Abschrift: xxxx

Sehr geehrte Frau Wenzel,

von unserer Stiftung, "Polnisch-Deutsche Versöhnung" bekam ich Ihren Aufruf und gleich schreibe ich an Sie. Ich habe sehr viele nette und gute Erinnerungen; man könnte ein Buch schreiben. Ich heiße xxxx, heute lebe ich in Łódź, das zur deutschen Zeit Litzmannstadt hieß. Ich wurde am 12.12.1923 geboren, also hatte ich vor ein paar Tagen den 74. Geburtstag.

Ich möchte Ihnen so viele Informationen geben, wie es nur möglich ist. Ich mag Berlin sehr, diese Stadt war sehr schön und gut organisiert. Nach dem Krieg, d.h. nach 1945, war ich dort noch nicht. Ich würde gerne noch vor meinem Tod die Stadt besuchen. Wenn ich nichts zu tun habe, nehme ich den Berliner Stadtplan, den ich habe, und wandere durch die Stadt. Liebe Frau Gisela, dieser Stadtplan erschien 1938. Ich denke, es wäre ein schönes Exponat.

Nach dem Ankommen in Berlin arbeitete ich in einer Transportfirma, die Berliner .........(?) hieß; sie war im Zentrum Berlins, in der Wasserdorfstraße, in der Nähe von einer evangelischen Kirche. Die Nummer weiß ich nicht mehr. Wäre ich aber in Berlin, so würde ich sie bestimmt wiederfinden. Dort arbeitete ich kurz, 2-3 Monate. Meine Arbeit, die 8 Stunden und mehr dauerte, bestand darin, dass ich verschiedene Waren, Maschinen und Apparate ein- und ausladen sollte. Ich arbeitete am Schlesischen Bahnhof, bei der Ausladung der Waren von den Waggons in den Lagerräumen und dem Ausfahren der Ware in die Stadt.

Ich möchte darauf hinweisen, daß ich 1942 nach Berlin kam;es war April, auf Polnisch kwiecień. Ich wollte nicht dort arbeiten, denn es war eine sauschwere Arbeit, 8-14 Stunden. Dann kam das Lager, 3 Monate lang, Wuhlheide. Dort war es am schlimmsten. Aber irgendwie hat man es überstanden. Danach war es wie im Paradies, wie ich es bezeichne.

Vom November 1942 bis zum Ende, also bis zum Mai 1945, waren es für mich schöne Tage. Sie kennen bestimmt die Fabrik Sarotti AG, Berlin-Tempelhof, Teilestraße 13/15.

Und jetzt möchte ich Ihnen etwas über mich schreiben. Als man mich nach Deutschland verschleppte war ich 19 Jahre alt, Ausbildung: 7 Klassen der Grundschule. Jetzt habe ich die mittlere Ausbildung, ich machte auch den Führerschein. Ein paar Jahre arbeitete ich als Fahrer. Dann machte ich in verschiedenen Kursen die Ausbildung eines Meisters in der Elektrotechnik und arbeitete in elektromechanischen Betrieben. Heute bin ich pensioniert und lebe in Łódź.

Bis heute habe ich ein Foto, das im Juni 1943 in Berlin gemacht wurde, also als ich 20 war.

Ich hatte verschiedene Bekannte, Deutsche und Polen. Vor allem waren es die Beschäftigten bei Sarotti. Aber ich denke, sie leben nicht mehr.

Liebe Frau Gisela, am besten wäre es, wenn Sie zu mir nach Łódź kommen würden, dann würden wir uns bei Kaffee oder Tee unterhalten. Ich lade Sie zu mir nach Łódź ein. Ich garantiere Ihnen Übernachtung und Verpflegung für 3-4 Tage. Ich wohne in einem Wohnblock, im 3. Stock, zusammen mit meiner Frau. Meine Frau war auch in Deutschland, so würden wir uns viel erzählen können. Ich denke, am besten sollte man das auf Band aufnehmen. Vielleicht schreiben wir ein Buch zusammen? Meine Frau ist einverstanden. Die Bedingungen bei uns sind nicht die feinsten, aber diese drei Tage würden Sie schon aushalten.
Ich kenne noch eine Frau, die auch in Berlin war. Aber wenn Sie nicht kommen, schreibe ich noch einmal an Sie. Oder vielleicht schicken Sie zu uns eine Mitarbeiterin oder einen Mitarbeiter?

Ich schicke Ihnen mein Foto, das ich für den Führerschein gemacht habe. Wenn Sie kommen würden, dann würde ich Ihnen das in Berlin gemachte Foto und den Berliner Stadtplan vom 1938 geben.

Ich übersende Ihnen viele gute Wünsche noch im Jahr 1997 und alles Beste im Neuen Jahr 1998.

xxxx

  • 1 von 2 Seiten
  • 2 von 2 Seiten
DZSW 1384
Kurzbeschreibung

Geboren am 1923 wurde Stefan L. im  April 1942 nach Berlin zur Zwangsarbeit verpflichtet. Zunächst bei einer Transportfirma. Um den Monat Juli herum kam Stefan L. für drei Monate in ein Lager nach Wuhlheide (vermutlich AEL), was für ihn eine sehr schwere Zeit war. Die Folgezeit verbesserte sich für ihn, denn ab November 1942 bis zum Ende des Krieges war er für die Fabrik Sarotti AG, Berlin-Tempelhof tätig.

 

Herkunftsland: Polen

Geburtsjahr: 1923

Weitere Objekte

© Dokumentationszentrum NS-Zwangsarbeit / Slg. Berliner Geschichtswerkstatt

© Dokumentationszentrum NS-Zwangsarbeit / Slg. Berliner Geschichtswerkstatt