Abschrift: Xxxxx

Sehr geehrte Frau Wenzel,

aus der Presse erfuhr ich, dass Sie Personen suchen, die in den Jahren 1939-1945 in der Gegend von Berlin bei der Zwangsarbeit waren. Ich war in einer von Berlin weiter entfernten Gegend, nämlich in Skampe, Distrikt Züllichau, Arbeitsamt Schwibus, Frankfurt an der Oder. Ich arbeitete in einer Landwirtschaft, bei dem Bauern xxxxx xxxxx arbeitete ich vom 28. Februar 1943 bis zum 30. Januar 1945. Ich hatte gute Arbeit, ausgezeichnete Ernährung, und die Betreuung seitens der Ehefrau von xxxxx war großartig, vergleichbar mit der von meiner Mutter. Sie kümmerte sich sehr fürsorglich um mich, erlaubte nicht, dass ich Arbeiten ausführe, die sie als zu schwer für mich betrachtete. Wunderbar war auch ihre Tochter Emma, die damals 22 Jahre alt war.

1943, als ich die Arbeit bei xxxxx aufnahm, war ich 15 Jahre alt, aber kleingewachsen und von mickrigem Körperbau und wohl deshalb kümmerte man sich so um mich. Schnell lernte ich die deutsche Sprache und nach sechs Monaten konnte ich mich ziemlich gut verständigen. Ihr Sohn Hermann war zu dieser Zeit an der Ostfront (im Februar 1945 bekamen die xxxxx die Nachricht, ihr Sohn sei vermisst).

Aber es geht nicht darum, dass ich bei den xxxxx arbeitete und es gut hatte. Es geht darum, was sie und ich im Januar 1945 erlebt haben. Im Januar 1945, als die Front näher rückte, wurden alle Landwirte aus Skampe in Richtung Krosno (Crossen/Oder) evakuiert. Am 29. Januar 1945 morgens brachen wir mit den Pferdewagen auf. Es schneite ganz dicht und es gab starken Frost, ca. 20 Grad. Vor dem Nachtanbruch gelangten wir nach Schützendorf (heute Sycewia). Dort blieben wir für die Nacht. Am nächsten Tag morgens fuhr ein Teil der Evakuierten in Richtung Krosno und ein Teil blieb in Schützendorf. Ich fuhr mit einer Frau xxxxx in Richtung Krosno (ich war der Kutscher, da sie alleine und mit Kleinkindern war). Mein Landwirt blieb mit seiner ganzen Familie, d.h. seiner Frau, Tochter und der Cousine aus Berlin mit einem kleinen Jungen, in Schützendorf. Ich wußte nicht, daß sie dort geblieben sind. Als wir schon nach Krosno gelangten, bemerkte ich, sie waren nicht dabei. Ich beschloß, nach Schützendorf zurückzukehren, um zu erfahren, warum sie nicht in Krosno sind. Ich ging dahin zu Fuß, überschritt die deutsche Abwehrlinie und gelangte in ein Gebiet, das frei von Truppen war. Als ich in Schützendorf ankam, marschierte dort nachmittags die sowjetische Armee ein.

Und erst jetzt begann das Gemetzel, aber es war kein Kampf mit den deutschen Truppen sondern der der sowjetischen Armee mit der Zivilbevölkerung. Das waren Vergewaltigungen von Frauen, der Deutschen, aber auch allen anderen, die sich dort aufhielten, d.h. bei der Zwangsarbeit waren. In der Nacht hört die Schießerei nicht auf. Man hört das Stöhnen und die Schreie derjenigen, die man in Begriff war zu vergewaltigen oder zu ermorden. Meiner Arbeitgeberin xxxxx schnitt man mit dem Säbel den Kopf ab. Ihre Tochter xxxxx ließ man ein Huhn für das Mittagessen für die sowjetischen Soldaten rupfen. Es war ein erschütternder Anblick. Die Mutter lag im Zimmer, ihr Kopf etwa 50 cm vom Körper entfernt, überall Blut. Neben der Leiche sitzt auf einem Stuhl die Tochter Emma und rupft das Huhn. Die Federn fielen auf die tote Mutter herunter. Xxxxx war in einem schrecklichen Schock, ich dachte, sie sei verrückt geworden. Am Fenster sitzt die Cousine mit dem 4-6jährigen Sohn, in sich zusammengesunken, und zittert vor Angst. Ich lief davon, konnte nicht länger ansehen, was ich in der Wohnung erblickte.
Ich ging zu einem anderen Haus und hörte Hilferufe auf Polnisch. Ich stürzte hinein und sah meinen Kollegen xxxxx mit erhobenen Händen und einen russischen Leutnant vor ihm stehen. Zwei andere Soldaten richteten auf ihn ihre Gewehre. Da ich Russisch konnte, weil ich in Ostpolen, wo viele Weißrussen und Ukrainer lebten, aufgewachsen war, fragte ich den russischen Leutnant: „W czom dieło?“ (Russisch: „Worum geht es?“ - Anm. d. Ü.). Er schien verwirrt zu sein und sagte, sie hätten einen deutschen Spion erwischt, der in der Tasche ein Abzeichen mit dem Hakenkreuz hatte, und wollten ihn erschießen. Es ist mir aber gelungen, ihnen zu erklären, daß er mein Kollege ist, der zusammen mit mir in Skampe arbeitete. Sie ließen ihn frei und dann flüchteten wir beide nach Skampe.

Dort erfuhren wir abends, dass die Russen auf einem Hof, 300 Meter hinter dem Dorf, 16 deutsche Soldaten gefangen hielten. Wir liefen dahin, ich fand den russischen Offizier und erbat bei ihm, er soll diese Soldaten nicht erschießen lassen, denn es stellte sich heraus, es waren Polen aus Schlesien. Der sowjetische Leutnant willigte ein und ließ sie frei. Er befahl ihnen nur, die deutschen Uniformen auszuziehen und sie vor seinen Augen zu zerreißen. So haben wir es auch gemacht. Nur in Unterwäsche gingen die Soldaten ins Dorf, dort suchten wir für sie Zivilbekleidung und sie gingen in Richtung Babimost.

Meine weiteren Erlebnisse sind viel komplizierter und ich kann nicht alles beschreiben, denn es würde sehr lange dauern. Ich möchte Sie aber bitten, jemanden, der Polnisch kann, zu mir nach Hause zu schicken. Ich kann ein wenig Deutsch, aber nicht so gut, um das in allen Einzelheiten zu erzählen. Ich möchte meine Erlebnisse aus dieser Zeit weitergeben, die Stätten besuchen und zeigen, wo und wie sich das abspielte. Und abgesehen davon, was ich jetzt schilderte, gibt es noch andere interessante Details, die ich Ihnen mitteilen möchte, damit man den Ort finden könnte, wo meine Arbeitgeberin xxxxx begraben wurde, und feststellen könnte, was mit ihrem Mann, der Tochter xxxxx und der Cousine aus Berlin mit dem Kind passiert ist. Ich wünschte mir sehr, diese Orte zu besuchen. Bis dahin konnte ich darüber nicht berichten, da es verboten war. Und sprach man davon, so drohten einem Repressionen. Jetzt aber möchte ich meine Erlebnisse jemandem mitteilen, wobei es nicht um sie geht, es geht um diese Zeit und den Verlauf der Ereignisse.

Da ich im fortgeschrittenen Alter (73 Jahre) bin und nach einem Herzinfarkt, würde ich Sie bitten, jemanden zu mir zu schicken, der Polnisch kann und mit mir dorthin fahren könnte. Ich könnte alles zeigen und von den damaligen Tagen berichten. Und ich selber besitze kein Fahrzeug, also müsste derjenige oder diejenige mit dem eigenen Auto kommen, damit wir dahin fahren könnten. Zeit habe ich, bin in Rente, lebe alleine; meine Frau starb vor einem Jahr.

Ich nehme an, Sie könnten anhand meiner Geschichte eine gute Chronik zusammenstellen. Nicht für mich, aber für die deutsche Nation, damit sie weiß, welche Sachen auf diesem Gebiet zu dieser Zeit passiert waren, so wie ich das ständig von neuem erlebe.

Mit freundlichen Grüßen aus Kołobrzeg
Xxxxx



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DZSW 1510
Kurzbeschreibung

Mit gerade 15 Jahren war Henryk M. in einem landwirtschaftlichen Betrieb von 1943 bis 1945 tätig, wo er sich sehr gut aufgehoben fühlte. Im Januar 1945 mussten alle Bauern vor der anrückenden Front fliehen. Henryk M. beschreibt sehr eindringlich die schrecklichen Taten der Sowjetischen Armee.

 

Herkunftsland: Polen

Geburtsjahr: 1928

Angaben zur Zwangsarbeit

© Dokumentationszentrum NS-Zwangsarbeit / Slg. Berliner Geschichtswerkstatt

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