur im letzten Waggon der Straßenbahn fahren, die ersten wurden für die Deutschen reserviert. Bis 21 Uhr konnte man sich in der Stadt frei bewegen, danach gab es die Ausgangssperre, die nur für diejenigen nicht galt, die zur Arbeit gingen bzw. von der Arbeit kamen. Eine große Gefahr drohte auch polnischen Mädchen mit blondem Haar. Sie wurden ebenso auf den Straßen festgenommen und zur „Rasse“ bestimmt. So wurde meine Freundin abgeholt. Sie hatte aber viel Glück, da ihrer Mutter gelang es, sie aus einem Übergangslager herauszubekommen. Seit dieser Zeit versteckte sie sich und ging überhaupt nicht aus dem Haus. Dann schickte man sie irgendwohin weiter fort zur Familie, denn sie hatten Angst, die Deutschen könnten sie von Zuhause abholen.

Die Deutschen waren daran schuld, dass mein Vater 1941 an Herzschlag starb. Damals waren die Massendeportationen im Gange. Er war bei der Arbeit, als einer seiner Kollegen durch das Fenster meine Mutter, mich und meinen Bruder unter den Deportierten sah. Das war aber ein falscher Alarm. Mein Vater ging ans Fenster, fiel um und starb (er war herzkrank).

Nach dem Tod des Vaters war ich bereits 16 und musste arbeiten gehen. Zunächst arbeitete ich in einer Konservenfabrik, in der Kopernik-Straße, und ab 1942 in der Schneiderei von Paul Aleksejew. Vom Schneidern hatte ich keine Ahnung und ich vergoss viele Tränen beim Nähen der Blusen und Kleider mit einer elektrischen Nähmaschine. Nach ein paar Monaten Arbeit kam die Gestapo in den Betrieb. Sie suchten sich einige Mädchen aus und nahmen uns ins Übergangslager in der Łąkowa-Straße mit. Von dort sollten wir nach Deutschland gebracht werden. Man erlaubte uns nicht, die Familien zu benachrichtigen, wir hatten nur die Kleider und Schuhe an, die wir in der Fabrik anhatten. In diesem Lager blieben wir ein paar Tage. Wir schliefen dort in einer großen Fabrikhalle auf dem Fußboden. Wir waren mindestens einige Dutzend Menschen. Und erst vor der Abreise bekam ich ein Paket von Zuhause mit meinen persönlichen Sachen.
Nach Deutschland deportiere man uns im Herbst 1942. Untergebracht wurden wir in den dürftig zusammengebauten Baracken in der Nähe von der Flugzeugfabrik „Dralowid“ in Teltow bei Berlin, Potsdamer Straße 57. Dort gab es bereits Holländer, Franzosen und Russinnen. Die Bedingungen waren skandalös. Durch die Spalte in den Wänden konnte man den Himmel sehen. Wir bekamen je eine Decke. Der Wind wehte durch den Saal. Wir waren dort etwa 30 Mädchen. Geheizt haben wir in einem kleinen eisernen Ofen, nach der Rückkehr von der Arbeit, also lediglich ein paar Stunden täglich. In der Nacht gab es überhaupt keine Heizung, also schliefen wir in Mützen und Pullovern, je zwei Mädchen auf einer Pritsche. Auf diese Weise hatten wir zwei Decken und wärmten uns gegenseitig. Ich war ständig erkältet. Kein Wunder, dass ich später mit einer offenen Tuberkulose heimkehrte. Einen Arzt sah ich dort nie. Es gab aber eine Krankenschwester und die Krankenstube. Die ganze Verpflegung bekamen wir in der Fabrik. Das Essen war sehr miserabel. Frühstück und Abendbrot bestanden gewöhnlich aus Brot, Margarine, Marmelade aus roten Rüben und Schwarzkaffee. Zum Mittagessen gab es einmal in der Woche Suppe aus Steckrüben, und dieses Mittagessen aß ich nie.

Für die Arbeit bekamen wir eine Entlohnung (wieviel, weiß ich nicht mehr), von der man uns die Verpflegungs- und Unterkunftskosten abzog. Was die Arbeit anbelangt, muss ich zugeben, dass ich persönlich es gar nicht schlecht hatte. Wir arbeiteten 10 Stunden täglich. Meine Arbeit, die ich im Sitzen verrichtete, bestand darin, dass ich mit einem Gerät kleine Teile zusammenbaute. Es war ein kleines Gerät, mit dem ich die Messungen vornahm. Ich arbeitete in einer großen Halle, zusammen mit den Deutschen. Andere Mädchen arbeiteten in der Schlosserei, wo es sehr schwer war. Das Verhältnis der Deutschen zu uns war sogar freundlich. Offensichtlich taten ihnen die polnischen Kinder, die von ihren Eltern weggenommen und in ein fremdes Land verschleppt waren, leid. Manchmal kam es sogar vor, dass man uns belegte Brote anbot. Ich saß neben xxxxx die zu mir sehr nett war. Es gab noch eine xxxxx aber an Ihren Nachnamen kann ich mich nicht mehr erinnern. Und Herrn xxxxx
Sonntags war es uns erlaubt, in die Stadt auszugehen. Mit dem Buchstaben „P“ auf dem Ärmel. Wir fuhren also mit der Straßenbahn nach Berlin: Wir wollten die Stadt kennenlernen, uns das berühmte Brandenburger Tor, Potsdam, den Park Sans Souci ansehen. Wir fuhren auch nach Oranienburg und anderen Ortschaften, deren Namen ich nicht mehr weiß. Bis heute erinnere ich mich an die wunderschönen Magnolien in dem großartigen .Park von Potsdam.

Während eines solchen Ausfluges lernten wir in Berlin einen älteren Herrn kennen, der auf uns durch unsere Abzeichen „P“ und den Klang der polnischen Sprache aufmerksam wurde, da er selber Polnisch konnte. Er hatte Mitleid mit uns, weil wir sehr hungrig waren, und nahm uns (wir waren zu viert) zu sich nach Hause. Er ließ ein Mittagessen kochen und gab uns noch Kartoffeln zum Mitnehmen ins Lager. Seine Wohnung hatte einige Zimmer, wohl vier, und war sehr schön eingerichtet. Er lebte alleine, seine Tochter war Schauspielerin. Wir befreundeten uns mit ihm, und er lud uns zuweilen nach Hause. Wir waren dort ein Dutzend Male. Schließlich kamen wir an einem Sonntag weinend ins Lager zurück. Es gab den älteren Herrn nicht mehr, sein Haus wurde durch Bomben zerstört. Bis heute denke ich mit Dankbarkeit an ihn, er war ein sehr guter Mensch.
Ich arbeitete zwei Jahre lang, ohne einen Urlaub bekommen zu haben. Wir bekamen auch keine Bescheinigung über unsere Arbeit.

Von Zeit zu Zeit führte man die Desinfektion der Baracken und Entlausungen durch. Das war sehr erniedrigend, da wir vom Zuhause solche Verrichtungen nicht kannten. Wir mussten in einem Saal nackt stehen und man goss auf uns irgendwelche stinkenden Scheußlichkeiten.
Selten war eine Nacht richtig durchgeschlafen. Man weiß doch, wie Berlin bombardiert wurde. Wir waren also unausgeschlafen, unterernährt und erkältet. Schließlich fielen die Bomben auch auf uns. Das Ziel war die Fabrik, aber die Baracken brannten nieder und die Fabrik wurde nur von oben leicht beschädigt. Wir erlebten einen schrecklichen Schock, denn es passierte während der Arbeit. Da alle unsere Sachen verbrannten, bekamen wir Ersatzkleider und wurden in einer der Fabrikhallen untergebracht, wo es wenigstens wärmer war.

Was die Kontakte mit der Familie betrifft, durften wir Briefe und Pakete von Zuhause bekommen. Leider war es den Polen nicht erlaubt, Pakete zu verschicken, das durften nur die Deutschen. Sie wollten sich aber nicht in Gefahr bringen, indem sie Pakete an die Polen verschickten. Ich bekam ein paar Pakete, wenn meiner Mutter gelungen war, einen Deutschen dazu zu überreden. Aber das war wie ein Tropfen auf den heißen Stein, ich war tagtäglich hungrig.

Nach der Bombardierung der Baracken und der Beschädigung der Fabrik ging die Arbeit wie gewöhnlich vonstatten, bis zum Kriegsende am 8. Mai 1945. Als die sowjetischen Truppen den Betrieb besetzten, wurden wir aufgefordert, das Gelände sofort zu verlassen, da an dem Kanal, an dem auch „Dralowid“ stand, die Front verlaufen sollte. Es kam also die Zeit des schrecklichen Herumirrens. Das waren furchtbare Tage. Es gab nichts zu essen, wir marschierten ganze Tage lang, schliefen in von den Deutschen verlassenen Häusern, manchmal auch im Wald aus Angst vor den russischen Truppen - aus wohl bekannten Gründen. Eines Tages gelangten wir in ein Lager für Ausländer. Dort konnten wir uns waschen und ein wenig erholen. Die polnischen Offiziere, die ebenso von dort nach Polen zurückkehrten, nahmen uns unter ihre Obhut. Zusammen wanderten wir nach Frankfurt, wo Züge nach Polen fuhren.

Zu Hause kam ich nach zwei Monaten des Herumirrens an. Zunächst musste meine Tuberkulose behandelt werden, also ging ich in ein Sanatorium. Dann kamen die Schule und die Arbeit. Ich heiratete, schloss das Technikum für Ökonomie ab, arbeitete in der Buchhaltung. Ich reiste gern und verbrachte den Urlaub oft im Ausland. Ich lernte Bulgarien, Rumänien, die Tschechoslowakei und Ungarn kennen. Ich war auch in Leningrad. Manchmal dachte ich auch an Teltow, aber es ergab sich leider keine Gelegenheit dazu. Xxxxx

Xxxxx

Abschließend möchte ich hinzufügen, dass ich keine Arbeitsbescheinigung von „Dralowid“ habe. Xxxxx die andere Polen, die als Zwangsarbeiter beschäftigt waren, bekommen. Ist das meine Schuld, dass die Deutschen mir solche Bescheinigung nicht gaben? Hatte ich als eine Zwangsarbeiterin Recht irgendetwas zu verlangen? Ich hatte doch keine Ahnung, dass ich nach über 50 Jahren solche Bestätigung werden gebrauchen können. Ich musste bloß arbeiten und zufrieden sein, dass ich nicht in Dachau, Ravensbrück oder in einem anderen Vernichtungslager landete.


Xxxxx

Ich verbleibe hochachtungsvoll
und ich grüße herzlich Frau Gisela Wenzel.
Ich füge 5 Fotos bei.


Dokumentationszentrum NS-Zwangsarbeit / Slg. Berliner Geschichtswerkstatt

  • 1 von 6 Seiten
  • 2 von 6 Seiten
  • 3 von 6 Seiten
  • 4 von 6 Seiten
  • 5 von 6 Seiten
  • 6 von 6 Seiten
  • Informationen zum Bild

    Fotografie der ehemaligen polnischen Zwangsarbeiterin Irena M.: Gruppenbild vier tanzender Mädchen
    dzsw3184; Dokumentationszentrum NS-Zwangsarbeit / Slg. Berliner Geschichtswerkstatt

    1 von 1 Bildern
DZSW 1461
Kurzbeschreibung

An einem arbeitsfreien Sonntag während eines Ausflugs in der Stadt machte Irena M. mit ihren Freundinnen die Bekanntschaft mit einem älteren deutschen Herrn, der die Mädchen zu sich nach Hause einlud, um ihnen etwas an Lebensmitteln zu schenken.

 

Herkunftsland: Polen

Geburtsjahr: 1925

 

Dokumentationszentrum NS-Zwangsarbeit / Slg. Berliner Geschichtswerkstatt

Angaben zur Zwangsarbeit
Weitere Objekte

© Dokumentationszentrum NS-Zwangsarbeit / Slg. Berliner Geschichtswerkstatt

© Dokumentationszentrum NS-Zwangsarbeit / Slg. Berliner Geschichtswerkstatt

© Dokumentationszentrum NS-Zwangsarbeit / Slg. Berliner Geschichtswerkstatt

© Dokumentationszentrum NS-Zwangsarbeit / Slg. Berliner Geschichtswerkstatt

© Dokumentationszentrum NS-Zwangsarbeit / Slg. Berliner Geschichtswerkstatt

© Dokumentationszentrum NS-Zwangsarbeit / Slg. Berliner Geschichtswerkstatt

Fotografie der ehemaligen polnischen Zwangsarbeiterin Irena M.: Gruppenbild vier tanzender Mädchen
dzsw3184; Dokumentationszentrum NS-Zwangsarbeit / Slg. Berliner Geschichtswerkstatt© Dokumentationszentrum NS-Zwangsarbeit / Slg. Berliner Geschichtswerkstatt